
Zum Gedenken an eine schaurige Tat: die Weihe des Herzlfresser-Marterls in Kindberg, 1912
Ein beeideter Wundarzt verfasste Mitte April 1786 einen Konstitutions- und Temperamentbefund über den Gewaltverbrecher, der dem Kriminalakt angeschlossen war. Er beschrieb Reininger als einen muskulösen Mann mit schwarzen Haaren und Bart, einem fetten, braunen Körper und starken Gliedmaßen. Ferner soll er weißgraue Augen mit falschem Blicke gehabt haben und dem Anscheine nach furchtsamen Gemüts, ziemlich guter Vernunft, kollerisch sanguinischen Temperaments, zur Wollust und Fröhlichkeit geneigt.
Das Urteil, das über Paul Reininger am 24. April 1786 gefällt wurde, gehörte zum schwersten, das in dieser Zeit verhängt wurde:
Paul Reininger soll wegen an sechs Personen auf die grausamste Art verübten Straßen- und Meuchelmorden an die gewöhnliche Richtstätte geführt, am ersten Viertelweg ihm ein Zwick mit glühender Zange in die rechte Brust, am halben Weg ihm ein Riemen aus der linken Seite am Rücken geschnitten, am dritten Viertel, wiederum ein Zwick in die linke Brust, an der Richtstätte selbst abermals ein Riemen aus der rechten Seite geschnitten, hernach ihm all dort seine Glieder durch den ganzen Leib von unten auf mit dem Rade abgestoßen und also soll er dem Leben zum Tode gerichtet, folgens der Tote in das Rad geflochten und ein Galgen mit herabhängendem Strang aufgerichtet werden.
Kaiser Josef II. änderte die harte Strafe um und verfügte, dass Paul Reininger auf der Richtstätte lediglich gebrandmarkt werde und drei Tage hintereinander 100 Stockstreiche erhalten solle. Dann sei er nach Graz auf den Schlossberg zu überführen und dort lebenslänglich im Gefängnis anzuschmieden. Seine Nahrung dürfe nur aus Wasser und Brot bestehen, außerdem müsse er alle Vierteljahre coram publico 50 Stockstreiche erhalten.
Im Juli 1786 wurde in Kapfenberg die Züchtigungsstrafe an Paul Reininger vollzogen. Als Strafverschärfung wurde er nicht von Gerichtsdienern, sondern vom Scharfrichter selbst geprügelt: Am ersten Tag schrie der Gezüchtigte bis zum 40. Streich. Dreimal musste er gelabt werden. Am zweiten Tag schrie er nicht so heftig, aber am dritten Tag schrie er bis zum neunzigsten Streich ganz erbärmlich, worauf er ohnmächtig wurde und wieder gelabt werden musste.
Weil man erwartete, dass bei dieser Tortur der Delinquent zu Tode kommen würde, stand sicherheitshalber gleich ein Geistlicher bereit, der den armen Sünder in seiner letzten Stunde mit den Tröstungen der Religion speisen sollte. Doch Reininger überlebte.
Am 12. August 1786 traf er unter einem großen Zulaufe des Volkes auf dem Grazer Schlossberge ein, wo er nach denen in drei Monaten ausgehaltenen 400 Stockstreichen am 11. November 1786 seinen mörderischen Geist aufgab, wie es der Schriftsteller und Gründer des Heimatmuseum Mürzzuschlag, Franz Josef Böhm, in seiner Niederschrift zum Fall „Herzensfresser“ ausdrückte, die wiederum auf die vom Landesgerichtsverwalter Cajetan Wanggo 1816 verfassten Notizen basiert. Und weiter heißt es: Möchte diese Geschichte zugleich auch jeden Abergläubigen die Binde von der Stirne lösen, und von diesem scheußlichen Ungeheuer mit Schauder zurücktreten machen.
Auch heute noch steht das 1912 entstandene und mittlerweile mehrfach restaurierte Marterl am Herzlfresserweg auf das Troiseck nach Turnau an der Mordsstelle der unglücklichen Braut Magdalena, wie damals Fritz Oberndorfer, Regierungsrat aus Graz, schrieb. Die mit Farbe und Pinsel dargestellte Mordsszene zeigt mit folgendem Hinweis auf die Tatgeschichte:
Herzlfresser-Marterl
Herzlfresserweg wird hier genannt
Der Platz von alters her bekannt,
Wo im siebzehnhundertsechsundachtziger Jahr
Eine große Mordtat geschehen war.
Knecht Paul Reininger vom Aberglauben toll besessen,
Der lebte in dem Wahn –
Daß er sich unsichtbar machen kann,
Wenn er sieben Menschenherzen hätt’ gegessen.
Eine Bauernmagd, o großer Gott!
Die stach der Wüterich hier zu Tod
Und riß dann voller Wut und Freud
Das Herz dem Opfer aus dem Leib.
Sechs Menschen mußten unter seinen Händen
So grauenvoll ihr Leben enden.
Bis endlich kam auch dann der Tag,
Daß gefesselt er im Kerker lag.
Am Grazer Schloßberg in grimmiger
Haft Hat ihn der Tod hinweggerafft.
Zum Andenken an jene Tat,
Von der der Platz den Namen hat,
Stand hier dies Kreuz seit alter Zeit.
Der Mürztaler Wetterzauberer
Peter Rosegger beschäftigte sich mit einem weiteren Übeltäter dieser Gattung, der ganz in der Nähe, in Krieglach, auf Herzenjagd ging. Der Fall dürfte Rosegger möglicherweise deshalb so fasziniert haben, weil er in gewisser Weise mit dem Mörder verwandt war.
Mathias Bruggraber (auch Bruckgraber) kam am 17. September 1812 beim Grabenbauer in Alpl Nr. 35 zur Welt. Sein Pate war Joseph Roßecker, der Urgroßvater Peter Roseggers. Durch Verehelichung der Nachfahren entstand das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Mathias Bruggraber und Peter Rosegger. In seinen Aufzeichnungen nannte der Schriftsteller diesen furchteinflößenden Mann schlicht „Tiger“, denn er war in der Umgebung für seine Gefährlichkeit bekannt. Nicht nur die Krieglacher versetzte er in Angst und Schrecken, auch zu Hause dürfte es nicht sehr harmonisch zugegangen sein. Seine Frau wurde als nicht minder zänkisch beschrieben. Bei den Bruggrabers wurde viel gestritten, bis der wütende Ehemann eines Tages sein Messer nahm und seine Frau kurzerhand niederstach. Er selbst meldete daraufhin die Tat beim Gericht in Weiz. In den Sterbematrikeln der Pfarre Krieglach fand sich der Eintrag, dass Zäzilia Bruggraber, Bäurin vulgo Löwin in Freßnitz 1, im 43. Lebensjahr an Verblutung verstarb, worauf es zu einer gerichtlichen Leichenbeschau kam.
Viele Jahre – laut Rosegger waren es 15 oder 20 – büßte Bruggraber im Gefängnis Karlau in Graz und wurde 1855 anlässlich der allerhöchsten Entschließung von 7. April 1855 aus Anlaß der erfolgten Entbindung Ihrer Majestät der Kaiserin Elisabeth aus der Haft entlassen.
Als er zurück nach Krieglach kam, wurde er von den Nachbarn gemieden und verachtet. Gekränkt suchte er nach einer Möglichkeit, seinen Mitbürgern Schaden zuzufügen. Da erinnerte er sich an eine alte Sage, die er auch von einigen Mithäftlingen gehört hatte. Dieser Fama zufolge könne man mit Herzen von Jungfrauen schwere Unwetter zaubern.
Verwandt mit einem Herzlfresser: Peter Rosegger, 1912
Peter Rosegger berichtete vom Fronleichnamstag 1856, an dem zwei Mädchenleichen in Krieglach im gemeinsamen Grab beerdigt wurden. Die sechsjährige Appolonia Petz, vulgo Schneidersimmerltochter, und die achtjährige Walburga Königshofer, vulgo Grablertochter. Der gestresste Totengräber hatte so viel zu tun, dass er keine Zeit hatte, das Grab gleich im Anschluss zuzuschaufeln und hob sich diese Arbeit für den Abend auf. Als er den Spaten mit Erde befüllte und in die Grube blickte, sah er, dass Hobelspäne, die früher den Toten als Kopfkissen in den Sarg gegeben wurden, außerhalb der Särge verstreut war. Nach näherer Begutachtung entdeckte er, dass die Särge leer waren. Das Volk war in Aufruhr! Am Tag darauf fand ein Bauer im nahegelegenen Gölk die beiden an der Brust geöffneten Leichen, die mit Moos und Heidekraut bedeckt waren. Weitere Untersuchungen ergaben, dass den toten Mädchen Herzen und Teile der Leber entnommen worden waren. Die behördlichen Ermittlungen erbrachten keinerlei Ergebnis. Mathias Bruggraber, alias „Tiger“, soll sein Schweigen erst am Totenbett gebrochen haben. Was er mit den Herzen tatsächlich gemacht hat, ist nicht bekannt.
Читать дальше