Babaji war von seinem Sitz aufgesprungen, hatte meinem Mann "komm" zugeraunt und war um das Zelt herum, den langen Gartenweg hinunter, in das Haus gegangen, in dem er ein Zimmer bewohnte. Unter all den erhaltenen Geschenken, die dort abgelegt worden waren, befand sich ein Stapel Tücher. Babaji hatte seine Hand seitlich darüber gleiten lassen und schließlich ein fünf Meter langes, kleingemustertes Stück Stoff herausgezogen.
"Turban, aus Rajasthan", hatte er dazu gesagt.
Anschließend war Babaji auf seinen Sitz im Festzelt zurückgekehrt, nicht ohne meinen Mann angewiesen zu haben, sich von Shastriji den Turban um den Kopf wickeln zu lassen.
Die indische Tracht kleidete ihn gut, sie unterstrich die Schlankheit seiner Gestalt, und unter dem Turban schaute ein blondes, bärtiges, feingliedriges Gesicht hervor. Innerlich bekämpfte ich meine Gefühle. Sie hatten keine Berechtigung meine Ausgeglichenheit durcheinanderzubringen und taten es dennoch mit einer nie erwarteten Stärke. Ich schämte mich. Wie konnte ich mit diesen Gefühlen in der Brust Babaji gegenübertreten? Folglich ging ich nicht mehr zum Darshan, sondern folgte dem Pfad zu der, mit Fichten bewachsenen, Lichtung hinunter zum klaren Bach. Dort ließ ich mich erschöpft nieder. Ich wusste, dass nur Babaji mir in dieser Situation helfen könne, und flehte ihn innerlich um Hilfe an. Ich bat ihn, mir dieses Gefühl, das mich so unvermittelt angesprungen hatte, für immer zu nehmen, ich wollte es nicht, es erschreckte mich. Ein Abgrund tat sich vor mir auf. Vergessen war, dass mir Babaji bei meinem ersten Aufenthalt in Haidakhan, das mir wohl kostbarste Geschenk, einen Armreifen, um das Handgelenk gelegt hatte. Kostbar nicht im materiellen Sinne, sondern im spirituellen. Ein Reif ähnlich den Gliedern einer Kette stellt die Verbundenheit, das Aneinander-gekettet-sein, dar. Zwei oder dreimal muss ich wohl an dem Bächlein mit blutendem Herzen gesessen haben, bevor eine Milderung eintrat.
Endlich kam der Abend, an dem ich Babaji wieder unter die Augen treten konnte. Als er mir segnend die Hand aufs Haupt legte und mir nickend in die Augen schaute, wusste ich: der Kampf ist beendet! Und von dieser Sekunde an konnte ich die Freude mit meinem Mann teilen. Und nicht nur mit ihm. Wann immer ich bewusst wahrnahm, dass jemand beschenkt wurde, im großen oder kleinen, verspürte ich dessen Freude in Form von Energieströmen in der Wirbelsäule. Überhaupt verlor dieses Thema zusehends an Interesse; was zählte, war das innere Wachstum und der verinnerlichte Kontakt zu Babaji.
Einmal noch, nach drei Jahren Lehrzeit, überkam mich das Gefühl des "Haben-Wollens", obwohl ich meinte, davon nach dem letzten Erlebnis endgültig geheilt zu sein. Es war auf einer Reise durch Südindien.
Wir befanden uns in Baroda, im Staate Gujarat. Babaji hatte in den kühlen Nachmittagsstunden im Garten eines Schülers auf einer Hollywood-Schaukel Platz genommen. Sanft schwang sie hin und her. Viele Menschen saßen auf dem kurzgeschnittenen, saftig grünen Rasen. Einer nach dem anderen ging vor zu ihm, verneigte sich und überreichte kleine Gaben. Ich saß in der Menge und schaute dem bunten Treiben zu. Beim Arti wurde Babaji ein goldfarbener Sari um den Kopf und die Schultern gelegt. Beim Anblick des Saris, dessen Farbe mir so gut gefiel, obwohl sie für europäische Begriffe recht grell war, rasten mir plötzlich wie wild Gedanken durch den Kopf: Gelb ... die Farbe der Weisheit... wer bekommt wohl den Sari? Ob er ihn mir schenkt? ... Trotz größter Anstrengung konnte ich den Gedankenfluss nicht unterbrechen .... Ich will ja keinen Sari, dennoch, er ist so schön... Ob er ihn mir schenkt?
Plötzlich hörte ich meinen Namen. Babaji rief mich. Mir wurde ganz heiß vor Scham, als ich aufstand, um zu ihm zu gehen. Ich ahnte, weshalb er mich gerufen hatte. Als ich verlegen vor ihm stand, riss er den Sari mit einem Handgriff von den Schultern und warf ihn mir mit einer heftigen Gebärde in den Arm. Ich hätte im Boden versinken mögen, verstand ich doch diese Geste, mit der er mir sagte:
"Gebe ich dir nicht genug? Bekommst du nicht alles von mir, was du willst? Warum musst du dich an materielle Dinge hängen? Wann wirst du deine Lektion gelernt haben?!"
Wie ich auf meinen Platz zurückkam, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich wochenlang zögerte, den Sari anzuziehen.
Natürlich hat mich Babaji im Anschluss immer wieder geprüft und mich in Versuchung geführt. Er zeigte mir Schmuckstücke und fragte, ob sie echt sein. Jedesmal ging ich dann in mich, um meine Regungen zu überprüfen, doch es regte sich keine Begierde. An Äußerlichkeiten hatte ich jegliches Interesse verloren. Das hinderte Babaji nicht daran, mir eines Tages die Schmuckstücke, die ich begutachtet hatte, zu schenken, sozusagen als Preis für die bestandene Prüfung.
***
Dem Arti folgte ein Yagna. Auf der geräumigen Dachterrasse, auf der leicht zweihundert Menschen Platz hatten, war eine viereckige, rot, mit Lehm ausgekleidete Yagna-Grube gemauert worden. Leichtfüßig wie eine Gazelle sprang Babaji nach dem Arti behend die Stufen zur Terrasse empor und ließ diejenigen, die ihn umringt hatten, überrascht zurück. Im Nu saß er an seinem Platz an der Feuergrube, - flüchtig hatte er mir im Vorbeieilen ein "Komm" zugeflüstert - und gab kurz hier und da eine Anweisung. Die Gastgeberin hatte zu seiner linken Seite Platz genommen, andere Frauen in ihren bunten Saris umringten ihn stehend. Sie legten Babaji die Fingerspitzen auf den Rücken, auf die Schulter, um - da sie nicht selbst die Gaben ins Feuer warfen - auf diese Weise am Yagna teilzuhaben. Rund um die Grube saßen die Männer des Hauses und andere. Sri Muniraji war wie üblich an Babajis rechter Seite und Shastriji rezitierte stehend Mantren aus den Heiligen Schriften. Hell loderten die Flammen auf und züngelten Babaji entgegen, während er flüssiges Butterfett ins Feuer gab. Still war es, man hörte nur das Knistern des Feuers und die Stimmen der Opfernden. Alle konzentrierten sich nach innen, unhörbare Gebete stiegen in den Himmel und erflehten den Segen der Himmelsmächte. Hinter Babaji stehend, versuchte ich das Yagna innerlich nachzuvollziehen und bat darum, von den Flammen gereinigt zu werden, mehr und mehr wollte ich aufnahmefähig sein für das Göttliche. Die Einheit zu erfahren, ganz in ihr aufzugehen, war mein Ziel. Babaji repräsentierte für mich diese allumfassende, unbegrenzte Einheit. Eine grenzenlose Sehnsucht erfasste mein ganzes Sein.
Tief versunken in diese Gedanken bemerkte ich nur am Rande, dass Babaji nach der Beendigung des Yagnas aufgestanden war und über die Brüstung der Terrasse schaute. Jäh wurde ich aufgeschreckt. Jemand hatte mich angetippt. Ich glaubte, ich solle den Weg freimachen für Babaji. Da jedoch genügend Platz vorhanden war, zuckte ich nur mit den Achseln. Wieder wurde ich angestoßen, diesmal unmissverständlich. Was wollte man von mir? Ich blickte auf und begegnete den schelmischen Augen Babajis, der zu mir herüber nickte. Als ich vor ihm stand, drückte er mir den Sari, den er kurz vor dem Yagna erhalten und um den Hals gelegt hatte, in den Arm. Ungläubiges Erstaunen erfüllte mich.
"Für mich?"
Als ich dann seine Füße leicht mit den Händen berührte, wurde ich von einem Schluchzen geschüttelt. Babaji hatte seinen Fuß auf meine Hand gestellt. Er ließ mich nicht los und die Sehnsucht, die ich innerlich so stark gespürt hatte, floss wie ein Strom in ihn hinein. Als ich mich endlich aufrichteten konnte, zeigte Babaji auf das Ende des fünf Meter langen Saris, das auf dem Boden lag.
"Deins", sagte er. Ich hob den Stoff auf.
"Deins", wiederholte er und deutete lächelnd auf das andere Ende des Saris. Unter Lachen, während mir die Tränen über das Gesicht kullerten, hob ich auch das zweite Ende auf... Schweigend standen wir noch ein Weilchen beieinander; die anderen, die zuschauten, bemerkte ich nicht.
Читать дальше