Fliegen heißt die Zeit durcheinander bringen, gleich ob man mit der Sonne fliegt oder gegen sie. Die hatte bei meinem Abflug schon flach über das arrogant stachelige Gesicht Frankfurts hinweg geschielt. Doch bei meiner Ankunft in Amman tat sie wie nie dagewesen. Fliegen, das heißt aber auch den sich drehenden Erdball in Turbulenzen bringen. Aus dem Fenster gleich nach dem Abheben in Frankfurt noch ein wehmütiger Blick auf die dicht-deutschen Wälder, auf dem Bildschirm über mir aber schon eine andere Welt. Denn die vertrauten deutschen Städtenamen erschienen in den malerischen Schnörkeln des arabischen Alphabets. Als hätten die Söhne Allahs nicht zweimal vor den Toren Wiens Kehrt machen müssen, als wären sie nicht bei Tours und Poitiers vernichtend geschlagen worden, als hätte die katholische Reconquista sie nicht auch noch aus der letzten Ecke Spaniens vertrieben. Vor mir auf dem Bildschirm die Deutschlandkarte in Arabisch. Verheißung, Drohung oder nur Vexierbild? Jedenfalls gut, dass man gelernt hat, dem Bildschirm zu misstrauen.
Das Hotel Al Rasheed ist die Standardherberge Bagdads für die neugierigen Ausländer. Oder sollte ich mit stolzgeschwellter Brust sagen: Für uns Frontberichterstatter? Auf der nach Osten in den Tigris hineingedrückten breiten Landzunge, wo nur wenig Wohnbebauung ist, haben sich Hauptbahnhof und Planungsministerium, Ölministerium, Informationsministerium, Parlament und Palast der Republik, auch Rundfunk und Fernsehen sowie Zentrale der Baathpartei mit klotzigen Bauten versammelt. Soviel vom Hörensagen.
Mittendrin das Hotel Al Rasheed, doch von meinem Fenster aus, im neunten der vierzehn Stockwerke, kann ich die imponierend modernen Bauten zwar sehen, aber nur sehr vage ihren Bezeichnungen zuordnen. Weil es keinen Stadtplan gibt. Wie es auch keine Straßenkarte des Irak gibt. Auf meine Frage nach diesen so selbstverständlichen Hilfsmitteln für Fremde heißt es achselzuckend an der Rezeption, das Land sei bereits im Verteidigungszustand. Was ich kommentarlos hinnehmen muss. Selbstverständlich ist diese Behinderung der feindlichen Aufklärung notwendig. Bei dem Gedanken, dass die Amerikaner und Briten sämtliches Kartenmaterial aufgekauft haben könnten, um die Iraker bei ihren Verteidigungsanstrengungen in die Irre zu führen, kann ich mir ein sardonisches Lächeln nicht verkneifen. Jedenfalls wäre der Ankauf aller Karten billiger gewesen als Aufklärungsfotos aus dem Weltraum zu schießen.

Blick aus dem Hotelfenster

Das Hotel Al Rasheed
Das wüstenbraune Hotelhochhaus ist eine moderne Variante des Turms zu Babel. Aber fertiggestellt, das macht den Unterschied. Eine riesige Halle, ein ebenso großzügig dimensionierter Restauranttrakt, Läden, Wechselstuben, die Rezeption an drei langen Theken, sechs Aufzüge. Und keinen einzigen Knopf muss der Gast selbst drücken, weil überall diensteifriges Personal herumsteht. Alles funktioniert, dem desaströsen biblischen Vorbild zum Trotz. Dabei spricht auch hier jeder eine andere Sprache. Und jeder wird sich schon bald in eine andere Weltecke zurückziehen. Wer hier herumläuft, hat eine schwere Videokamera geschultertoder wenigstens ein Stativ. Oder er hat eine Profikamera in der Hand. Oder eins von den netten kleinen Tonbandgeräten in der Jackentasche, mit denen er die O-Töne für seinen Sender einfängt. Alle anderen sind Leute von der schreibenden Zunft. Sie weisen sich dadurch aus, dass sie an buntem Band ein handtellergroßes Schild auf der Brust baumeln lassen, das sie mit Farbfoto als akkreditierte Journalisten ausweist. Ich habe nichts auf der Schulter, nichts in der Hand oder Jackentasche außer meinem Notizheft mit Kugelschreiber und auch kein Schild auf der Brust. Einige Dutzend Journalisten sollen im Moment hier herumwedeln. Und zwischen all den eifrigen Adepten des Aktuellen ein deutscher Schriftsteller in der Rolle des Internet-Publizisten. Immer mit Notieren beschäftigt, im Stehen und Gehen und Sitzen und sogar im Liegen. Und nebenbei mit meiner kleinen Digitalkamera beim Schnappschießen.
Darüber hatte ich vergessen, meinen Mann aus dem Sudan nach seinem Namen zu fragen. Er hätte ihn mir sicher gerne genannt. Was denn war ihm wohl wichtiger als sein Name? Darin sind wir doch alle gleich. Es sei denn, auch er gehörte zum irakischen Geheimdienst, dessen Leute selbstverständlich zwischen den herumwuselnden Fremden waren. Als Journalisten getarnt oder als Personal. Ein Spitzel als sudanesischer Empfangschef? Eine besonders witzige Maskerade. Aber für mich nicht recht glaubhaft. Seit Jahren frage ich mich nun, was aus dem Mann mit dem freundlichen Begrüßungslächeln geworden ist. Und meine Fragen sind so dissonant, wie die täglichen Nachrichten aus dem fernen Irak. Wo steht er heute? Oder muss ich mich fragen: Wo ist er liegen geblieben? Oder sitzt er vielleicht?
Die Arroganz der Macht
MEIN KLEINER FAHRER
Die Staatskarossen, nagelneue Drei-Liter-Limousinen mit getönten Scheiben und verhängtem Rückfenster, stehen immer vor der Hoteltreppe für uns bereit. Ein schwarzer Mercedes und zwei helle Hyundai. Die Fahrer plaudern mit Hotelangestellten und eilen zu ihrem Fahrzeug, sobald wir zum Hotelausgang kommen. Wir, das ist die kleine Gruppe von sechs Deutschen, die auf Vorschlag der Deutsch-Irakischen Gesellschaft und der Gesellschaft für Europäische Außen- und Sicherheitspolitik in den Irak eingeladen wurden, damit sie sich ein Bild von dem Land machen können, das der amerikanische Präsident George W. Bush als den aktuellen Gefahrenherd für den Weltfrieden bezeichnet und mit einem Angriffskrieg bedroht. Einer von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, einer vom Spiegel, zwei Mitarbeiter diverser anderer Blätter, dazu der Organisator, ein freier Journalist, und ich als der Herausgeber des politisch-literarischen Internet-Magazins „Netzine.de“, das weltweit gelesen wird, wobei die amerikanischen Leser nach den deutschen die zweitstärkste Gruppe bilden.
Wir sechs Mann wurden eingeladen, weil Saddam Hussein der Welt das wahre Bild des Irak zeigen wollte. Dafür werden wir in Luxuskarossen mit Stander herumgefahren. Denn für die Information der Weltöffentlichkeit ist in diesem allerletzten Augenblick natürlich jeder Aufwand gerechtfertigt. Ich gehöre zu dem dritten Wagen, dem mit dem kleinsten, aber auch fröhlichsten Fahrer.
Dieser Mann im grauen Anzug mit lichtblauem Hemd ist fast so breit wie hoch, mit nur noch wenig Haar, schwarz und militärisch brav kurzgeschoren. Dafür trägt er das unvermeidliche schwarze Schnurbärtchen. Der Prophet Mohammed hat vorgeschrieben, dass ein gläubiger muslimischer Mann Bart trägt, habe ich gelesen. Und auch dieser dunkle Strich gilt als Bart. Schöner Kontrast zu den tadellosen Zähnen, die aufblitzen, wenn er lacht. Und er lacht fast immer. Wenn wir auf Englisch mit ihm sprechen, über Belangloses natürlich nur, und wenn er mit seinen Kollegen zusammen ist und auf uns wartet. Erst recht lustig findet er es, wenn er sieht, wie die Leute mit ihren durchweg altersschwachen Vehikeln zur Seite flitzen, sobald sich unsere Wagenkolonne nähert. Er hat seine helle Freude an den jähen Ausweichmanövern und den Vollbremsungen, gleich ob das Taxis sind oder Lastwagen oder Privatwagen. Sämtlich meist halbverrostete Karren. Auf der Straße zeigt das vom Westen über den Irak verhängte und schon zu lange währende Handelsembargo Wirkung. Verrottete VW-Taxis aus brasilianischer Produktion. Die Wagen der Einheimischen müssen 20 und 30 Jahre durchhalten. Da wird mit Blechstreifen und Draht und Kordel und Lederriemen nachgeholfen, damit das Gefährt zusammenhält. Ich sehe diese armseligen Vehikel und kann mir gut vorstellen, wie schwer hier der Alltag eines kleinen Händlers oder Handwerkers oder Taxifahrers ist.
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