Unserem Bus ist er damit weit voraus, denn der rollt gerade in das als Harbour City bekannte Nanaimo ein und macht 40 Minuten Pause. Viel ist das nicht, für ein paar Schritte reicht es aber: Restaurierter Pelzhandelsposten, Sandstrände und warmes Wasser der Strait of Georgia, Tauchgründe, drei Fährterminals, moderner Tiefsee-Hafen, zwei Dutzend Parks und der fünf Kilometer lange Promenadenweg „Harbourside Walkway“. Seine Existenz verdankt die drittälteste Stadt von B.C. ebenfalls der Hudson’s Bay Company, die sich hier für Kohle, Pelze und Holz interessierte. Der Küstenstreifen des Ortes, zu dem auch die Königin der Golfinseln, Gabriola Island, zählt, war wohl auch zu Zeiten der Salish-Küstenindianer schon eine bekannte Gegend, denn sie nannten den Ort Nanaimo, „Versammlungsplatz“.
Der Bus fuhr mit uns und meinem netten Nachbarn John Richtung Port Hardy auch pünktlich weiter, doch möchte ich hier einen Sprung in die Zukunft machen, denn genau zehn Jahre später waren wir wieder hier, in Nanaimo, und hatten mit dem Wohnmobil nachgeholt, was beim ersten Anlauf nicht verwirklicht werden konnte: Die Westküste der Insel. Dieses Mal standen wir auch nicht am Anfang einer Reise, sondern waren bereits mitten drin. Nach zwei Auto-Wochen in Alaska waren wir nach Calgary geflogen, um von dort mit dem Wohnmobil unsere Rundreise anzutreten, die mit einem großen Bogen durch das Kananaskis Country begann. Danach standen der nördliche Cowboy Trail, das Rocky Mountain House und der David Thompson Highway auf dem Programm, der bei Saskatchewan Crossing an den Icefield Parkway anschließt und uns einmal mehr über Lake Louise, den Rogers Pass und Williams Lake zum Pazifik dirigierte. Mit unseren Reiterfreunden in Anahim Lake hatten wir Geburtstag gefeiert, danach die rund 300 Kilometer zwischen Bella Coola und Port Hardy mit der Fähre überbrückt, und nun lag auch die Westküste schon hinter uns. Vor uns noch die Überfahrt von Victoria zum amerikanischen Port Angeles und die Staaten Washington, Oregon, Idaho und Montana. Dem südlichen Cowboy-Trail wird es dann vorbehalten bleiben, um in Calgary unter unsere Reise 2010 den Schlusspunkt zu setzen.
Amerika ist ein Kapitel für sich, aber der Blick zurück bis nach Bella Coola, als auch zur Westküste sei schon hier eingefügt, denn Vancouver Island werden wir wohl kaum noch einmal betreten.
Nach zwei Tagen am Anahim Lake und meinem Geburtstag mit Joyce und David im „Eagles Nest“ – von ihnen wird später noch die Rede sein – rollten wir in Bella Coola morgens um 7 Uhr auf die vor acht Monaten gebuchte Queen of Chilliwack, die mit dieser Fahrt ihre Saison 2010 abschloss. 1978 in Norwegen gebaut lassen ihre 5.880 PS maximal 12,5 Knoten zu, denn die Kraft wird für die Ladung des 115 Meter langen Schiffes gebraucht, das etwa 115 Fahrzeuge und 400 Personen an Bord nimmt. Die „Queen“ wählt den langen Weg nach Port Hardy und sucht sich nach Ocean Falls seinen Weg durch die Fjorde nordwärts, um Klemtu im Finlayson Channel auf Swindle Island anzulaufen. Danach richtet sich der Bug wieder nach Süden aus, um über Shearwater und Bella Bella den Queen Charlotte Sound des Pazifiks anzusteuern. Bis an die Nordspitze von Vancouver Island ist die Fähre 48 Stunden unterwegs und muss dabei auch zweimal zwei Stunden warten, bis die Flut ein neues Auslaufen erlaubt. Die Annehmlichkeiten an Bord sind zwar nicht die gleichen wie sie auf der „Inside Passage“ Standard sind, doch reichen Schlafsessel, Duschen, Cafeteria und Snackbar für diese kurze Tour auch aus.
Das Wetter war uns leider nicht hold. Regen und Nebel gaben die schöne Umgebung nur schemenhaft preis, und in Ocean Falls, wo die erste Wartezeit fällig wurde und es fast immer regnet, so dass die wenigen Einwohner auch den Beinamen „Rain People“ tragen, kam es dann auch richtig runter. Diese nasse Tatsache ließ sich nur mit „Pech“ kommentieren, denn die seit 1996 von „BC Ferries“ im Sommerservice bediente „Discovery Passage“, die den gemäßigten Regenwald des Südwestens mit den Bergen und Grasgebieten des Zentralen Interiors verknüpft, ist eine interessante und schöne Tour. Hinter dieser Idee steckt aber nicht nur der touristische Gedanke, sondern auch das Konzept, den Tourismus zu nutzen um eine Fähre zu unterstützen, die für die Versorgung der abgeschiedenen Orte dringend gebraucht wurde. Der Tourist findet eine weitere Rundreisemöglichkeit zwischen Williams Lake und Vancouver Island, und das Schiff eröffnet ihm abgeschiedene, geschützte Meeresarme in denen sich Weißkopf-Seeadler, Wale und Delphine tummeln, oder Inseln, auf denen noch die seltenen weißen Kermode Bären anzutreffen sind. Die Fähre ankert auch vor kleinen Siedlungen inmitten verzweigter und von Bergen umstellter Fjorde und gelegentlich wird der Gast auch mit Folklore oder einem Lachs-Grillfest überrascht. Und wenn eine Schule Orkas in der Nähe ist, dann dreht der Kapitän das Schiff schon mal kurz in eine andere Richtung.
Unterwegs wird auch so mancher Kajakfahrer aufgenommen oder zu Wasser gelassen, und zu Sherwater – im Zweiten Weltkrieg eine 2.000-Mann-Militärbasis – erwartet heute ein modernes 22-Zimmerangebot die Petrijünger zu geführten Anglertouren. Auf der kleinen Insel liegt auch Bella Bella, das von etwa 1.500 Heiltsuk-Indianern bewohnt wird und eine Umsteigemöglichkeit auf die Fähren der Inside Passage bietet. Möglich ist das aber nur in den Sommermonaten, wenn die Fähre aus Prince Ruppert einmal wöchentlich in der McLaughlin Bay anlegt. Schließlich hat auch Ocean Falls neben dem Regen noch eine weitere Besonderheit: Das Schiff legt direkt vor dem „Court House“ an, dem einzigen großen Gebäude im Hafen. Seine Bekanntheit verdankt der Ort allerdings nicht der Tatsache, dass seine Papierfabrik, die 3.300 Menschen Arbeit gab, 1980 geschlossen wurde, sondern dem in der Nähe zu findendem Alexander Mackenzie-Felsen. Dieser erinnert daran, dass jener 1793 über Land die Pazifikküste erreichte und hier seinen Namenszug hinterließ.
Und wer in umgekehrter Richtung unterwegs ist und in dem kleinen, größtenteils von Indianern bewohnten Bella Coola wieder an Land geht, kann sich vor der Weiterfahrt auch noch ein paar entspannte Tage gönnen, denn die Küstenlandschaft bietet dazu viele Möglichkeiten. Mein Tipp dafür wäre die Tweedsmuir Park Lodge, ein rustikal-gemütliches, einladendes „Wilderness Resort“ mit Hauptgebäude und Chalets, das auch geführte Touren in die Natur anbietet. Wenn im Herbst die Lachse eintreffen, dann sind die Grizzlys im nahen Atnarko River noch eine besondere, kostenlose Zugabe. Wer es eiliger hat und Tal, Pass und Plateau schneller hinter sich bringen muss, um Williams Lake, den Mittelpunkt des Cariboo Landes, oder die dortigen Anschlüsse in alle Landesteile zu erreichen, dem bleiben auf den knapp 500 Kilometer der „20“ noch genügend Möglichkeiten, sein Tempo zu drosseln.
Der „Hill“, wie der Heckman-Pass (Schotterstraße) bei den Einheimischen hießt, bietet auch den Zugang zum Tweedsmuir Provincial Park, in dessen einsamer Wildnis der Naturmensch alles findet was sein Herz begehrt. Blühende Bergwiesen, weite Täler, Wasserfälle, glasklare Seen und Flüsse, Gletscher, die bunten Regenbogen-Berge und dichte Naturwälder. Es ist eine Wunschgegend ohne jeden Weg, um mit Rucksack, Kanu, Pferd oder Wasserflugzeug in ihr unterwegs zu sein. Auch anschließend locken im westlichen Teil des Chilctins noch mehrere Schotterstraßen und Lodges in eine fantastische Seen- und Bergwelt, während im Osten Ranches, Salbeibüsche, Grasland und halbwüstenartige Landschaften dominieren. Aber dazu kommen wir später.
Zurück zu unserer „Queen“, mit der wir am nächsten Morgen gegen 9 Uhr im Hafen von Port Hardy einlaufen, wo sich der Himmel noch immer verhangen präsentiert und auch die 797 Kanadischen Dollars (340 für uns, der Rest fürs Wohnmobil) endgültig „abgefahren“ sind. Und weil Port Hardy für uns kein Neuland ist, geht es unter dem grauen Himmel auch gleich weiter nach Telegraph Cove, wo in der Queen Charlotte Strait ganzjährig Schwertwale zu Hause sind und wir um 12 Uhr bei „Stubbs“ eine Tour reserviert haben. Als wir dort einbiegen kämpft sich auch die Sonne wieder durch die Wolken und taucht das pittoreske Örtchen in gespenstiges Licht. Eine Handvoll kleine Häuser, und die meisten von ihnen ruhen auf Stelzen und lehnen sich an der linken Seite des kleinen Hafens an den Hang und seinen hölzernen Boardwalk an. Der winzige Parkplatz befindet sich gleich am Ortseingang, denn anderswo gibt es „bei Wasser und Holzstegen“ keine Möglichkeit. Und die zweistündige Tour, für die pro Person 100 Dollar fällig wurden? Man hätte sie sich auch schenken können, vor allem bei diesem grauen Schauerwetter mit peitschendem Wind. Wer noch nie Wale gesehen hat, der wird hier immer fündig, denn diese Schwertwale, oder Orcas, leben hier in kleinen Familienverbänden oder treten in Schulen auf. Im Gegensatz zu den lustigen Buckelwalen springen sie selten, und von ihrem wunderschönen schwarzweißen Körper war bei der aufgewühlten See auch nicht mehr zu sehnen als das markante Dreieck der Spitzen Rückenflosse. Für Buckelwale war die Zeit nicht ganz passend, und die zwei oder drei „Pinks“, als auch einige Seelöwen und Weißkopfseeadler konnten dann auch nicht mehr viel retten. Vielleicht hatten wir auf dieser Fahrt auch ganz einfach kein Glück, denn ein paar Tage später war es in Tofino ähnlich, obwohl die Jahreszeit für die Westküste nicht die schlechteste war. Dennoch: Es gibt andere Orte, an denen man die Meeressäuger wirklich „erlebt“. Und dann heißt das Zauberwort dafür auch „Zodiak“, nicht Fischerkahn, um mit ihnen fast auf gleicher Höhe zu sein. Aber was soll‘s. Das Wetter muss man nehmen wie es ist, und die Wale sind eben auch nicht immer dort, wo man sie gerne hätte. Dafür entschädigen am Abend schönes Wetter und der empfehlenswerte Campingplatz „Fisherboy Park“ in Sayward. Die Anlage, die auch über Motel und Hütten verfügt, ist adrett wie die alten Bäume und der umliegende Wald schön. Eine nette Zugabe sind die durch Kettensägen entstandenen und den gepflegten Rasen dekorierenden Holzplastiken, die auf dieser Insel zu den größten privaten Sammlungen ihrer Art zählen. Wir werden ihnen und dem nahen Salmon River auf einem kleinen Spaziergang auch noch etwas Zeit widmen, doch jetzt haben Grill, Stakes und Gemüse Vorrang, und das heißt Holz hacken und Feuer machen!
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