»Ihr wollt mir einreden, dass ich halluziniert hätte.«
»Soweit wir wissen, bist du geistig und körperlich vollkommen …«
»Danke!«
»… gesund.«
»Warum ist es zurückgewichen?«
»Es hat sich vollkommen im Rahmen der bisherigen Fluktuationen verhalten.« Silesio war das Bedauern darüber anzuhören, dass er sämtlichen Spekulationen das Wasser abgraben musste. »Weder die Heftigkeit der Positionsänderung noch die Tiefe der Kontraktion gehen über das bisherige Maß an Oszillationen hinaus. Wir hatten zwei Minima, die noch um einige Meter hinter deinem Ereignis zurücklagen, und mehrere spontane Kontraktionen, die noch ruckartiger waren. Von mathematischer Seite lässt sich keine Handlung, die als Reaktion zu interpretieren wäre, erkennen.«
»Aber ich spürte etwas. Zumindest eine starke Wärme in der rechten Hand.«
»Groenewold hat dir Gewebeproben entnommen und deinen Arm kernspintomografiert. Nichts deutet auf externe Energieeinwirkung hin. Immerhin müsste sie stark genug gewesen sein, um deinen Schutzanzug zu durchdringen, dessen Sensoren im Übrigen auch nichts erfasst haben.«
»Also bin ich wohl einfach plemplem!«
»Ich vermute einen Effekt nach Art des autogenen Trainings. Durch die extreme Konzentration, die du im Augenblick der vermeintlichen Berührung auf die Hand bündeltest, erzeugtest du eine verstärkte Durchblutung und damit Wärmeempfindung. Tibetische Mönche haben auf diese Weise nasse Tücher getrocknet, die man ihnen in eisigen Winternächten über die nackten Körper breitete.«
»Dann muss ich eben noch mal raus. Oder am besten, wir gehen zu mehreren.«
Die nächsten Tage vergingen ereignislos. Commander Carlssen rieb sich in unendlichen Verhandlungen mit Luna auf, die nicht nur ergebnislos verliefen, sondern bei denen auch kaum festzustehen schien, worum man sich überhaupt stritt. Silesio äußerte, als der Commander nach einer zwölfstündigen Marathonsitzung völlig entnervt auf die Brücke wankte, den Verdacht, das Opak könne seine Umgebung doch beeinflussen, zumindest erscheine ihm das Verhalten Carlssens und der Behörden, mit denen er im Clinch lag, allmählich genauso undurchsichtig und opak wie das unerklärliche Objekt, das die Unannehmlichkeiten ausgelöst hatte, einen Kilometer neben unserem Schiff. Sie blieben weiterhin längsseits und setzten die robotische Überwachung des fremdartigen Phänomens fort. Theresas Gequengel, dass sie – allein oder in Begleitung – einen weiteren Weltraumspaziergang unternehmen wolle, ging den anderen auf die Nerven und selbst Gus protestierte kaum noch, sondern trottete ergeben aufs Drohnendeck, wenn Carlssen ihn eine weitere Routine durchführen oder eine neue Sonde fertig machen schickte. Auch seine ätzende Negativität erlahmte und fast hätte uns seine neuartige Gleichgültigkeit unheimlich sein sollen. Sie klinkten noch einen Spezialsatelliten aus, der sich exakt im Inneren des wolkigen Objekts positionierte. Aber außer einer geringfügigen Verschlechterung des Funkverkehrs, die in etwa der Abschirmung der Lambda-III-Module entsprach, die sie auf der anderen Seite des Opak in Stellung gebracht hatten, ergab auch diese Maßnahme keine Resultate. Terabyte um Terabyte an leeren Daten, sinnlosen Informationen wurden in die Speicher der Dorset geladen. Messungen und Überwachungen, die sich in nichts von denen unterschieden, die sie registriert hätten, wenn sie einen x-beliebigen Quadranten leeren Raumes untersucht hätten. Zwei Wochen nach dem Rendezvous drohte sich ein Lagerkoller auszubreiten. Eine dumpfe, verstockte Schweigsamkeit beherrschte die Crew, die nur noch zu einzelnen gereizten Wutausbrüchen ihr schwerfälliges Brüten unterbrach. Selbst die alltäglichen Manöver und Kontrollen wurden wortlos oder unter aggressivem Genuschel durchgeführt. Und dann geschah es.
»Kommt schnell, so kommt doch! Warum hört mich denn niemand?«
Die Alarmanlage schrillte elektrisch, aber sie war nicht von Durchsagen der Automatik begleitet. Jemand musste sie manuell betätigt haben.
»Wo bleibt ihr denn? Theresa! Commander! Oh mein Gott!« Groenewold rannte über den Gang des Wohntraktes, in dem sich eben die ersten Türen öffneten. Sie trug nur einen fleischfarbenen BH und eine Stretchhose, in der sie anscheinend zu schlafen pflegte. Ihre Augen waren rot und ließen vermuten, dass sie sonst Kontaktlinsen benutzte. »Er dreht durch! Wir müssen ihn sofort zurückholen.«
Carlssen stürzte aus Theresas Kabine und lief, ohne seine Zweite Offizierin eines Wortes für würdig zu erachten, auf die Brücke hinaus.
»Automatik: Meldung!«
Seit ein paar Tagen war der Schichtbetrieb gelockert worden, sodass das Cockpit während der Nacht unbesetzt blieb, und natürlich passierte es kurz nach Mitternacht.
»Schadensmeldung und Selbstkontrolle! Aus welchem Grund wurde der Alarm aktiviert?«
»Ich war das.« Groenewold hatte den Commander eingeholt und betrat neben Theresa die Brücke.
»Was ist los? Ich habe keine Fehlermeldung?«
»Gus! Er ist auf dem Drohnendeck!«
»Als Bordingenieur ist das sein gutes Recht. Der Zeitpunkt ist allerdings etwas exzentrisch gewählt.« Carlssen ließ einen Monitor aufflammen und auf die Innenkamera des Drohnendecks gehen. Dort war nichts zu sehen.
»Automatisches Schott VII im Bereich des Shuttledecks geschlossen«, quäkte die Automatik. »Ein Mann mit A-13-Tornister bereit zum Ausstieg.«
»Er hat gesagt, er will das Ding fertigmachen.« Evchenwarf den anderen einen unguten Blick zu.
»Da ist er. Gus!« Carlssen hatte den Techniker im äußeren Bereich jenseits der Luftschleuse entdeckt. Er trug einen Raumanzug und einen düsengetriebenen Tornister, mit dem er sich frei außerhalb des Schiffes bewegen konnte.
»Gus, was machst du da?«
Die Gestalt auf dem Monitor reagierte nicht, sondern strebte entschlossen dem hinteren Schacht zu, der für personelle Ausstiege ohne Fahrzeuge vorgesehen war.
»Gus! Mach sofort Meldung!«
»Er hat seine Kommunikationsautomatik abgeschaltet; er kann uns weder hören noch mit uns sprechen.« Theresa versuchte, das Programm zu aktivieren, das in Notfällen den Kontakt zu handlungsunfähigen Astronauten ermöglichte. »Er hat den Empfänger manipuliert. Ich kann seine Blockade nicht durchbrechen.«
»Er wird sich etwas antun!« Groenewold hatte sich an Silesio gehängt, der als Letzter die Brücke betrat und mühsam versuchte, die Situation zu erfassen.
»Verdammt noch mal, was hat er vor?« Carlssen verfolgte, wie Gus schwerfällig den Schacht erkletterte. Er hatte einen armlangen Gegenstand dabei, den er jetzt an einer Schnalle seines Anzugs befestigte.
»Er blockiert die Kommunikation.« Theresa warf einen illusionslosen Blick zu Silesio hinüber, der sich an der Automatik zu schaffen machte.
»Aber er steht in Kontakt mit dem Hauptcomputer.« Silesio hatte die Benutzeroberfläche verlassen und betrachtete interessiert die kilometerlangen Directorys, die auf seinem schwarzen Schirm herunterratterten.
»Was macht er jetzt?« Groenewold beugte sich über Theresa. Die Erste Offizierin schaltete auf die Außenkameras um, die die Backbordansicht der Dorset zeigten. Die Luke des hinteren Schachtes wurde geöffnet. Gus stieß sich hinaus und schwebte einige Meter vom Schiff weg. Dann zündete er das Triebwerk auf seinem Rücken und beschleunigte rasch in einer weiten Kurve.
»Er will zum Opak!« Theresas Stimme hatte den hysterischen Klang einer Mutter, die um ihr Kind fürchtet.
»Sonst ist ja auch nicht sehr viel los hier draußen.« Carlssen fügte sich in sein Schicksal der Untätigkeit und sah harmlos zu, wie Silesio sich durch die virtuellen Innereien der zentralen Automatik wühlte.
»Um Himmels willen, es wird etwas Schreckliches geschehen!« Groenewold plumpste auf einen freien Sessel und starrte ergeben vor sich hin.
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