Ruedi Strese lebt seit 1980 mit einiger Kontinuität und hat auch schon ein Buch geschrieben, nämlich dieses.
Ruedi Strese
Treibsand und andere seltsame Geschichten
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2017
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag
Titelbild: „Treibsand“ (Zeichnung von Yuan Jing „Mirror“, März 2017)
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titel Ruedi Strese Treibsand und andere seltsame Geschichten Engelsdorfer Verlag Leipzig 2017
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Titelbild: „Treibsand“ (Zeichnung von Yuan Jing „Mirror“, März 2017) Alle Rechte beim Autor Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de
Der kleine Laden
Am Dorfteich
Das Einschreiben
Der Galerist
Der Delphin
Vegetarisches
Einladung zum Tee
Pansmusik
mTäwh
Schwarzer Honig
Das Büro des Stellvertreters
Treibsand
Das Wiedersehen
Ich, der Geschäftsmann
Anne und ich
Brotkrümel für die Möwen
Das Eichenblatt
Paketdienst
Die Dohlen
Das Bewerbungsgespräch
Das Glöckchen
Das Geschäftstreffen
Schifferklavier
Strand
Großmutters Geburtstag
Barabend
Der Gecko
Weihnachtsgeschichte
Ich war auf meiner Fahrt in einer Kleinstadt gelandet, einer sehr kleinen Kleinstadt. Sie hatte keinen Namen, doch immerhin ein paar Einwohner. Die Häuser waren recht einheitlich in rotbraunem Backstein gehalten, dazu gab es Fenster und Türen aus weiß gestrichenem Holz.
Die einzige Übernachtungsmöglichkeit für Fremde war eine kleine Pension, ein zweigeschossiges Haus, in welchem eine ältere Dame wohnte, eine Witwe, welche die Zimmer der oberen Etage vermietete. Meistens standen sie jedoch leer, so erzählte sie. In einem dieser Zimmer hatte ich für einige Wochen Quartier genommen.
Die Dame war eine überaus freundliche und aufmerksame Gastgeberin, zum Frühstück gab es in ihrem Wohnzimmer reiche Auswahl für einen schmalen Taler, zum Abendessen kochte sie hervorragende Hausmannskost mit Gemüse aus dem eigenem Garten und beim Bauern in der Nähe erstandenem Fleisch. Ich hätte sogar Gerichte wünschen können, zog es jedoch vor, mich allabendlich von ihren Kochkünsten überraschen zu lassen.
Sie setzte sich zum Essen mit an den Tisch, aß selbst jedoch wenig, stattdessen pflegte sie in unnachahmlicher, von warmherzigem Humor geprägter Weise Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen, was ich durchaus genoß, da es mich von meinem etwas eintönigen und harten Tagewerk, auf dessen Wesen ich hier jedoch nicht näher eingehen möchte, bestens ablenkte.
Irgendwann kam es, daß ich den ersten Tag nicht wirklich etwas zu tun hatte, und ich beschloß, mir den Ort etwas genauer anzusehen. Ich fand einen Supermarkt, in dem ich mir einige Tüten mit Gummitieren holte, und einer der Nachbarn hatte seinen Vorgarten zu einem Straßencafé und Imbiß umfunktioniert, dort setzte ich mich in einen der weißen Plastestühle.
Der Wirt kam mit Notizblock und Stift: „Na sowas! Da ist einer neu im Ort? Ich habe Sie hier jedenfalls noch nicht gesehen. Sie sind der Gast bei der Alten, nicht wahr?“
Ich bejahte.
„Ja, da lassen Sie es sich ruhig gutgehen. Die Alte ist in Ordnung. Hatte ein heftiges Leben - davon hat sie Ihnen bestimmt erzählt - aber nimmt doch immer alles mit Humor. Ihr Mann damals, das war ein Pfundskerl. Naja, Unfälle passieren. Also… ich quatsche Sie hier voll, aber Sie wollen bestimmt was trinken! Sonst könnten Sie sich ja auch auf die Bank beim Denkmal setzen, oder? Da scheint ja immer die Sonne rauf. Also, was soll’s denn sein?“
„Einen großen Kaffee bitte, ohne Zucker, mit viel Milch. Dazu zwei Stück Kuchen - von dem selbstgemachten, was auf der Tafel steht.“
„Wir haben heute Bienenstich und Apfelstreusel.“
„Ja, dann jeweils ein Stück.“
„Gut.“
Nach nichtmal einer Minute kam er wieder. Kaffee und Kuchen… das paßte.
Er stellte die Sachen auf den Tisch und fing wieder an zu sprechen:
„Sie sehen ja nicht so aus, als wären Sie an dem neuesten Dorfklatsch interessiert, oder?“
„Naja, wenn ich Ihnen damit einen Gefallen tun kann, stört es mich auch nicht. Also erzählen Sie ruhig.“
„Die Leute hier sprechen über Sie.“
„Über mich?“
„Ja, es heißt, Sie hätten etwas mit diesem komischen neuen Laden zu tun.“
„Neuer Laden?“
Ich war durchaus verblüfft.
„Davon wissen Sie nichts?“
„Nein, ganz und gar nicht!“
„Gegenüber vom Gemeindehaus ist ein neuer Laden. Oben steht auf einem Schild „Videoladen“. Die Auslagen sind gänzlich mit schwarzem Stoff bezogen, bis auf etwa anderthalb Meter Höhe nur diese schwarz bezogenen Auslagen. Darauf liegen ein paar Videokassetten, aber ohne Bilder drauf. Nur so. Dahinter scheint der Raum komplett leer zu sein, aber es ist ziemlich dunkel, ich bin mir nicht ganz sicher.“
Ich schüttelte den Kopf. Was sollte das bedeuten, wenn es denn überhaupt etwas bedeuten sollte?
Er fuhr fort: „Das Komischste ist, der Laden hat nie offen. Dabei ist er erst seit kurzem da, genau, seit Sie bei der Alten wohnen. Deshalb denken die meisten hier, Sie hätten was damit zu tun. Niemand weiß ja, was Sie hier machen und so…“
Ich überlegte, ob ich ihm über meine Tätigkeit in der Gegend berichten sollte, aber entschied mich dagegen und sagte nur kurz:
„Nein, damit habe ich nichts zu tun.“
„Ich glaube Ihnen. Sie wirken wie eine ehrliche Haut. Naja, schauen Sie sich das mal an, zumindest werden Sie es auch seltsam finden. Zumal sich, seit er da ist, gar nichts weiter getan hat. Er ist einfach nur da.“
In der Tat mußte ich mir diesen Laden ansehen. Ich fand ihn wie beschrieben vor. Eine Erklärung wußte ich nicht.
Am Abend berichtete ich meiner Gastgeberin. Diese schüttelte ebenfalls den Kopf.
„Wissen Sie, das ist schon eine komische Geschichte. Aber es betrifft mich nicht. Ich lebe bestimmt nicht mehr lange, und bis dahin kann ich von meinen Erinnerungen gut leben. Ich brauche keine neuen Geschichten.“
Sie schmunzelte, und ich beschloß, das Thema ad acta zu legen und besser kräftig zuzulangen, bevor der hervorragende Wirsingeintopf auf meinem Teller kalt würde.
Die folgenden Tage hatte mich die Arbeit wieder voll in ihren Fängen. Am Tag war ich beschäftigt, die Abende verbrachte ich in der Pension bei gutem Essen und den anscheinend nie versiegenden Anekdoten der Alten.
Irgendwann hatte ich dann wieder nur wenig zu tun und schaffte es, am Nachmittag das Straßencafé für etwas Kaffee und Kuchen aufzusuchen. Diesmal gab es Eierschecke und Rührkuchen. Natürlich mußte ich beides probieren!
Nachdem der Wirt mich bedient hatte, setzte er sich ungeniert zu mir an den Tisch und sah mich mit verschwörerischer Miene an.
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