»Ich musste mich ganz schön zusammenreißen, […] ich habe mich zurückhalten können, weil ich weiß, was ihr macht, computermäßig, und dass ihr eigentlich in den auswertenden Bereich der Computerarbeit gehört, die also zum Teil auch Frauenarbeit ist, und ihr deshalb möglicherweise keinen Unterschied seht. Ich seh da absolut und riesengroße Unterschiede zwischen Mann und Frau am Computer […] Frauen werden einfach vor diese Sachen gestellt, die kriegen die Schreibmaschine weggenommen, weil der Chef irgendwann entschieden hat, das ist rentabler« (Brosius/Haug 1987, 65).
Dieser und ähnliche Einwürfe brachten eine strategische Wende. Es änderte sich die Gesprächsstruktur – die eingreifende Frau wurde zu so etwas wie einer Meinungsführerin in der Runde; es änderte sich die Behandlung der Themen – nach dieser ersten Verneinung wurde plötzlich über alle möglichen Widersprüche klar und analytisch gesprochen. Behandelt wurden Profite, Unternehmerwillkür, Produktionsverhältnisse, Kapitalismus – in ihrem Lichte wurden die alten Fragen neu aufgenommen und zu neuen Erkenntnissen durchgearbeitet. Wir haben daraus folgende Schlussfolgerung gezogen:
Es gibt offenbar Widersprüche, die so weit ins öffentliche Bewusstsein gerückt sind, dass ihre Leugnung nicht mehr umstandslos gelingt. Der Aufbruch führt zum Begreifen auch anderer Fragen, etwa der Produktionsverhältnisse und ihrer Widersprüche. Die Weltdeutung wird konfliktreicher, klarer. Ein solcher Schlüsselwiderspruch ist das Verhältnis der Geschlechter. Er wird artikulierbar durch Frauen. Sie dulden es nicht länger, dass darüber hinweggeredet wird. Damit sind sie eine Kraft für allgemeine, ausgreifende und verändernde Handlungen.
Lehren für die Arbeitsforschung
Voraussetzung für Arbeitsforschung ist die Analyse der gesellschaftlich dominanten Bedingungen von Arbeit. Sie bestimmen nicht nur die Arbeit der Zukunft, sondern auch die Bereiche, die noch nicht betroffen sind – sei es im Tempo der Arbeit, in der Zusammensetzung der Arbeitsarten, in der Erwartungsangst für die zukünftig Betroffenen. Wesentlicher »Gegenstand« von Arbeitsforschung muss die Verarbeitungsweise, müssen die Erfahrungen der Arbeitenden selber sein. Ihre Handlungsfähigkeit zu unterstützen ist praktischer Auftrag an Arbeitspsychologie. Dabei gilt es, der Erkenntnis methodisch Rechnung zu tragen, dass die Einzelnen über mehrere, widersprüchlich zueinander organisierte »Erfahrungswelten« verfügen, deren Koexistenz ein individueller Balanceakt ist, der unter unseren Verhältnissen zumeist mit der alltäglichen Eliminierung von Widersprüchen stabilisiert wird. Wo immer Arbeitserfahrung zum Aufbruch nötigt, wird von ihr abstrahiert, nicht von der offiziellen Meinung, die zunächst doch weit weniger gewichtig scheint als die eigene Tätigkeit. Auszubauen wäre das Widerspruchsexperiment als ein Mittel, die Arbeitenden selber in den Forschungsprozess einzubeziehen. Ein analytischer Umgang mit den eigenen Arbeitsbedingungen, Aneignung statt Anpassung, scheint unter den Verhältnissen der Mikroelektronik unumgänglich. Dies ist eine Chance, die zugleich Herausforderung an Arbeitspsychologen ist. Schließlich verlangt eine Forschung mit Arbeitenden statt über sie, dass die wissenschaftlich Ausgebildeten zugleich auch immer an ihrer eigenen Abschaffung arbeiten, gerade, wo sie ihre Arbeit als Intellektuelle ernst nehmen. Wichtiges Resultat, welches jedes methodische Vorgehen bestimmen muss, ist die Geschichtlichkeit der Subjekte, der Prozesse, ja der Begriffe, mit denen Erkenntnis gewonnen werden muss. Gegenstand von Forschung wie Problem individueller Handlungsfähigkeit ist die Eingelassenheit der »alten« Menschen in die gewohnten Strukturen mit allen Vor- und Nachteilen. Sich da herauszuarbeiten, das Neue zu gewinnen, soweit es Befreiungszüge trägt, es zu bekämpfen, wo die bestehende Unsicherheit zur intensiveren Unterwerfung genutzt zu werden droht – dies bedarf einer strategischen Durchdringung der immer schneller umbrechenden Bedingungen des Handelns. Die wesentlichen Unverträglichkeiten müssen gemeinsam mit den Arbeitenden herausgefunden und Lösungen zu ihrer Bewältigung in Richtung auf eine kollektiv erweiterte Handlungsfähigkeit versucht werden. Das Begreifen ist dabei für beide, für Forscher und Betroffene, eine wesentliche Voraussetzung. Dies ist charakteristisch für die neuen Produktivkräfte, verstanden als Zusammenwirken von Menschen mit den technischen und organisatorischen Arbeitsbedingungen. Neue Formen des Wissens, die systemimmanent technizistisch bleiben, wiewohl sie das Nachdenken über Systeme zur Aufgabe haben, bilden sich heraus; neue Abgrenzungen gegen die Nichtwissenden spitzen die Widersprüche in den einzelnen Industrieländern zu. Arbeitspsychologie im Interesse der Arbeitenden muss auch die Analyse der Lösungsangebote durch Unternehmer und Staat einbeziehen. Gegen Vereinzelung müssen die Möglichkeiten der Kollektive herausgearbeitet, gegen Privatisierung muss die Bedeutung des gesellschaftlichen Projekts und gegen Angst das Selbstvertrauen der eingreifenden Subjekte gestärkt werden.
Arbeitspolitische Terrainverschiebungen
Wie Fortschritt denken?
Die Märchen der Gebrüder Grimm erzählen u. a. von Wölfen, die sich als wer anders ausgeben, um leichter an ihre Beute zu gelangen. Der Wolf geht im Schafspelz, verkleidet sich als Mutter oder Großmutter, übernimmt fremde Stimmen. Das Modell passt auf unsere Frage nach dem Fortschritt. Schließlich geht es davon aus, dass entweder alles genau so ist, wie es auf den ersten Blick scheint – dies die behütete Normalität –, oder das Schlechte sich als das Erhoffte verkleidet, der trügerische Schein den Sieg davonträgt.
So dachten in den 1970er Jahren die kritischen Beobachter der rasanten Produktivkraftentwicklung innerhalb des Kapitalismus und versuchten die Umbrüche, die mehr Selbständigkeit der Arbeitenden, mehr Qualifikation, mehr Mitentscheidung verlangten, z. B. mit Worten wie »Scheinsozialismus« oder »Management-Sozialismus« zu begreifen (Nichols 1975). Nichols sieht damals durchaus den revolutionären Charakter der neuen Anforderungen, der aber zugunsten von mehr Profit integrierbar war – mangels einer entsprechenden Politik der kollektiven Arbeiter oder, wie Cressey und Maclnnes (1980) herausarbeiten, weil es den Unternehmern gelingt, ihre Lösungen in quasi sozialistischen Begriffen, z. B. als Partizipation akzeptabel zu machen. Burawoy (1978) behauptet sogar, die Arbeiterinteressen an Zukunft überschnitten sich mit den Kapitalinteressen, Mehrwert zu gewinnen, sodass das antagonistische Erleben politisch erst entwickelt werden müsse als Engagement für die Gesamtgesellschaft. Zur Diskussion stehen eine Reihe von neuen Formen in der Arbeit, die traditionell unter sozialistischem Vorzeichen angestrebt worden waren. Sie beziehen sich im Wesentlichen auf den Abbau von Hierarchie und Formen kollektiver Selbstbestimmungskompetenz, die sich ausdehnt auf Qualifikation und Zeiteinteilung. Die Wirkung dieser von der Entwicklung der Produktivkräfte her in Bewegung geratenen Strukturen besteht in einem Ineinander von Attraktion und Integration. Das Attraktive äußert sich in Zielen, Perspektiven, Forderungen, die als utopische am Horizont des zu Erkämpfenden, mithin als Fortschritt erhofft waren. Das Kapital erweist sich als starker Moloch, der sich diese als sprengend gedachten Dimensionen einverleibt. Zu begreifen ist nicht nur dieser Vorgang, sondern weit schwieriger, wie strategisch zu handeln ist, wenn die einstigen Ziele zu Mitteln der Profitproduktion werden und zur Befriedung der entstandenen Krisen und Unruhen genutzt werden können. Dies ist nach den Umbrüchen vom Fordismus zur mikroelektronischen Produktionsweise innerhalb des neoliberalen Projekts zu analysieren. Betrachten wir also die Wölfe im Schafspelz und fragen zugleich, ob die Annahme, dass es sich um Schein, Täuschung, Verkleidung handle, tragfähig ist.
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