Persönliche Impressionen
zu den neuen Karten
Tarot ist ein männlicher Einweihungsweg, Nicht umsonst finden wir in den Großen Arkana an erster Stelle den Magier und das Wort und erst an zweiter das unbewusste Wissen der Hohepriesterin . Ein weiblicher Pfad würde wohl einer anderen oder gar keiner Struktur folgen und vielleicht mit der Erdgöttin als Anfang allen Lebens beginnen. Andererseits ist in den meisten Tarotsystemen die letzte Karte weiblich oder hermaphroditisch. Crowley wählte als archetypisches Bild für das Universum die Versöhnung des Weibes mit der Schlange und war somit auf seine Art Vorreiter für die Wiederkehr der Göttin. Trotzdem erschienen mir die weiblichen Karten durch ihre Einbindung in die Symbiose abendländischer Lehren wie Kabbala, Magie, Hermetik oder Theosophie unter Einbeziehung der Mythologie des Christen- und Altertums irgendwie domestiziert. Dies alles wurde mir in dem Moment schlagartig klar, als ich begann, in die Energie der Schwarzen Göttin einzutauchen. Die Idee zu dieser weiteren Trumpfkarte wurde mitten in der Entstehung dieses Buches geboren. Akron folgte ihrem stillen Ruf nach Präsenz als erstes und beschloss, sie wieder auf ihren angestammten Thron zu heben und ihrer unterschwelligen Kraft im Tarot Form und Ausdruck zu geben. Ich bekam die Aufgabe, in meine innere Kraft dieses dunklen Urweibs zu horchen und zunächst eine Vorlage für Kartentext und Deutung aufs Papier zu bringen. Zuerst war ich irritiert. Die erprobte Tradition der 22 Karten durchbrechen? Und warum eine so höllische Ausgeburt? Was für eine neue Energie sollte sie denn in den Tarot bringen, die nicht schon längst im Teufel als Prototypen des Unholds vertreten war? Erst mit dem Schreiben begann die neue Kraft, die durch die dunkle Mutter entstand, zu wirken und katapultierte mich im Laufe der nächsten Monate auf eine völlig neue Energieebene. Um mich ihr zu nähern, etwas über sie zu erfahren, was ich zu Papier bringen könnte, zapfte ich die eigenen dunklen Seelenkammern und die anderer Frauen an, mit denen zusammen die Göttin in meinem Kopf langsam Gestalt anzunehmen begann. Die Energie, die bei uns entstand, wenn wir über sie sprachen und uns mit ihrem inneren Bild verbanden - satt, siegesgewiss, durchtrieben, gefährlich, maliziös, unendlich mächtig -, war ungeheuer und beeindruckend. Das war wirklich eine andere Kraft als die des Teufels. Seine finstere Macht war männlich, eine Kombination aus Mephistopheles, Loki und Gott Pan. Je tiefer ich in ihre weibliche Gnadenlosigkeit eindrang, desto stärker wurde ihr Ruf, und sie aus der Tiefe ins Licht zu zerren war wie eine Erlösung und Heilung zugleich. Ja, die Kraft der dunklen Mutter fehlte wirklich in den Tarotspielen, wurde mir klar, und ihre neue Präsenz zeigte schnell ihre heilsame Wirkung, indem sie unausgesprochene, unbebilderte, verdrängte, weibliche Energien ins Bewusstsein zurückbrachte. Doch wenn die Schwarze Göttin , die schon in den alten Kulturen als ein Aspekt der Großen Dreifaltigen Göttin erschienen und als Kali, Lilith oder Hel verehrt worden war, sich nun wieder anschickte, zurückzukommen, wo waren dann die beiden anderen? Die drei Ebenen, die die Große Göttin umfasst, entsprechen der lugend (Jungfräulichkeit), der Blüte (Mutterschaft) und dem Alter (Weisheit und Tod), denn so wie die Rote Göttin unablässig neues Leben gebiert, stirbt es im Angesicht der Schwarzen Göttin, um durch die Weiße Göttin wieder neu erweckt zu werden. Ich begann sie in ihrer Gesamtheit in den anderen, schon vorhandenen Karten zu suchen und wurde in der Sexualkraft der Herrscherin (Rote Göttin) und der Weisheit und Reinheit der Hohepriesterin (Weiße Göttin) fündig. Eine besondere Bewandtnis hatte es mit der Karte Lust auf sich. Zuerst dachte ich, sie wäre die Schwester der Regentin, doch dann wurde mir bewusst, dass sie vor allem die Stiefschwester der Hohen Priesterin war, denn die dunkle Göttin ist nicht zuletzt das Ergebnis der offenen Wunde oder der tiefen Kluft, die entstanden ist, weil der sexualmagische Akt der alten Tempelpriesterinnen von der christlich geprägten Zivilisation des Abendlandes entwürdigt und in die Begriffe Hure und Heilige gespalten worden war. Seither regiert ihre unerlöste Energie aus der Dunkelheit und die Fähigkeit, nicht nur über Leben, sondern auch über Tod zu gebieten, ist Hauptteil dieser Kraft. Das Ungleichgewicht, das entsteht, indem der dunkle Teil der Männer (Teufel) wahrgenommen, der dunkle Teil der Frauen aber völlig verleugnet wird, ist groß und einer der Hauptpfeiler unseres Geschlechterkampfes, der nur weichen kann, wenn sich beide Seiten mit dieser Kraft versöhnen und sie in sich wieder integrieren. Nur wenn wir das verstehen und ihr den geforderten Raum geben, bringt sie Frauen in die weibliche Energie, Männer in der Auseinandersetzung und Heilung mit ihrer Anima an ihre matriarchalischen Wurzeln und sich selbst aus der finsteren Seelengruft wieder ins Licht der Bewusstheit zurück. So wird die weibliche Kraft im männlichen Einweihungssystem verstärkt, wodurch es insgesamt ausgeglichener und stabiler wird, besonders im Hinblick auf die Lehre, dass der einzige Weg zu wahrem inneren Ausgleich die Ehrung und Verschmelzung des männlichen und des weiblichen Prinzips gleichermaßen ist.
Die Angst vor der schrecklichen Urmutter kündigt sich in der Seele des Mannes meist schon vor seiner Geburt als zukünftige Projektionsfläche der scharlachroten Anima an. Alle Wesen erben die Last ihrer Vorfahren und deren Sehnsucht nach Befreiung, und so stellte ich den Fuß mutig auf die Himmelsleiter und begann meinen Abstieg. Da ist kein Gott außer dem Gott in dir, der sich selbst in allen Göttern als Gott erkennt, und da ist kein Mensch außer dem Menschen in dir, der sich selbst in allen Menschen als Mensch erkennt. Da ist keine Wahrheit außer der Wahrheit, die sich selbst für wahr hält. Da ist nichts außer Lug und Trug, es sei denn, du wärst es selbst , sagte die dunkle Alte und lächelte, während sie mir das Messer in den Bauch rammte, und schlagartig wechselte sie die Gestalt und wurde zur jungen Geburtshelferin. Das war der Start. Für den kleinen Jungen war es natürlich zunächst schwer, die dunkle Seite des Weiblichen oder den irrationalen und unberechenbaren Anteil des Mütterlichen zu integrieren. Und es wurde auch in den nächsten Jahrzehnten nicht besser. Trotzdem hatte sie Recht: Alle Töchter der Göttin in meinem Leben waren nicht berechenbar. Ihre Macht war süß, ihre Nähe warm und zuweilen eine Qual, doch standen sie als unverrückbare Instanzen der Macht in meinem Bewusstsein. Es war der ständige Ruf nach Opferung und Hingabe auf dem Altar des Weiblichen, der mich durchdrang, die stille Aufforderung nach Geborgenheit im mütterlichen Schoß und das Verlangen, mittels Libido und Kraft den Fortbestand der Sippe zu sichern. Ich merkte aber auch, dass aus der gemeinsamen Liebeseuphorie schnell eine verhängnisvolle Magie heraufbeschworen werden konnte, wenn Frau und Mann ihre gegenseitigen Projektionen, sie wären Gott und Göttin und jeder für den anderen das ultimative Ziel ihrer geschlechtlichen Sehnsucht, ineinander verankerten. Niemals darf man ein solches sexualmagisches Statement als persönliche Botschaft werten, die dem materiellen Alltag standhalten kann. Lediglich der geschützte Raum eines Liebesrituals gestattet die Übernahme der Rolle der archetypischen Bilder von Göttern und Göttinnen, die sich als Urformen des ersten Liebespaares begegnen. Werden die kosmischen Kräfte des Männlichen und Weiblichen innerhalb dieses Rahmens als Spannungsbogen benutzt, fliegt der Pfeil der Sehnsucht auf der Sehne der Libido weiter, als die Sonne scheint. Aber aufgepasst: Alle Versuche, das Geheimnis der Kraft zwischen Männern und Frauen zu lösen, sind stets am Schatten des Persönlichen gescheitert, weil dort die Quelle der Enttäuschung sitzt, und aus diesem Schmerz heraus kann das seinen Schatten verdrängende Ich ohne sein Wissen zu einem unerschütterlichen Wächter vor dem Reich der Göttin werden, der seine eigenen, in einem unbekannten Teil seines Wesens formulierten Ziele auf der unbewussten Ebene im anderen gnadenlos bekämpft. Als ich endlich aufhörte, meine Frau und die Frauen der Welt verstehen zu wollen, also den Wunsch, ihre Unberechenbarkeit als Spiegelung meiner inneren weiblichen dunklen Seite zu kontrollieren, wurde ich tief im Gedärm von der betörenden Anima berührt, so als wollte sie mir sagen, dass ich mich jetzt auf den Weg zum Vater machen soll, der einst der Geliebte der finsteren, alten Göttin war. Im Grunde genommen ist es der Auftrag eines jeden Mannes, diesen Vater in sich zu finden, denn solange Männer gegen die dunkle weibliche Seite in sich rebellieren, können Frauen ihren lichten männlichen Teil nicht entwickeln. Erst wenn die Gegenwart der dunklen Mutter in einem Mann erwacht, erhöht sich seine Ausstrahlung und Attraktivität für die Frauen enorm, denn er reitet jetzt den Tiger ihrer Kraft, der ihn überall dahin trägt, wohin er will, von dem er aber niemals mehr absteigen kann, weil dieser ihn sonst zerfleischen würde. Gelangt er schließlich an die Haustür seines inneren Vaters, wird er erkennen, dass er sich selbst die Pforte öffnet, an die er von außen anklopft, und er wird fühlen, dass aus dem Sohn der Vater geworden ist, der die Mutter suchte und die Geliebte fand. Kehrt dieser Mann zum Urbild der Mutter zurück, so kann er sagen, ich habe mich gefunden, und er wird als Geliebter der ewig jungen Alten sich selbst neu erzeugen - das ist das Geheimnis der Schöpfung der verdrängten Anima aus männlicher Sicht. In ihrer Funktion als weibliche Teufelin scheint sie das Laufrad des Lebens anzutreiben, weil sie im Scheitern den Ausgleich der Kräfte vertritt. Nichts ist je verloren gegangen, weil das Chaos, vor dem sich der Kaiser fürchtet, nichts anderes ist als die Ordnung der alles umspannenden Leere, durch die jedes Leben eintritt und wieder geht:
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