2006 begann ein neuer Zyklus von Restaurierungsbemühungen, der bis heute nicht abgeschlossen ist und erhebliche Finanzmittel erfordert – wie sich abermals bestätigt: der Erhalt des Herkules entpuppt sich neuerlich als „Daueraufgabe“. 24( Abb. 1) Bereits zwei Jahre zuvor hatte man, organisiert von den lokalen Medien, unter den Bürgern Geld für weitere Sanierungsmaßnahmen eingesammelt: „Diese Spenden-Aktionen sind die größte Bürgerbewegung in der Geschichte der Stadt Kassel“, resümierte voller Überschwang der damalige Oberbürgermeister Lewandowski. 25Zu pathetischen Formulierungen 1 Oktogon eingerüstet von Osten neigte bisweilen auch die Berichterstattung der „Hessischen Allgemeinen“, die im Januar 1990 titelte: „Unser Wahrzeichen – ein schwerer Junge“. Der „scheidende Kasselaner sieht ihn als letztes Zeichen seiner Vaterstadt am Horizont, den heimkehrenden grüßt er schon von weitem. Vereine tragen ihn im Wappen, Firmen verwenden ihn als Symbol, Fremde bestaunen die acht Meter hohe Kuppelfigur. In den Stürmen der Zeit vernarbt, aber ungebrochen wacht der Recke über Kassel, und die Leute lieben ihn.“ 26
1 Oktogon eingerüstet von Osten
Und doch: Trotz der vielen Besucher, gab 1981 Helmut Sander zu bedenken, sei eine „ziemlich allgemein verbreitete gefühlsmäßige Distanz zu dem düsteren Bauwerk mit seiner nackten Symbolfigur dem Verstehenwollen hinderlich.“ Das „Bauwerk allein“ könne man „nicht lieben“, man lasse es allenfalls gelten „in Verbindung mit den reizvollen Wasserkünsten, dem herrlichen Bergpark der Wilhelmshöhe und dem großartigen Erlebnis der berühmten Gemäldegalerie, dem Schloßmuseum und der Löwenburg.“ Ob die Erhebung der Wilhelmshöher Anlage zum Weltkulturerbe daran grundsätzlich etwas ändern wird, bleibt abzuwarten. Schon Sander hatte gemeint, “das Herkules-Bauwerk“ wolle „verstandesmäßig erobert“ werden. 27In diesem Sinne die Öffentlichkeit aufzuklären, ihr das „historische Erbe“ und dessen „Bedeutung für die Identität einer Stadt und ihrer Bewohner“ nahezubringen, bleibt in jedem Fall ein „anspruchsvolles Ziel für die Zukunft.“ 28
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1Heinrich von DEHN-ROTFELSER und Wilhelm LOTZ, Die Baudenkmäler im Regierungsbezirk Cassel, Cassel 1870, S. X. Der Eintrag über die Wilhelmshöhe und das Oktogon auf S. 312f.
2Carl HEßLER, Hessische Landes- und Volkskunde, Das ehemalige Kurhessen und das Hinterland am Ausgang des 19. Jahrhunderts, Bd. 1: Hessische Landeskunde. Erste Hälfte, Marburg 1906, S. IV.
3Vgl. Gerd FENNER, Der „Grottenbau“ auf dem Karlsberg. Zur Baugeschichte des Oktogons und der Wasserkünste, in: Christiane LUKATIS und Hans OTTOMEYER (Hg.), Herkules. Tugendheld und Herrscherideal. Das Herkules-Monument in Kassel-Wilhelmshöhe, Eurasburg 1997, S. 99–119, hier S. 110f.
4So Astrid Schlegel, Zur Bau- und Restaurierungsgeschichte des Herkulesbauwerks, in: Das Herkulesbauwerk im Bergpark Wilhelmhöhe. Berichte zur Restaurierung, Wiesbaden 2011, S. 31–46, hier S. 31.
5Johann Friedrich Armand VON UFFENBACH’s Tagbuch einer Spazierfarth durch die Hessische in die Braunschweig-Lüneburgischen Lande (1728), hg. von Max ARNIM, Göttingen 1928, S. 48f.
6Johann Daniel ENGELHARD, Versuch einer artistischen Beschreibung des kurfürstlich-hessischen Lustschlosses Wilhelmshöhe bei Cassel, in: Journal für die Baukunst 16 (1842), S. 49–68 und S. 149–172.
7Johann Daniel ENGELHARD, Die Herstellung des Oktogons und der Cascaden zu Wilhelmshöhe bei Cassel, in: Journal für die Baukunst 21 (1845), S. 174–186, hier S. 174f., S. 178 und S. 183.
8Hofbau-Direktor Ruhl an verschiedene Maurermeister, 18.5.1843, in: HStA Marburg, Bestand 7 b 1, Nr. 470. Zu den vielfältigen Sanierungsbemühungen vgl. Helmut SANDER, Das Herkules-Bauwerk in Kassel-Wilhelmshöhe. Ein Beitrag zur Geschichte der Denkmalpflege und zum Wandel ihrer Methoden und Ziele, Kassel 1981.
9So die Formulierung HStA Marburg, Bestand 7b1, Nr. 470, Nr. 472: Kurprinzliche Hofbaudirektion, Bericht von J. Engelhard, 1.7.47.
10Siehe auch den Beitrag von Gerd FENNER in diesem Buch.
11HStA Marburg, Bestand 7a Gef. 122, Nr. 17b: Hofbau-Direktion an Oberhof Marschallamt, 12.1.1847.
12Ebd., Bestand 7b1 Nr. 474: Dehn-Rotfelser an kurfürstliche Hofbau-Direktion, 22.12.1863.
13Alois HOLTMEYER, Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel, Bd. IV: Kreis Cassel-Land, Marburg 1910, S. 255.
14Universal-Lexikon oder vollständiges encyclopädisches Wörterbuch hg. von H.A. PIERER, 26. Band, Altenburg 1836, S. 175. Zum Herkules in internationalen Enzyklopädien siehe den Beitrag von Sabine NAUMER in diesem Buch.
15Kasseler Tageblatt, 15.8.1930 (Der große Christoph in Nöten).
16Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep. 151 Nr. 1072: Dr. Gall, Direktor der staatlichen Schlösser und Gärten an Dr. Schnitzler, Preußisches Finanzministerium, 22.8.1930. Bewilligung von 60.000 Reichsmark durch das Finanzministerium: an Regierungspräsident Kassel, 9.9.1930, ebd.
17Hessische Allgemeine (HA), 23.5.1987 (Keine Gefahren für die Unterwelt).
18HA., 21.12.1970 (Neue Spritzen für den Herkules).
19Ebd., 12.10.1968 (Tunnelbauer dringen in den Karlsberg ein).
20Ebd., 19.4.1983 (Über 250 Jahre alter Herkules steht auf ‚wackeligen Füßen‘).
21Ebd., 26.10.1985.
22Ebd., 23.5.1987.
23Ebd., 19.12.1981 (Arbeit am Herkules bringt Kasseler Diplomingenieur den Doktortitel). Das nahm Bezug auf Helmut SANDER (wie Anm. 8).
24So die Diagnose der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen (HNA), 13.10.2016 (Vor zehn Jahren geköpft). Zu den verschiedenen Etappen der Sanierung vgl. SCHLEGEL, Bau- und Restaurierungsgeschichte, passim.
25Frankfurter Rundschau, 2.9.2004 (Herkules profitiert vom Fischbrötchen). Vgl. auch den Beitrag von Dirk SCHWARZE in diesem Buch.
26HNA, 13.1.1990.
27Helmut SANDER, S. 55. Wie man sich das vorzustellen hat, führt der Autor auf den folgenden Seiten aus.
28Horst BECKER und Michael KARKOSCH, Park Wilhelmshöhe Kassel. Historische Analyse, Dokumentation, denkmalpflegerische Zielsetzung, Regensburg 2007, S. 36.
Hans Traxler: Herkules als Rentner
Aquarellierte Zeichnung, 38,1 × 28,7 cm, 2016
Hans Johann Georg Traxler, geb. 1929 in Herrlich/Tschechoslowakei. Maler, Cartoonist, Kinderbuchautor, Illustrator. Er zählt zur Neuen Frankfurter Schule. Studium der Malerei und Lithografie an der Städelschule in Frankfurt. Karikaturist für Pardon, Mitbegründer der Satirezeitschrift Titanic. Vielfach ausgezeichnet, darunter 2007 Deutscher Karikaturenpreis für sein Lebenswerk. 2014 Goetheplakette der Stadt Frankfurt.
Der Herkules als Landmarke und Aussichtspunkt
Siegfried Hoß und Andreas Skorka
„[…] ganz oben in der Höhe eine Althan kommen wird, auf welcher, wie leichtlich zu erachten, die unvergleichlichste Aussicht rings herum, und weit und breit seyn muß, über die höchste im Hessenland häuffig befindlichen Berge und Thäler:“ 1So beschreibt der Frankfurter Schöffe und Ratsherr Zacharias Conrad von Uffenbach 1710 die Eindrücke seines Besuches am Oktogon.
Landgraf Carl hatte auf der Spitze des Berges, heute Karlsberg genannt, im Westen Kassels eine Gartenarchitektur – kein Schloss (!) –, einen Berg auf dem Berg 2aus der Umgebung herauswachsen lassen. Diese Wirkung entstand durch die grottenhafte Gestaltung und den verwendeten Stein, den Kasseler Tuffstein oder Habichtswald-Lapilli-Tuff. Für sein Bauwerk ließ er mitten im Bergrücken einen strategisch günstig gelegenen Platz einebnen, der etwas unterhalb zweier Hochpunkte gelegen war. Die daneben liegenden Hügel wirken so als Teil der Skulptur und steigern nochmals die Mächtigkeit des Bauwerkes.
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