1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 »Ist gut.«
»Das hat nichts mit Überheblichkeit zu tun, Frank, oder mit falschem Stolz. Es geht ganz einfach nicht. Ich brauche einhundertprozentige Freiheit und die uneingeschränkte Konzentration auf meine Aufgabe. Es tut mir leid, dass ich dich da mit reinziehe, dass du zur Geisel meiner Traumata geworden bist. Aber so ist es nun einmal.«
»Ich bin keine Geisel«, sagte ich. »Ich gehe mit dir, wohin immer es nötig ist.«
Wir schwiegen. Dabei sahen wir auf unsere Hände, die friedlich ineinander lagen und sich mechanisch weiter streichelten, als hätten sie nichts mit uns zu tun.
»Dann lass uns gehen«, sagte Jennifer.
Wir standen auf und nahmen unser Gepäck. Zwei kleine Taschen. Das waren all unsere Habseligkeiten. Wir verließen das spartanische Zimmer, das sich in nichts von den Kabinen unterschied, die wir auf zahllosen Schiffen und Basen bewohnt hatten. Als die Tür hinter uns ins Schloss fiel, decodierte sie sich selbsttätig. Wir würden nicht wieder hineinkommen. Wir waren heimatlos, und unser materieller Besitz erschöpfte sich in dem, was wir in einer Reisetasche trugen. Wir hatten natürlich keine Geldsorgen, aber unsere Existenz im Dienste der Union hatte trotzdem etwas Klösterliches gehabt, wir waren Ordensbrüder und –schwestern gewesen, die Genügsamkeit und Gehorsam geschworen hatten. Die Gemeinschaft hatte uns ernährt, gekleidet und uns ein Lager für die Nacht gegeben. Wir hatten ihr dafür unser Leben geopfert. Jetzt waren wir entlassen.
In einer Ruhe und Selbstverständlichkeit, die mich selbst überraschte, nahm ich es zur Kenntnis. Seit unserer Jugend, seit dem Eintritt in die Akademie, waren wir nicht mehr frei gewesen.
Jetzt waren wir es.
Wir hatten noch eine Stunde. In der Lobby des Abflugterminals wartete Laertes. Er war der einzige, der hier bleiben würde, auf dem Torus. Sein Weg endete hier.
Wir setzten uns zu ihm. Die Ordonnanz brachte Jennifer eine Apfel-Kiwi-Milch und mir einen Scotch. Dann sahen wir uns an. Keiner wusste, was er sagen sollte. Der alte Philosoph lächelte in sich hinein und strich seinen weißen Bart. Seine blauen Augen funkelten listig, aber er schwieg beharrlich. Vielleicht war das in einer solchen Situation das weiseste.
Wenig später kamen auch Jill und Taylor. Die beiden waren aufgekratzt und aus dem Häuschen. Sie konnten kaum stillsitzen.
»Stellt euch vor«, sprudelte der menschliche Wasserfall namens Jill Lambert, »die Sache ist genehmigt!«
»War sie das nicht sowieso?« Ich versuchte mir, unser letztes Gespräch in Erinnerung zu rufen.
»Noch nicht ganz.« Auch Lucio war für seine Verhältnisse extrem zappelig. »Noch nicht offiziell.«
»Verstehe.«
»Und jetzt ist es durch?«, fragte Jennifer.
»Wir standen auf der Warteliste«, plapperte Jill. »Und heute Morgen kam das endgültige Okay über das Stabslog.«
»Hyperborea?« Ich wechselte einen Blick mit Laertes, der aufmerksam zuhörte, aber auch jetzt nichts sagte. Lambert quasselt für uns alle genug, schien er sich zu sagen.
»Ja.« Lucio strahlte. »Wir gehören zur ersten Welle, sowie der Planet für die Besiedelung freigegeben wird.«
»Das heißt, es klemmt noch.«
»Das haben wir ja gesagt.« Jill war beleidigt.
»Die Erkundungsmission.«
»Rogers hat vier Wochen veranschlagt«, nickte sie. »Aber so genau kann man das vorher natürlich nie wissen.«
»Dann habt ihr ja genügend Zeit zu packen.« Ich ließ einen ironischen Blick über unser bescheidenes Gepäck gehen.
Taylor lachte. »Viel mehr wird es bei uns auch nicht sein. Die Amish fühlen sich dem Gelübde der Besitzlosigkeit verpflichtet.«
»Und das schwere Gerät stellt die Union«, riet Jennifer.
»So ist es«, sagte Jill. »Von daher stimmt es auch nicht ganz, wenn man uns als erste Welle bezeichnet.«
»Die Appartements stehen vermutlich schon, wenn ihr ankommt.« Ich grinste. Irgendwie, dachte ich, würden mir die Frotzeleien mit der kleinen Lambert doch fehlen.
»Das nun gerade nicht. Aber es wird ein Bau- und Pioniertrupp vor uns da sein.«
»Appartements.« Ich zwinkerte Taylor zu. Ihre Aufbruchstimmung war ansteckend. Andererseits musste ich mir sagen, dass wir es waren, die in der Abflughalle saßen, während sie noch mindestens vier Wochen auf dem Torus herumhocken mussten.
Er hatte es geschafft, eine der Ordonnanzen herzuwedeln. Wenig später kam diese mit einer Flasche Champagner und fünf Kelchen. Taylor schenkte ein und reichte uns die Gläser.
»Das muss doch gefeiert werden!«
Wir stießen an und tranken.
»Wo ist John?«, fragte Lambert nach einer Weile.
»Bestimmt hat er wieder eine geniale Entdeckung gemacht«, meinte Taylor.
Jennifers Miene spiegelte Missbilligung, aber sie sagte nichts.
Dann trat einer dieser Momente ein, wo jeder da saß und seinen eigenen Gedanken nachhing.
»Sag doch auch mal was!« Jennifer stieß Laertes sanft in die Seite. Der Philosoph hatte seine Champagnerflöte abgestellt und die Fingerspitzen aneinander gelegt. Aus seinen hellen Augen musterte er uns aufmerksam.
»Ich freue mich, dass es euch so gut geht«, sagte er. »Ich hoffe, dass all eure Erwartungen sich erfüllen. Dass Jennifer Heilung und Frank Ruhe findet. Und dass ihr beiden eine neue Heimat findet, wo ihr euch ein neues friedliches Leben aufbauen könnt.«
»Amen!« Jill stieß ihr Glas in die Luft. Von den paar Tropfen Alkohol hatte sie roten Backen bekommen.
Laertes ließ sich davon nicht aus dem Konzept bringen.
»Ich wünsche euch, dass ihr alle glücklich werdet. Jeder auf seine Weise!«
»So wie du das sagst, macht es mir Gänsehaut.«
Jennifer setzte ihren Kelch behutsam auf das kleine Tischchen, das zwischen unseren Sesseln stand.
Der Alte lächelte auf seine melancholische Art, sagte aber nichts mehr. Sein Vorrat an Wörtern war für diesen Tag verbraucht.
Von Lambert konnte man das leider nicht behaupten.
»Ihr müsst uns unbedingt besuchen, wenn ihr mit eurer Sache fertig seid!«
Sie unterdrückte ein Rülpsen und legte schuldbewusst die Hand auf den Mund.
»Auf alle Fälle.« Jennifer legte den Kopf schief und betrachtete sie mit einem warmen Schmunzeln. Jedem anderen hätte sie die laxe Redewendung verboten, aber Jill genoss bei ihr Narrenfreiheit.
Wieder breitete sich ein beklommenes Schweigen aus. Wir sahen zu, wie die Planetenfähre draußen andockte und betankt wurde. Die ersten Passagiere erhoben sich und begannen vor der Schleuse eine Schlange zu bilden.
»Also dann.« Ich stemmte die Fäuste auf die Knie und drückte mich hoch.
Alle standen auf und wir umarmten einander noch einmal.
»Pass auf die Kleine auf«, sagte Laertes leise, als er mir die Hand drückte.
»Viel Glück dort draußen«, sagte ich zu Taylor, während wir uns an den Schultern fassten.
»Nicht heulen!« Jennifer schloss Lambert in die Arme und strich ihr das verstrubelte Haar.
Dann rissen wir uns los.
Die Freunde gingen hinter die Absperrung zurück. Die Ordonnanzen räumten die Gläser und Flaschen weg. Die Lobby leerte sich zusehends.
In diesem Moment kam John Reynolds in die Wartehalle gestürmt. Er schloss Jennifer in die Arme und reichte mir die Rechte zu einem harten Händedruck. Vorne zischte der Druckausgleich. Die Leute begannen mit der Kontrolle und dem Einsteigen.
Als wir uns losmachen wollten, hielt er uns zurück und senkte verschwörerisch die Stimme.
»Die Tloxi haben mir ein Angebot gemacht!«
»Glückwunsch«, sagte ich zerstreut. »Was heißt das konkret?«
»Sie haben mir eine weitreichende Zusammenarbeit in Aussicht gestellt.«
»Wow«, machte Jennifer.
Wir saßen beide auf Kohlen. Vorne gingen die ersten Passagiere durch die Schleuse. Es waren nur noch wenige Leute vor uns.
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