Ich hob wütend die Hand. »Augenblick. Du willst doch Öffentlichkeit. Das hast du mir selbst gesagt. Du willst, dass die Welt über diese Tour spricht. Weil das Sachsen-Anhalt und dem Elefantengehege zu einem guten Image verhilft .«
Bongani setzte sich auf die Motorhaube. »Du wirst da einen guten Weg finden. Später. Das weiß ich. Aber ich weiß auch, wie wilde Tiere auf Blitzlichter reagieren. Du kannst nicht in jeder Stadt ein Heer von Fotografen auf die Elefanten loslassen. Das hier ist kein Medienfeldzug. Außerdem sind wir nicht naiv. Wir wissen selbst, dass man in vielen Ländern Fernsehsender hätte gewinnen können, die ganze Serien über uns drehen.«
Ich sprach lauter, als ich wollte. »Genau. Davon bin ich ausgegangen. Von professionellen Medienpartnerschaften …«
Der Schwarze führte seine Hand zur Brust. »Fabian, das ist nicht unser Weg.«
»Na hört mal, dann bin ich doch völlig überflüssig.Was soll ich hier, wenn ihr am liebsten unter euch bleiben wollt?«
Hannibal stützte sich auf die offene Tür des Wagens. »Die Tour miterleben. Du sollst die Tour miterleben.Weil du nur dann darüber authentisch schreiben und berichten kannst. Später. Momentan brauchen wir noch keinen Medienrummel …«
Bongani kam auf mich zu. »Genau! Das wäre Tierquälerei.Abgesehen davon wäre es auch kein Abenteuer mehr. Stell dir das bitte mal vor: Dutzende von Kamerateams, die jeden Abend in Viersternerestaurants ein mehrgängiges Menü verdrücken und in Nobelhotels übernachten, berichten fröhlich über die ach so unberührten Naturgeschöpfe, unsere Elefanten. Rührend, oder? Nur dass das dann keine echte Natur mehr ist. Es wäre eine künstliche, verfremdete, ja, eine falsche Natur. Eine, die weder uns noch den Tieren gerecht würde. Eine große lächerliche Inszenierung. Ich nenne so etwas immer die Verlogenheit der westlichen Kultur.«
Hätte ich nicht einen Vertrag von GEO in der Tasche gehabt, ich wäre direkt umgekehrt. So aber stieg ich wieder ein, grummelnd - Richtung Osten.
Und schon auf dem Weg zu den Elefanten nahmen mich die Wildheit der Landschaft und die Tiere derart gefangen, dass ich für einige Zeit meine Zweifel vergaß. Ob das klug war? Ich weiß es nicht. Zumindest wäre die Tour anders verlaufen, wenn ich an dieser Stelle auf einer professionelleren Vorbereitung bestanden hätte. Doch wer kann sich schon auf Formalitäten konzentrieren, wenn neben der Straße plötzlich eine Straußenfamilie rennt. Zwei Meter groß sprang sie mit federnden Schritten an uns vorbei.
Kurz darauf erreichten wir den Krügerpark. Und sahen bald auch die berühmten Schilder an der Straße: »Pas op! Olifante is gevaarlik.«
Afrika.
Hannibal ließ den Motor aufheulen und wirbelte eine Staubwolke hinter aus auf, als wir das erste Tor passiert hatten. Irgendwo vor uns wartete eine Elefantenherde auf uns.
Und tatsächlich:Vier Stunden und unzählige holprige Feldwege später stand sie plötzlich vor uns. Shingwezi. Dreieinhalb Meter hoch und wahrscheinlich fünf Tonnen schwer. Sie kam aus einem Wäldchen getrottet und sah uns an. Ganz ruhig.Vorsichtig. Bongani näherte sich der Matriarchin lächelnd und legte ihr zur Begrüßung die Hand ins Maul. Dabei gab er Brummtöne von sich, wie ich sie noch nie gehört hatte.
Hannibal flüsterte mir zu: »Das ist Infraschall. Elefanten verständigen sich mit Lauten zwischen fünf und achtundzwanzig Hertz. Das meiste davon hören wir gar nicht, weil unsere Ohren Geräusche erst ab zwanzig Hertz registrieren. Die grauen Riesen kommunizieren damit aber nachweislich problemlos über fünfzehn Kilometer miteinander. Das brauchen sie auch, um die Herde zusammenzuhalten.«
»Welche Herde?«
Hannibal sagte etwas auf Afrikaans zu Bongani, der nun einen neuen Brummton von sich gab - woraufhin Shingwezi den Rüssel hob und laut trompetete.
Wahrscheinlich war dies der Moment, in dem auch ich mich für alle Zeiten in die Elefanten verliebte, diese grauen Riesen mit der zarten Seele. Weil dieser Anblick, dieser wunderbare Auftritt, so grandios war. Womöglich das Schönste, das ich je gesehen hatte: Überall durchstießen graue Leiber die dichte Vegetation, brachen aus dem hellen Grün und liefen tänzelnd auf uns zu. Dutzende. Nein, noch viel mehr. Der Boden vibrierte, und es war, als stürzte von allen Seiten die Welt über uns herein. Eine Minute lang bebte die Schöpfung, dann hatten uns die Elefanten umringt. Gigantische Körper, große, verwegene Köpfe mit kleinen, klugen Augen - und schier endlos lange Rüssel, die uns mit einem lauten, aufgeregten Tröten begrüßten.
Das Unfassbare war: Ich hatte keine Angst. Das hier, das war das Leben. Das war Sein. Pur, unverfälscht, kräftig und satt. So nah war ich ihm wohl noch nie gewesen. Und ich war nicht überrascht, als plötzlich Tränen in meine Augen schossen.
»Verstehst du mich jetzt?«, fragte Hannibal. Ich nickte nur.
Einen Tag später brachen wir auf. Drei Männer und hundert Elefanten. Hannibal hatte den Wildhütern die staatlichen Papiere vorgelegt - und viel Zustimmung geerntet. Schließlich war die Elefantenpopulation im Krügerpark in den letzten Jahren derart angewachsen, dass schon mehrfach größere Herden in andere Parks hatten umgesiedelt werden müssen. Ein andauerndes Problem.
Das Naturschutzgebiet des Krügerparks ist zwar so groß wie Belgien, trotzdem reicht sein Nahrungsangebot nicht aus, um derart viele Dickhäuter zu versorgen. Dadurch bekommen die staatlichen Behörden nicht nur tierpflegerische Probleme, sondern immer häufiger auch Krach mit erbosten Siedlern, deren Felder von Elefanten geplündert werden - und die sich nicht scheuen, ihre Pflanzungen notfalls mit der Waffe gegen Eindringlinge zu verteidigen. Trotz aller Jagdverbote.
Mehrfach war das Wild-Management schon gezwungen gewesen, das biologische Gleichgewicht im Park selbst durch Culling, das kontrollierte Abschießen von Elefanten, wiederherzustellen. Ein in der Presse wenig populärer Akt, der weltweit bei Tierschützern für Schreie der Entrüstung sorgt. Insofern wunderte es mich auch nicht, dass die Behörden dem Ansinnen Hannibals so schnell nachgegeben hatten.
Das alles ging mir durch den Kopf, während ich in fast vier Metern Höhe saß und kräftig hin und her geschaukelt wurde. Der weiche, wiegende Gang der Elefanten ist tatsächlich ungewöhnlich, aber schon nach kurzer Zeit gewöhnte ich mich daran und saß fortan wie auf einem lebendigen Thron. Oder wie auf einem borstigen Schiff.
Um mich herum wogte ein Meer aus Elefan tenrücken, zwischen dessen grauen Wogen und der Gischt aus aufgewirbeltem Staub bisweilen schemenhaft der grüne Boden aufblitzte. Ich schwebte dort oben, meine Blicke verloren sich in der endlosen Weite, und es war, als würden dadurch auch die Grenzen in meinem Denken eingerissen. Mein Geist wurde frei. Und schon damals registrierte ich erstaunt, dass der eigenartige Bewegungsablauf der Elefanten beim Gehen einen Rhythmus in sich birgt, der die Seele beruhigt. Ich flog beinahe. Ein Hochgefühl, das lange anhielt.
Am Vormittag hatte ich allerdings erst einmal geübt aufzustei gen. Wer zum ersten Mal leibhaftig vor einem Elefanten steht, kann sich nämlich überhaupt nicht vorstellen, dort jemals ohne eine Leiter hinaufzukommen. Didimale hatte mich schräg von oben herab aus den Augenwinkeln angesehen. Den Anfänger. Doch weil Bongani neben mir gestanden und leise gebrummt hatte, hatte ich zumindest gewagt, die Hand auszustrecken und die graue Dame zu berühren. Erstmals. Seltsames Gefühl. Fremd und anziehend zugleich.Was für ein beeindruckendes Lebewesen.
»Versuch, raufzukommen«, hatte Bongani mich ermutigt, doch ich war nicht einmal sicher gewesen, wo ich anfassen durfte. Die raue Haut? Das Ohr? Die Schulter? Vier Meter Höhe können unbezwingbar erscheinen. Anfangs hatte ich versucht, am Elefantenbein wie an einem Baum hochzuklettern.Vergeblich. Im Laufe der Zeit war dann der Rest der Herde immer näher gekommen, als wollte sie meine lächerlichen Versuche anschauen - und sich darüber amüsieren. Als ich zum vierten Mal hinuntergefallen und auf dem Rücken gelandet war, hatte auch Bongani nur noch laut gelacht.
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