Es war mittlerweile schon zu spät geworden, um die Reise fortzusetzen, zudem wäre eine Weiterfahrt sowieso nicht mehr in Frage gekommen, da wir auch das Nachtleben von Paris kennenlernen wollten. So machten wir uns auf die Suche nach den Kneipen, in denen die Jugendlichen feierten.
Es dauerte nicht lange, bis wir fündig wurden. Es war für uns nicht überraschend, dass auch hier die Post abging, jedoch hatten wir nicht mit so vielen Kneipen gerechnet. An jeder Ecke wurde etwas geboten, somit versanken wir im Zentrum der Nachtschwärmer. Die sprachliche Barriere war für alle, die wir in dieser Nacht kennengelernt hatten, kein Hindernis. Zu späterer Stunde, als Roland und ich schon etwas angetrunken waren, lernten wir, auf dem Rückweg zum Auto, zwei Typen kennen, die, wie ich meine, etwas aufdringlich waren. Einer von ihnen hatte uns aufgehalten und auf Englisch gefragt, ob wir aus Deutschland kommen und ob wir nicht Lust hätten, in die Kneipe zu gehen, auf die er zeigte, um mit ihnen auf die Völkerverständigung zu trinken.
„Ja, warum nicht?“, gaben wir ihnen zu Antwort.
Nach ein paar Drinks hatten wir unser Level schließlich erreicht und wollten eigentlich gehen, solange wir noch in der Lage dazu waren, da hatten uns die beiden angeboten, bei ihnen in der Wohnung zu übernachten. Da die angeblich nicht weit von hier entfernt wäre, könnten wir ruhig mit ihnen noch etwas feiern. Zuerst dachte ich mir: „Das ist aber nett von den beiden!“, doch als ich mitbekommen hatte, dass die zwei sich sonderbar verhielten, sagte ich zu Roland, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Als wir den beiden Typen ihr Angebot, bei ihnen zu übernachten dankend abschlugen, wurden sie uns gegenüber deutlich lauter. Ich hatte sie zwar nicht verstanden, dennoch glaubte ich, dass ihnen das gegen den Strich ging. Jetzt hatten wir ein Problem und irgendwie mussten wir die zwei ganz schnell loswerden. Da ich vorher schon einmal auf der Toilette war, wusste ich, dass man das Lokal durch einen Hinterausgang verlassen konnte. Ich erzählte Roland von meinem Plan. Das war unsere einzige Möglichkeit, um die beiden, die nichts Gutes im Schilde führten, auf die Schnelle loszuwerden. Gesagt – getan! Wir schwankten also Arm in Arm dem Flur entgegen, so als würden wir ziemlich angetrunken auf die Toilette gehen. Die beiden standen an der Bar und beobachteten uns dabei. Jetzt musste alles sehr schnell gehen! Als wir nicht mehr zu sehen waren, gingen wir nicht auf die Toilette, sondern liefen weiter geradewegs auf den Hinterausgang zu. Unbeobachtet öffneten wir die Tür ins Freie und verließen das Lokal. Dann sind wir, so schnell wir konnten, gerannt. Immer wieder haben wir uns umgedreht, um zu sehen, ob wir von den beiden verfolgt würden, aber zum Glück kam da niemand. Wir hatten zwar in der Kneipe unsere Getränke nicht bezahlt, aber dafür waren wir die Typen los. Keine Ahnung was die letztlich von uns wollten, wir waren auf jeden Fall nicht scharf darauf gewesen, das herauszukriegen. Da wir uns nicht getraut hatten, auf dem nahegelegenen Parkplatz im Auto zu schlafen, entschlossen wir uns, schnell weiterzufahren, solange, bis wir außerhalb von Paris wieder in Sicherheit waren, um dann irgendwo auf einem Rastplatz zu übernachten.
So lag unser erstes Abenteuer hinter uns und wir waren froh, die Sache so glimpflich überstanden zu haben. Im Auto zu übernachten, war überhaupt kein Problem, denn ich hatte, bevor wir losgefahren waren, die Rückbank ausgebaut und eine Sperrholzplatte zugeschnitten, die passend die ganze Fläche ausfüllte. Zudem hatte ich den Platz mit einer dicken Schaumstoffmatte ausgelegt. Somit hatten wir eine bequeme Schlafstätte im Auto.
Nachdem wir ausgeschlafen hatten, frühstückten wir ausgiebig auf dem Rastplatz und machten uns danach voller Reiselust wieder auf den Weg. Diese Etappe nach Marseille bereitete uns zum Glück keine Probleme, so war es jetzt nicht mehr weit nach Cassis. Wir konnten es kaum noch erwarten endlich das Meer zu sehen. Als wir uns der Küste näherten, schlängelten sich Serpentinen unaufhörlich ins Tal. Dann kam mir eine spontane Idee. Ich sagte zu Roland: „Weißt du was, wir könnten etwas Sprit sparen, indem ich den Motor ausschalte.“ Roland sah mich an und nickte. Also gut … ich drehte den Zündschlüssel nach Links und der Motor ging aus. Doch ich hatte eines nicht bedacht, denn als die nächste Kurve kam und ich einlenken wollte rastete auf einmal die Lenkradsperre ein und ich konnte nicht mehr lenken. Erschrocken riss ich am Lenkrad hin und her. Da ich im ersten Augenblick überhaupt nicht realisiert hatte, was denn eigentlich passiert war, überkam mich Panik. Hilfesuchend schaute ich zu Roland, in der Hoffnung, dass er vielleicht wüsste, was ich jetzt machen sollte.
Viel Zeit blieb uns nämlich nicht mehr, wir steuerten geradewegs auf den Abgrund zu. Da es keine Leitplanken gab, würde unsere Reise gleich in der Tiefe enden. Geistesgegenwärtig griff ich zum Zündschlüssel und versuchte das Auto wieder zu starten – gleichzeitig versuchte ich zu bremsen. Doch das Bremspedal reagierte nicht! Ich hatte einfach keine Bremswirkung mehr. Nur dem instinktiven hin und her reisen am Lenkrad ist es zu verdanken gewesen, dass sich der Schlüssel drehen ließ und ich so das Auto wieder starten konnte. Gerade noch konnte ich das Lenkrad herumreisen. Eine Sekunde später und wir wären gute 200 Meter in den Abgrund gestürzt. Puh, das war wirklich knapp gewesen! Wegen einer solch unüberlegten Idee wären wir fast draufgegangen. Das sollte mir eine Lehre gewesen sein und mit Sicherheit würde ich auf diese Art keinen Sprit mehr sparen wollen. Ich zitterte am ganzen Körper und auch Roland, der immer noch kreidebleich im Gesicht war, brachte kein Wort heraus. Bei der nächsten Einbuchtung blieb ich stehen und wir holten erst einmal tief Luft. Da roch ich das salzige Meer und beim genauen Hinhören konnte man auch schon die Brandung hören. Wir schauten uns an, klatschten uns ab und stiegen so schnell wir konnten wieder in das Auto, um weiterzufahren. Wir wollten diese Aktion vergessen, deswegen sprachen wir auch nicht mehr darüber, denn jeder von uns beiden wusste, dass wir verdammt noch Mal großes Glück gehabt hatten. Dann endlich sahen wir das azurblaue Meer.
Die Wellen, die mit einer rollenden Kraft an den Klippen zerschellten, das aufpeitschende Salzwasser, das in den Sonnenstrahlen glitzerte, und der Wind, der mir durch das Haar wehte, ließ mich endlose Freiheit verspüren. Eine lange Fahrt lag hinter uns. Wir waren glücklich und stolz auf uns, es geschafft zu haben. Aus einem langersehnten Traum wurde Wirklichkeit. Wir umarmten uns, wie Freunde es tun, und besiegelten diese Geste mit gestreckten Armen, die siegreich in den Himmel ragten.
Kapitel 2
MEIN ERSTER JOINT
Gut zwei Wochen mit viel Sonnenschein und herrlichen Sandstrand am Meer lagen nun vor uns. Doch bevor Chillen angesagt war, mussten wir uns erst noch einen geeigneten Ort zum Übernachten suchen. Ein Hotelzimmer konnten wir uns für die Dauer des Aufenthalts nicht leisten, außerdem wäre das für uns auch nicht in Frage gekommen. Wir wollten das Gefühl der Freiheit verspüren und nicht weiße Wände in einem Hotelzimmer anstarren, das hätten wir schließlich auch zu Hause das ganze Jahr gehabt … Da wir aber nur je einen Schlafsack dabei hatten, musste uns dieser Schlafplatz vor eventuellen Regenschauern schützten. Die Buchten mit ihren herrlichen weißen Sandstränden waren zwar sehr schön, doch auf Dauer zum Übernachten ungeeignet. Wir wollten in der Nacht ja ungestört schlafen und nicht von einem ungebetenen Gast überrascht werden. Der 3.500 Hektar große Wald, der rundum von Cassis zu sehen war, kam für uns auch nicht in Frage. Doch dann entdeckten wir vom Strand aus eine kleine Höhle in den Klippen, die so zirka zehn Meter über dem Meer gelegen war und die man mit etwas klettern auch erreichen konnte.
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