Unser Aufseher eröffnete uns hier einen Weg zur angenehmsten Unterhaltung, der uns nicht eingefallen war, wir dankten ihm und vergassen nicht, uns desselben zu bedienen. Jeden Tag schrieben wir einander, und weil der treue Diener des Grafen von Vatz zu gewissenhaft war, unsere Briefe selbst zu bestellen, so ging alles durch die Hand des kleinen Rudolfs, der mich schnell liebgewann, gern meine enge Kammer besuchte, und außer den schriftlichen, allemal noch tausend mündliche Aufträge erhielt, die in seinem kindischen Munde oft so eine seltsame Gestalt gewannen, daß sie seiner Mutter und mir das herzlichste Lachen abnöthigten. Himmel wir lachten! Hätte unser Tyrann wohl denken können, daß seine Gefangenen Muse zum Lachen hätten?
Hedwigs Briefe enthielten manche Aufklärung über mir bisher unbegreifliche Dinge, noch sind sie alle in meiner Gewalt, diese theuren Denkmale heiliger Freundschaft. Ihr, meine Töchter, für die ich schreibe, werdet sie nach meinem Tode als Beylage bey dieser Schrift finden. O was werdet ihr denken, wenn ihr aus denselben sehet, wie Walter nie derjenige war, für den wir Verblendete ihn hielten! wie er uns vom Anfang täuschte!
Ja, er liebte mich einst, oder vielmehr die Güter, die ich zu hoffen hatte, er suchte, er hoffte und wünschte meine Verbindung, aber Betrachtungen, über die selbst Hedwig mir kein Licht zu geben vermochte, nöthigten ihn, sich nie wörtlich darüber zu erklären, und sich am Ende meine Hand von meinem Oheim fast aufdringen zu lassen. Seine Furcht, meine Aussichten auf Glück und Größe, und also auch die Seinigen möchten durch eine zweyte Vermählung meines Oheims verdunkelt werden, waren Ursach an Hedwigs Entführung. Er hatte die Zeit zu derselben künstlich gewählt. Ein geheimes Verständniß mit dem Abt von Sankt Gallen, dessen Feind er sich äußerlich nannte, brachte jenes mal den Grafen Venosta in seine Hände, lockte mich aus der Burg, überließ die Gräfinn von Rappersweil seiner Gewalt, gab ihm zugleich Gelegenheit, sich durch die Befreyung meines Oheims fest in seine Gunst zu setzen, und ihm das Geschenk, das er ihm mit meiner Hand machte, ungebeten abzunöthigen. Wer kann das ganze Gewebe unergründlicher Bosheit durchspähen, das unser Verfolger hier mit so viel List als Glück angelegt hatte? Er betrog den Abt von Sankt Gallen um seinen Gefangenen, den er ihm erst selbst in die Hände gespielt hatte; den Grafen Venosta um seine Güter, um seine Geliebte, und um mich; die Gräfinn von Rappersweil um ihre Freyheit, und mich um das ganze Glück meines Lebens.
Graf Walter fühlte nie redliche Liebe gegen mich, der Hauptgegenstand seiner Wünsche waren meine Güter; nachdem er sich in den Besitz derselben festgesetzt hatte, nachdem ihm der Anblick meiner Schönheit gewöhnlich, der Umgang einer tugendhaften Gattinn lästig ward, so ergriff er die erste Gelegenheit sich von mir zu trennen, und vergaß nicht, meinem guten Namen einen Schandflecken anzuhängen, der mich jeder Hülfe, selbst der Hülfe meines gütigen Oheims, unwürdig darstellen mußte.
Die Gräfinn von Rappersweil hatte den größten Theil der vorgemeldeten Dinge, die sie mir in ihren Briefen mittheilte, aus dem Munde der kürzlich verstorbenen Kastellaninn dieses Schlosses, einer gutherzigen Frau, welche durch ihren Sohn, der in Graf Walters Diensten stand, genaue Nachrichten von jedem seiner Schritte hatte. Ihr Umgang erleichterte der Gräfinn ihre lange Gefangenschaft, auch fehlte es dieser Frau nicht an Mitteln die Gewissenhaftigkeit ihres Mannes zu hintergehen, und der edeln Gefangnen manche kleine Erleichterung ihrer Leiden zu gewähren, welche jetzt nach ihrem Tode wegfiel. O hätte sie bey meiner Ankunft zu Uspunnen noch gelebt, was hätte sich von ihrer Hülfe hoffen lassen! was wäre drey einverstandenen Frauen, von denen die eine einige Macht, die andere Verstand und die dritte einen guten Theil von Muth besaß, was wär ihnen unmöglich gewesen! Selbst unsere Freyheit zu bewürken, würde uns leicht geworden seyn, wenigstens würde man mir das Glück, meine Hedwig zu umarmen, nicht so lang versagt haben.
Wir trauerten oft in unsern schriftlichen Unterhaltungen über das, was wir an ihr verloren hatten; die Gräfinn tröstete sich denn mit dem Vergnügen, mich in ihrer Nähe, mich an einem Orte zu wissen, wo sie mich sicherer und glücklicher hielt, als in den Armen meines bösen Gemahls, und ich – hoffte auf bessere Zeiten.
Und bessere Zeiten erschienen. Längst hatten wir Muthmassungen gehabt, daß wir nicht die einigen Gefangenen zu Uspunnen wären, und jetzt erhielten wir hievon Gewißheit, ohne jedoch unsere Neugier ganz befriediget zu sehen.
In einer stürmischen Nacht, deren es hier, auf einer der höchsten Felsenklippen, welche allen Winden des Himmels zum Ziel diente, nicht wenig gab, kam in einem entfernten Flügel des Schlosses Feuer aus, der Wind trieb die Flammen bis nach unserer Wohnung, ihre Spitzen leckten an unsere eisernen Gitter, die Gefahr nahm überhand, und doch schienen wir ganz vergessen zu seyn. Niemand dachte darauf unsere Kerker zu öffnen, niemand die kleinste Anstalt zu unserer Rettung zu machen, alle Hülfe zog sich nach der östlichen Seite der Burg, welche in vollen Flammen stand. Unsere Angst war unbeschreiblich! doch wahrscheinlich verglich sich die meinige nicht mit Hedwigs Empfindungen, welche nicht nur für ihr eignes Leben, nein für etwas zu sorgen hatte, welches ihr unendlich theurer war, für das Leben ihres Sohnes.
Sie wagte das Aeußerste; sie sah, daß sein Untergang unvermeidlich mit dem ihrigen verbunden war, und dachte nur ihn zu retten. Durch eine Oeffnung der Hintermauer, die nur eben weit genug war, seiner kleinen Gestalt den Ausweg zu verstatten, ließ sie ihn, an ihre Betttücher gebunden, hinab, und gebot ihm, sobald er den Boden erreicht haben würde, sich loszumachen und zu fliehen oder sich zu verstecken, bis die Gefahr vorüber sey. Welch ein Entschluß, den nur die äußerste Verzweiflung rechtfertigen konnte!
Hedwigs Besorgnisse für das zarte Leben ihres Sohnes waren nicht vergeblich gewesen. Die zunehmende Hitze, (denn jetzt fingen endlich die Balken am benachbarten Gebäude Feuer), und der eindringende Rauch stürzten sie bald, nachdem sie ihren liebsten Schatz geborgen hatte, ohnmächtig zu Boden. Mir ging es in meiner Zelle nicht anders, und waren wir beide bey dem Hinsterben aller Kräfte noch eines Gedankens fähig, so war es sicher kein anderer, als der, an ein frohes Erwachen in einer bessern Welt; ein Gedanke, dessen Erfüllung wir zu glauben geneigt waren, als wir uns, da wir jetzt die Augen wieder aufschlugen, an einem hellen geräumigen Ort in freyer Luft, und die Freundinn, die wir liebten, nach der wir uns so lang vergeblich gesehnt hatten, an unserer Seite erblickten. O Hedwig! o Noria! riefen wir beyde aus einem Munde, indem wir einander in die Arme sanken! Was ist aus uns geworden? sind wir ins irrdische Leben gerettet, oder von den Banden des Körpers befreyet? wo sehen wir uns? auf der Erde, unsern Kerker, oder genseit 20des Grabes?
Unsere Zweifel wurden bald gehoben. Wir fühlten nur gar zu schnell, daß wir gerettet, aber nicht frey waren. Die rauchenden Aschenhaufen, in der Ferne sagten uns, daß wir uns noch im Bezirk unsers Kerkers befänden, und die genaue Aufmerksamkeit, mit welcher man uns bewachte, ließ uns wahrnehmen, daß der einige Vortheil, den wir von unserm veränderten Zustande hatten, das Vergnügen war, uns zu sehen und zu umarmen. Aber wie sehr ward uns dieses Vergnügen verbittert! Hedwig weinte um ihren Sohn, und warf sich vor, ihn in der Verzweiflung von sich gelassen zu haben, da er doch so wohl als sie hätte gerettet werden können, und ich fühlte den Verlust dieses geliebten Kindes fast so stark als sie.
Man hörte wenig auf unsere Klagen, unsere Wächter beschäftigten sich mit nichts, als mit den Vorgängen vergangner Nacht, und wir erfuhren aus ihren Gesprächen so viel, daß das Feuer von der gefangenen Dame in der östlichen Seite des Schlosses angelegt worden sey, daß sie wahrscheinlich ihre Rettung dadurch habe bewürken wollen, aber von einem gefährlichen Sprunge aus dem Fenster und dem nachstürzenden Gesims so viel gelitten habe, daß sie schwerlich den Abend erleben werde. Auch der Aufseher des Gefängnisses, der sich bey der Rettung jener Gefangenen, auf welche hier mehr anzukommen schien, als auf uns, zu kühn gewagt hatte, lag in den letzten Zügen, wir verlangten zu ihm gebracht zu werden, er bat uns mit stammelnder Zunge um Verzeihung wegen des Unrechts, das er uns gezwungen habe zufügen müssen, blieb aber auch sterbend dabey, daß er, durch fürchterliche Eyde gebunden, nicht anders habe handeln können; auch dachte er nicht daran, unsern nunmehrigen Hütern Milde und Schonung anzubefehlen, die, vermuthlich beeydigt wie er, es für Pflicht hielten, uns so streng zu halten, als zuvor. Nichts konnten wir von ihnen zu Milderung unsers Kummers erhalten, als das Glück, nicht von einander getrennt zu werden, und die Erlaubniß, jene Dame zu sehen, von welcher wir heute zum erstenmale deutlich sprechen hörten, die sich zu ihrer Befreyung eines so schrecklichen Mittels bedient hatte, und nun, wie man uns sagte, im Begriff war, unter den Folgen ihrer verzweifelten That den Geist aufzugeben.
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