Ich krame die gewünschten Papiere hervor und reiche sie ihr. Von ihr bekomme ich einen Kugelschreiber mit Firmenslogan, um mich dann an die Beantwortung des Fragebogens zu machen. Zuversichtlich verschwindet sie wieder, und irgendwie scheint schon vorher alles klar zu sein, obwohl ich den Vertrag noch gar nicht unterschrieben habe. Aber im Grunde habe ich im Gespräch bereits meine mündliche Zustimmung gegeben, denn jetzt wieder einen Rückzieher machen, das wäre wie den Schwanz vor der Lady einziehen. Die Personalerin ist sichtlich routiniert im Geschäft. Auch scheint sie genau darauf zu bauen, dass die Mehrheit der Kandidaten gar nicht erst großartig darüber nachdenkt, worauf man sich bei den Geschäftspraktiken von der Zeitarbeit einlässt.
Der Testbogen zu den Hygienefragen und Arbeitsschutzbestimmungen lässt sich ziemlich leicht beantworten, besonders wenn man schon einmal in der Küchenbranche gearbeitet hat. Vieles erscheint logisch und im Nu bin ich durch die vier fliegenden Blätter hindurch. Ich widme mich den Broschüren mit den ausführlicheren Verhaltensregeln und merke am Umfang des Themas, dass dies hier auf die Schnelle durchzuarbeiten wohl nicht mehr als eine oberflächliche Sache wird. Selbst der vorliegende Arbeitsvertrag ist gespickt mit fragwürdigen Bestimmungen, Regeln und Pflichten; ich entdecke haufenweise Zusatzklauseln, die so bis vor ein paar Jahren noch in keinem durchschnittlichen Arbeitsvertrag standen. Und dass ein Arbeitsvertrag neuerdings zwischen Tür und Angel aufgesetzt wird, macht mich dann doch etwas stutzig. Auch die Personalerin scheint sich im Nachbarzimmer vor lauter Arbeitseifer zu überschlagen. Sie telefoniert gleich auf mehreren Kanälen und redet nebenher mit einer weiteren Person – ihrer Vorgesetzten vielleicht? Sie kommt wieder und bringt zwei weitere Formulare mit.
»Ah, wie ich sehe, sind Sie schon so weit …«
»Na ja, nicht ganz«, sage ich, »es ist ziemlich umfangreich.«
»Alles in allem das Geläufige für den Gastronomiebereich …«, sagt sie.
Alles in allem viel undurchsichtiges Neues, denke ich.
»Den Testbogen?«
Ich reiche ihn ihr.
»Sie sind gut«, bemerkt sie auf Anhieb.
Ich hebe wenig geehrt die Schultern.
»Sie müssten diese beiden Formulare hier noch unterschreiben. Das bestätigt, dass die jährliche Arbeitsschutzbelehrung durchgeführt wurde und Sie auch das Merkheft zu den betrieblichen Arbeitsrichtlinien erhalten haben. Ähm, allerdings«, fiel ihr ein, »müssen wir natürlich erst einmal den Arbeitsvertrag gegenzeichnen, bevor wir weitermachen können.« Sie schmunzelt wieder.
Ich schmunzele zurück. Ich dachte es mir bereits, es geht einfach nicht schnell genug. Zeit ist eben Geld. Und arbeiten für die Zeitarbeit bedeutet gleich kein Zuckerschlecken, sondern Arbeitsstunden erbringen für Geld. In erster Linie natürlich für die Zeitarbeit selbst – dem Verkäufer meiner Arbeitskraft. In zweifacher Ausfertigung zeichnen wir einander gegen.
Sie schiebt mir die Empfangsbestätigungen zu. »Hier und hier unten bitte auch unterschreiben …«
Der Skeptiker in meinem Gehirn hat inzwischen abgeschaltet, oder eben einfach kapituliert. Ich unterschreibe bedingungslos und weiß noch nicht einmal zur Hälfte, was in den speziellen Vertragsrichtlinien geschrieben steht. Verdammt! Alles nur, weil ich muss, denke ich. Von wegen Freiheit! Friede – Freude – Marktwirtschaft! Ich bin gar nicht frei. Ich bin hier gezwungenermaßen … Und mein Gegenüber kann sich sicher denken, dass ich arm dran bin. Wer geht auch schon freiwillig zur Zeitarbeit, wenn er noch andere Möglichkeiten hat? Nicht besonders glücklich schiebe ich die Formulare wieder über den Tisch und bekomme meine persönlichen Papiere zurück.
»Schön, Herr Frank. Wie Sie sehen, kann es heutzutage auch ziemlich schnell mit einer neuen Arbeit gehen«, sagt sie recht zufrieden und wirft einen Blick zur Uhr.
Oh ja, denke ich, von nun an werde ich wohl ihr kleiner Arbeitssklave sein .
»Nun«, fährt sie fort, »da Sie ohnehin Koch von Beruf sind, gehe ich davon aus, dass Sie bereits Arbeitsbekleidung besitzen. Wenn Sie aber noch etwas benötigen, Arbeitsschuhe vielleicht, können Sie diese selbstverständlich genauso von uns bekommen. Allerdings müssten Sie diese bezahlen.«
Nichts wird einem mehr geschenkt! Ich erinnere mich: Der letzte Arbeitgeber hatte Bekleidung und Schuhe noch betrieblich gestellt. Zwei Paar intakte Arbeitsschuhe hatte ich gestern erst herausgekramt. »Alles da«, sage ich.
»Okay. Jetzt müssen wir nur noch …« Klingeling! – ihr Handy klingelt. »Entschuldigen Sie kurz …« Schon spricht sie in den zweiten Kanal: »Ja, Lehmann, Personalleasing …, ja, ich verstehe …, bla, bla, bla … «
Es klopft an der Tür. Die Tür zum Büro geht auf. Der Kopf eines jungen Mannes lugt um die Ecke. Er schaut an mir vorbei und sagt im gebrochenen Deutsch: »Ich kommen wegen Arbeitsvertrag …«
»Bitte noch einen Moment«, sagt die Personalerin, lächelt kurz und spricht sogleich weiter auf Kanal 2: »Kommen Sie doch am besten morgen, sagen wir so gegen Vormittag, ins Büro, dann können wir das hier klären. Bla, bla, bla … «
Der Kopf des jungen Mannes verschwindet wieder. Dafür kommt aus dem Nebenbüro eine andere junge Dame und legt der Personalerin einen Zettel auf den Tisch. Die Personalerin sagt: Danke! und nickt in meine Richtung, woraufhin auch die zweite Dame mir ein nettes Lächeln schenkt, uns dann aber schnell wieder alleine lässt.
»So, Herr Frank, wo stehen wir gerade?« Sie starrt auf den Zettel. »Ah ja! Sie müssen natürlich noch wissen, wohin morgen Ihr erster Einsatz geht.«
»M-hm«, bemerke ich kleinlaut und doch voller Erwartung.
»Das wäre dann bei Frisch & Lecker , Industriestraße 100 in Sonnenfelde. Es ist nahe der Autobahn, oder vom Bahnhof aus nur zwei Busstationen entfernt. Ein Katzensprung quasi. Ihr Dienst beginnt 9 00Uhr und endet um 16 00Uhr, und der Ansprechpartner wäre: Frau Meier. Sie wird Sie dann entsprechend am Arbeitsplatz einweisen. Ich nehme an, Sie haben eine Monatsfahrkarte für Bus und Bahn?«
»Ähm, noch nicht. Aber ich werde mir gleich nachher eine besorgen.«
Sie schaut kurz zum Fenster. Es schneit gerade draußen. »Tja, Herr Frank, Sie sehen ja selbst, was draußen los ist. Da sind öffentliche Verkehrsmittel wohl immer noch die beste Lösung.«
Ich nicke. Denke jedoch: Glaubt sie etwa, dass ich mir bei der Bezahlung ernsthaft noch ein Auto leisten kann? Natürlich bin ich auf Bus und Bahn angewiesen …
»Ach, und vergessen Sie nicht, Sonnenfelde liegt bereits im C-Bereich. Bitte führen Sie auch stets Ihren Personalausweis und die arbeitsrelevanten Nachweise mit, das ist wichtig!«
»Gut. ABC-Bereich für den Nahverkehr lösen und stets die Papiere mitführen. Wie lange bin ich überhaupt an diesem Einsatzort?«
»Erst einmal für den Rest der Woche, einschließlich nächste Woche. Sie bekommen dann rechtzeitig von uns Bescheid, wie es weiter geht. Günstig wäre natürlich, wenn Sie ihr Handy immer am Mann behalten, da sich auch zwischenzeitlich schnell wieder etwas ändern kann.« Sie steht auf und geht zum hinteren Aktenschrank. Ihr scheint zu meiner Arbeitsaufnahme noch etwas eingefallen zu sein.
Ich stehe ebenfalls auf. Ich warte und sage nur so: »Na, hoffentlich wird das Wetter bis morgen ein wenig besser.«
»Aber ganz bestimmt, wir müssen hier immer optimistisch denken.« Sie zieht eine rote Mappe hervor und einige Zettel. Damit kommt sie wieder zu mir an den Tisch. »So, fast hätten wir doch das Wichtigste vergessen«, sagt sie. »Sie müssen diese Stundenzettel hier führen, damit Sie pünktlich Ihr Geld bekommen, und eine schöne rote Mappe für Ihre Unterlagen bekommen Sie außerdem mit dazu. Schauen Sie bitte kurz!«
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