„Aber wieso solltest du mich beschützen müssen? Ich wollte nur etwas Löwenzahn für mein Kaninchen holen und auf einmal war ich hier und habe dich auf dem Boden leuchten gesehen“, sagt Amanda bestürzt.
Auf einmal hören sie ein leises Flattern auf sich zukommen.
„Das muss eine Feenlibelle sein“, flüstert der Glitzerstein.
„Eine was?“ Amanda ist sich nicht sicher, ob sie das richtig verstanden hat.
„Na, eine Libelle, die eigentlich eine Fee ist. Die fliegen nur noch in dieser Gegend herum“, erklärt der Stein genervt. ‚Das Mädchen weiß ja gar nichts!‘, denkt sich der Stein. „Denn in den anderen Teilen des Waldes ist es zu gefährlich für sie geworden, da leben nämlich die Onkas.“
„Die was leben wo?“, fragt Amanda, die jetzt gar nichts mehr versteht. Und sie bekommt auch darauf keine Antwort, weil sich genau in diesem Moment die Libelle auf den Stein setzt.
„Hallo, Stein, wie ich sehe, hast du jetzt deine Aufgabe bekommen, wurde ja auch mal Zeit“, fiept die Feenlibelle mit ihrer Glöckchenstimme. „Deine schlechte Laune war ja nicht mehr auszuhalten.“ Mit ihren kleinen Händchen fuchtelt sie vor den Augen des Steins hin und her.
„Wieso schlechte Laune?“, entgegnet der Stein beleidigt.
Amanda lauscht voller Staunen einige Zeit dem Wortwechsel zwischen den beiden Fabelwesen. Sie sieht sich die kleine Feenlibelle sehr genau an, denn so ein winziges Wesen hat Amanda noch nie gesehen. Die Libelle hat eigentlich nur Flügel, die wie die einer Libelle aussehen. Der Rest sieht genauso aus, wie man sich Feen so vorstellt, einfach wunderschön mit langen goldenen Haaren und einem wunderschönen glänzenden Kleid. An ihren Füßen trägt sie glitzernde Schuhe, die mit Schleifen verziert sind. Diese schimmern im Sonnenlicht wie rote Diamanten.
„Jetzt streitet euch doch nicht“, versucht Amanda zu schlichten, „ich würde lieber von euch ein paar Fragen beantwortet bekommen.“
„Ich heiße übrigens Lissy“, trillert die Libelle Amanda zu und flattert zu ihrem Gesicht hoch.
„Äh, ich heiße Amanda“, sagt diese und fängt an zu schielen, weil die Fee kurz auf ihrer Nase landet, dann aber wieder schnell zum Stein zurückflattert. „Und wie heißt du?“, will Amanda vom Stein wissen.
„Ich habe keinen Namen“, erwidert der etwas traurig.
„Aber das geht doch nicht, jeder hat doch einen Namen.“ Amanda ist verdutzt und überlegt. Nach kurzer Zeit sagt sie: „Nun, dann gebe ich dir eben einen Namen. Schließlich bist du ja auch mein persönlicher Beschützerstein.“ Amanda kneift die Augen beim Nachdenken zu. „Mal überlegen … Dein Name ist … mhm … ähm, ich hab’s! Ich nenne dich Glitzy, weil du am schönsten von allen Steinen geglitzert hast.“ Amanda strahlt über beide Ohren. „Wie gefällt dir dein Name?“, fragt sie erwartungsvoll.
„Hört sich super an!“ Auch der Stein grinst über beide Ohren. Wenn man es so sagen kann. Denn Steine haben ja eigentlich keine Ohren. Aber es scheint, dass sein Glitzern ein bisschen strahlender geworden ist.
„Also gut, ab jetzt heißt du Glitzy.“ Amanda klatscht vor Freude in ihre Hände.
„Wisst ihr sch …“, beginnt die Libelle. Doch sie verstummt abrupt, als sie durch ein lautes Stampfen unterbrochen wird.
„Schnell weg von hier!“, sagt Glitzy aufgeregt. „Das können nur die Onkas sein.“
„Wer sind denn die Onkas? Und warum müssen wir uns verstecken?“, möchte Amanda wissen und dreht sich im Kreis, um zu schauen, woher das Stampfen kommt.
„Dafür haben wir jetzt keine Zeit“, fiept Lissy ganz aufgeregt.
„Aber wo sollen wir denn hin?“ Amanda sieht sich suchend auf der Lichtung um.
„Lasst uns hier hinter dem Gestrüpp verstecken. Und du, Lissy, fliegst am besten wieder zu deiner Familie, bevor sie dich erwischen und in ihre Höhle zu den anderen sperren“, flüstert Glitzy Lissy zu.
„Okay, dann macht es mal gut. Passt auf euch auf. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder.“ Damit verabschiedet sich Lissy, winkt mit ihrer kleinen Hand zum Gruß und schießt dann wie der Blitz zwischen den Bäumen davon.
„Ja, vielleicht bis bald“, flüstert jetzt auch Amanda verwirrt zur Antwort. Sie weiß nun gar nichts mehr. Mit dem Stein in ihrer Hand kriecht sie in das nahe gelegene Gebüsch.
„Sei ganz still“, flüstert Glitzy Amanda zu. „Ich werde dich jetzt beschützen.“ Amanda starrt gebannt aus ihrem Versteck heraus.
Plötzlich treten die merkwürdigsten Gestalten, die Amanda je gesehen hat, aus dem Wald auf die Lichtung. Im blassen Sonnenlicht kann sie zwei kleine, dicke, grüne Wesen erkennen. Die Gestalten nähern sich nur langsam, denn sie sind recht dick. Amanda glaubt kaum, dass sie jemals Wesen gesehen hat, die so große Nasen und Ohren hatten.
„Was sind das denn für welche?“, fragt Amanda im Flüsterton.
„Das sind Onkas. Ganz üble Gesellen, sag ich dir. Aber jetzt keinen Laut mehr. Die dürfen uns nicht finden.“ Und der Stein verstummt.
Einer der Onkas, der größere von beiden, hält auf einmal seine zuckende Nase in die Luft. „Riechst du das auch, Öhnnes?“, grunzt der größere Onka.
„Nee, was denn, Jonka?“, fragt sein dicker Kumpel Öhnnes.
„Na, Menschenduft. Ich rieche es ganz genau. Kommt von da vorn. Wir gucken mal nach.“ Und damit trottet er in die Richtung, wo sich Amanda und Glitzy versteckt haben.
„Das wär ja ne fette Beute für unseren König“, sagt der große Jonka.
„Ich riech immer noch nix.“
„Vielleicht ist ja deine Nase verstopft“, meckert der große Onka.
„Dass ich nich lach. Dann leidest du an Geruchsverirrung“, meint der dicke Öhnnes und zeigt seinem Kumpel einen Vogel.
„Ich lege jetzt einen Geruchszauber über dich, Amanda, damit die Onkas dich nicht mehr riechen können. Aber sei trotzdem ganz still, damit sie uns nicht hören, obwohl ihre Nasen gefährlicher sind als ihre Ohren“, tuschelt der Stein.
„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“ Amanda blickt den Stein ratlos an.
„Ich erkläre dir das alles später, wenn die Onkas uns nicht vorher finden. Also, sei jetzt bitte still“, zischelt der Stein mit Nachdruck.
Der größere der beiden Onkas nähert sich immer mehr dem Gebüsch, in dem Amanda und Glitzy den Atem anhalten, damit sie sich nicht verraten. Vor lauter Angst schließt Amanda die Augen. Nun hört sie nur wenige Schritte von ihrem Versteck trockenes Holz zerbrechen.
Der Onka bleibt plötzlich abrupt stehen. „Komisch, jetzt brat mir doch einer nen Storch. Ich hätte meine Nase verwetten können, dass hier gerade eben noch Menschenduft war. Komisch, jetzt riech ich keinen Menschen mehr. Das gibt’s doch nicht. Auf meine Nase kann ich mich immer verlassen.“ Jonka schaut sich verwirrt auf der Lichtung um.
„Aber heute wohl nich“, feixt sein Kumpel. „Komm, lass uns nach Haus geh’n. Wir hab’n noch einen weiten Weg vor uns und es wird bestimmt bald dunkel.“
„Hier wird’s doch nie richtig dunkel.“ Der große Onka verdreht seine Augen.
„Ja, für uns wohl nich, aber für die andern doch.“
„Sach nur, du kriegst Schiss.“ Jonka dreht sich belustigt zu seinem dicken Freund Öhnnes um. „Wir sind doch wohl die Herrscher des Waldes und kein andrer.“
„Da haste ja recht, denn lass uns mal geh’n.“
Und so trotten die beiden Onkas mit lautem Stampfen in die andere Richtung über die Lichtung und verschwinden wieder im Wald.
Amanda atmet laut auf: „Gott sei Dank, endlich sind sie wieder weg.“
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