„Deswegn hab ich ja a mei Taschnlampn dabei, und bis ich daham bin, bin ich a widder nüchtern.“
„Mir kenna essn“, verkündete Hanni der Hammer, „hockt eich hie. Bertl, hulst du noch den Bodaggnsalat ausm Kühlschrank in der Gartnlaube? Ich geh schnell ins Haus und hol den grüna Salat.“
Es wurde ein geselliger, feucht-fröhlicher Abend. Um zweiundzwanzig Uhr dreißig waren der erste Kasten Bier und die erste Flasche Williams leer. Die drei schimpften über die Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen, und dass sie nicht nachgeben, geschweige denn dieser Raubritter-Organisation beitreten wollten. Sie würden es dieser Genossenschaft schon zeigen. Von wegen artgerechte Fischhaltung. Von wegen Besatzdichte. Und den Kormoran, schworen sie sich, den würden sie abknallen, egal wo und wann sie auf so einen Fischräuber stoßen würden. Zwischenzeitlich war die Sonne über den Waldgipfeln hinter dem Fritzenweiher verschwunden. Eine Säule Schnaken tanzte im letzten Dämmerlicht über dem Brünnleinsgraben, und drüben, auf der anderen Seite Röttenbachs, schlich sich die Nacht langsam von den Hügeln in das Dorf hinunter, geisterte durch die menschenleeren Straßen, kroch über die Hauptstraße und hielt auch in der Jahnstraße Einhalt. Die Wärme des Tages war mit der untergegangenen Sonne weitergezogen und die Luft kühlte deutlich ab. „Gemmer in die Gartnlaubn nei“, schlug Johann Hammer vor, „es wird kühl da außn. Ich hol uns nu an Kastn Bier und a Flaschn Schlehengeist. Des is was Feins.“
Es ging auf halb zwei zu. Die drei hatten kräftig weiter gebechert. Nüchtern war keiner mehr. Lautstark trällerte Helene Fischer ihr Atemlos-Lied aus dem Lautsprecher des CD-Players. Doch gegen die drei Teichwirte hatte sie nicht die geringste Chance, und auch nicht gegen deren eigene Interpretation.
♫ Wir pfeifen auf die Regeln dieser Scheiß-Genossenschaft,
all die Paragraphen, die sind nicht für uns gemacht, oh, oh“, schrie Hanni der Hammer wie ein brunftiger Hirsch in den Raum.
Da lachn wir nur drüber, lasst uns damit in Ruh‘,
Karpfen artgerecht, warum, weshalb, wozu? Oh, oh.
Ja, wir sind recht angepisst, falls niemand unsre Fische isst.
Euer Tun hat uns gezeigt: Jetzt gibt’s großen Streit.
Atemlos durch den Gau,
Abends sind wir meistens blau.
Dann kam die Stelle, welche den drei Fischzüchtern am besten gefiel.
Atemlos, Freudenhaus,
all die Weiber ziehn wir aus.
Atemlos durch den Gau,
nachts da werden wir zur Sau.
Atemlos, vogelfrei, ins Bordell, da geh’n wir drei.
Wir sind heute gut drauf, entfesseln unsre Triebe,
alles, was uns fehlt, sind fünf, sechs Bier …
Immer und immer wieder ließ Hanni der Hammer die Musik-CD von vorne laufen. Kurz vor drei Uhr meinte Knöllchen-Horst, dass es langsam Zeit für ihn sei zu verschwinden. „Ich hab ja a nu an Wech vor mir“, argumentierte er mit schwerer Zunge.
„Wo isn dei Jackn?“, wollte der Hausherr wissen, „wo hastn die hieglecht?“
„Jackn? Hab ich kane dabei“, antwortete Horst Jäschke, „war doch warm, als ich mich aufn Wech zu dir gmacht hab.“
„Aber etz is überhaupt nemmer warm draußn“, mischte sich der Bertl ein, „da werds dich gscheit huschern, in deim dünna T-Shirtla.“
„Du ziehgst mei Jeans-Jackn an“, ordnete Johann Hammer an, „sunst wirst mer bloß nu sterbenskrank. Und mein grüna Filzhut setzt a auf. Bringstes halt demnächst widder vorbei. Hast dei Taschnlampn, damidst dein Wech findst?“
„Ja, in meiner Husntaschn.“
„Bertl, ich man wir zwaa singa nu a Liedla, wenn der Horst weg is.“
„Und a Schnäpsla trink mer a nu, gell, dann werd ich mich a langsam aufs Ohr legn. Des Sofa da schaut doch bequem aus. Auf mich wart ja ka Fra. Gott sei Dank net.“
In beiger Jeans-Jacke, deren Ärmel er dreimal nach hinten gekrempelt hatte, und grünem Jägerhut wankte Knöllchen-Horst auf der Jahnstraße dahin, nahm den kurzen Weg zum alten Röttenbacher Rathaus hinauf und bog dann rechts in die Schulstraße ab. Nachdem er das Neubaugebiet Am Sonnenhang passiert und den Feldweg Richtung Neuhaus erreicht hatte, schaltete er seine Taschenlampe ein und begann lauthals zu singen. „ … Atemlos durch den Gau, nachts da werden wir zur Sau. Atemlos, vogelfrei, ins Bordell da geh’n wir drei …“ , grölte er vor sich hin. Dass er nur noch wenige Minuten zu leben hatte, konnte er nicht wissen. „ … Wir sind heute gut drauf, entfesseln unsre Triebe, alles was uns fehlt, sind fünf, sechs Bier …“ Bei dem Wort Bier blieb er stehen. „Sakra, des schwappt in meim Bauch rum.“ Mit der Rechten öffnete er den Reißverschluss seiner Hose. Mit der Linken stützte er sich am mächtigen Stamm einer Eiche ab. Der Lichtschein seiner Taschenlampe, welche er im Mund hielt, leuchtete in den Straßengraben und folgte seinem Strahl der Erleichterung „Mei tut des gut“, ging es ihm durch den Kopf. Trotz seines Alkoholpegels vernahm er das schleichende Geräusch hinter sich. Wie vorsichtige Schritte hörte es sich an. Er drehte sich um. „Du?“ Dann fuhr ihm die aus rostfreiem AISI 420-Stahl zweiseitig geschliffene Klinge von hinten mitten ins Herz.
Gerald Fuchs, der Kommissar der Erlanger Mordkommission, und seine attraktive Assistentin Sandra Millberger standen am Ende der geteerten Schulstraße – dort, wo diese in einen Feldweg übergeht. Wie oft waren sie hier schon vorbeigekommen, auf dem Weg zum Neuhauser Bierkeller! Das Neubaugebiet Am Sonnenhang, hinter ihnen, lag noch im Schatten der dahin schleichenden Nacht. Drüben im Osten, über den Bäumen am Horizont, erstrahlte ein gelb-orangefarbenes Lichtband, welches von Minute zu Minute anwuchs. Der Kommissar sah auf seine Armbanduhr. Der kleine Zeiger stand genau auf der Sechs. Normalerweise lag er um diese Zeit noch im Bett und schlief. Am Sonntag sowieso. Mit seinen fünfundvierzig Jahren war er noch immer Single, dabei sah er blendend aus. Seine sportliche Figur streckte sich auf stattliche einen Meter dreiundachtzig. Sein ovales Gesicht mit dem männlich kantigen Kinn hatte schon so manches Frauenherz erwärmt, ebenso wie seine hellgrünen Augen mit den langen, gebogenen Augenwimpern unter den buschigen Augenbrauen. Er war nach seinem verstorbenen Vater, Hans Fuchs, dem Bruder seiner Tante Kunigunde Holzmann geraten. Die war ja lieb und nett, aber eine furchtbar rechthaberische und besserwisserische Furie. Er ging ihr und ihrer Freundin Retta – auch so ein tratschsüchtiges Exemplar – lieber aus dem Weg. Die beiden Besserwisser hatten ihn in der Vergangenheit schon genug geärgert. Rechts des Weges waren noch immer die Kollegen von der Kriminaltechnischen Untersuchungsabteilung tätig. Unter ihnen tummelte sich auch Dr. Thomas Rusche, forensischer Anthropologe und Rechtsmediziner. Ein exzellenter Mann. Er hatte gerade seine Arbeit beendet und kam auf die beiden Beamten zu. „Morgen, hübsche Frau. Morgen, Herr Kollege“, begrüßte er die beiden Ermittler von der Kripo. „Kein schöner Anblick“, fuhr er ohne Umschweife fort. „Da ist nicht mehr so viel übrig geblieben.“
„Verbrannt?“, vergewisserte sich Sandra Millberger.
„Verbrannt“, bestätigte der Rechtsmediziner, „aber das ist sicherlich nicht die Todesursache.“
„Sondern?“, fragte der Kommissar.
„Kann ich noch nicht beantworten. Dazu müssen wir erst die Ergebnisse der Leichenschau abwarten.“
„Todeszeitpunkt?“, ließ Gerald Fuchs nicht locker.
„Vorsichtig geschätzt, vor zwei bis drei Stunden, aber auch dazu Genaueres nach der Autopsie. Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Da wurde nachgeholfen. Brandbeschleuniger. Wahrscheinlich Benzin.“
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