Hartmut Kuthan
Zufall im Leben der Zelle
Variation, Entwicklung und Evolution der Organismen
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.
Coverabbildung: Foto der mitotischen Spindel in einer menschlichen Zelle, die Mikrotubuli in grün, die Chromosomen (DNA) in blau und Kinetochoren in rot.
(Bild gemeinfrei von Afunguy aus der englischen Wikipedia.)
Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
www.engelsdorfer-verlag.de
Cover
Titel Hartmut Kuthan Zufall im Leben der Zelle Variation, Entwicklung und Evolution der Organismen Engelsdorfer Verlag Leipzig 2016
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Coverabbildung: Foto der mitotischen Spindel in einer menschlichen Zelle, die Mikrotubuli in grün, die Chromosomen (DNA) in blau und Kinetochoren in rot. (Bild gemeinfrei von Afunguy aus der englischen Wikipedia.) Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) 1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016 www.engelsdorfer-verlag.de
Vorwort
1 Die Ordnung des Lebenden
Das stochastische Paradigma
Leben und Nichtleben
Das mechanistische Modell des Lebens
Schrödingers Paradoxon der Ordnung
Schlüsselmoleküle des Lebens
Molarer Determinismus
Zellprozesse in der „Mittelwelt“
2 Molekulare Fluktuationen und Interaktionen
Brown’sche Molekularbewegung
Irrfahrt und Diffusion in der Zelle
Diffusionsabhängige Wechselwirkungen
Molekulare Schalter
Rezeptoren und Signalübertragung
3 Wider das Chaos: makromolekulare Komplexe
Der steinige Weg zum Makromolekül
Katalysatoren der Zellprozesse: Enzyme
Proteinkomplexe – die Akteure der Zelle
Brown’sche Motoren: Maxwell’sche Dämonen?
Dynamische Polymerstrukturen
Organisationsprinzipien zellulärer Kernprozesse
4 Vererbung und Zufallsprozesse
Gregor Mendel: Begründer der Genetik
Die Chromosomentheorie der Vererbung
Mitose-Spindel: Selbstaufbau oder Selbstorganisation?
Vom Genotyp zum Phänotyp
Stochastische Genexpression
5 Gen – ein Begriff im Wandel
Rätselhafte Erbeinheiten
Genome und Transkriptome
Genmutationen und Quantenphänomene
Spontane Mutationen: reiner Zufall?
DNA-Korrekturlesen und Reparatur
Genetische Variation durch Rekombination
6 Biologische Variabilität und Entwicklung
Nicht-erbliche Variabilität
Epigenetische Information und Vererbung
Embryogenese, Zellteilung und klonale Variabilität
Entwicklung und Zellschicksal
Modularität und Robustheit molekularer Netzwerke
7 Evolution und Zufall
Darwin, Wallace und das Prinzip der Auslese
Phänotypische Variabilität und Reaktionsnorm
Werden erworbene Eigenschaften vererbt?
Neutrale Mutationen und Hypermutationen
Moderne Synthese, Neutrale Theorie und Gendrift
Evolutionäre Entwicklung (Evo-Devo)
Resümee
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Register
Bildnachweis
Das auf René Descartes zurückgehende Maschinenbild der Lebewesen hat Jahrhunderte überdauert – bis zum heutigen Tag ist eine Vielzahl aus der Mechanik entlehnter Begriffe und Analogien in der Biologie gebräuchlich.
Andererseits hielten die Begriffe Zufall und Wahrscheinlichkeit mit den umwälzenden Theorien der Evolution und der Vererbung im neunzehnten Jahrhundert Einzug in das biologische Gedankengebäude. Doch dies bedeutete nicht das Ende des mechanisch-deterministischen Paradigmas. Das reduktionistische Vorgehen, die Fragmentierung der Zellen und subzellulären Strukturen, und die Anwendung chemischer und physikalischer Untersuchungsmethoden haben zu einer bewundernswerten Aufklärung der molekularen Details vieler Zellprozesse geführt – aber auch zur Dominanz mechanistischer Modelle und deterministischer Erklärungsmuster. Indessen haben systembiologische Untersuchungen zu der Erkenntnis geführt, dass sich die molekularen Kernprozesse der Zelle adäquat durch verschachtelte Netzwerke interagierender Makromoleküle beschreiben lassen – und diese Interaktionen sind stochastischer Natur. Besonders klar tritt dies bei der Genexpression zutage.
Dennoch werden viele zelluläre Prozesse, deren Stochastizität inzwischen erwiesen ist, in den einschlägigen Lehrbüchern nach wie vor als deterministische Vorgänge dargestellt. Das vorliegende Buch soll dazu beitragen, die überholten Sichtweisen zu überwinden. Zur Beleuchtung des stochastischen Paradigmas, vornehmlich in der Zellbiologie, Genetik, Entwicklungs- und Evolutionsbiologie, werden fundamentale Prozesse vorgestellt. Molekulare Interaktionen und Zellprozesse stehen dabei im Vordergrund; die biophysikalischen und biochemischen Grundprinzipien sind Gegenstand der ersten drei Kapitel. Eine umfassende Darstellung ist jedoch weder möglich noch zweckdienlich. Vielmehr wird der Schwerpunkt auf instruktive Prozesse und Modelle gelegt und die Bedeutung grundlegender Ideen und Begriffe aufgezeigt. Hierzu sollen auch die Schilderungen der historischen Hintergründe und Meilensteine experimenteller und begrifflicher Entwicklungen beitragen.
Weiterhin wird der Nachvollziehbarkeit der Fakten und Interpretationen großer Wert beigemessen; zentrale Aussagen werden durch Verweise auf Originalarbeiten, Übersichtsartikel oder anderweitige Quellen belegt und gegebenenfalls durch Anmerkungen im Anhang ergänzt und verdeutlicht.
Nicht zuletzt habe ich eine elementare Darstellung angestrebt, insbesondere molekulare Mechanismen werden auf das notwendig erscheinende Ausmaß beschränkt, damit die Leitideen und wesentlichen Prinzipien klarer hervortreten. Einer zu starken Vereinfachung steht allerdings die atemberaubende Komplexität der molekularen Lebensprozesse entgegen. Letztendlich sollen aber auch die mehr oder weniger schwierig erscheinenden Details das vorrangige Ziel dieses Buches unterstützen – die Erhellung des faszinierenden Wechselspiels von Gesetzmäßigkeit und Zufälligkeit im Zellgeschehen.
Hartmut Kuthan
August 2015
1 Die Ordnung des Lebenden
In der lebendigen Natur geschieht nichts, was nicht in einer Verbindung mit dem Ganzen stehe (…)
Johann W. v. Goethe1
Das stochastische Paradigma
Leben ist ein Wunderwerk der Natur, faszinierend und rätselhaft wie kaum ein anderes Naturphänomen.
Wie Gegenpole zu dem geordneten Erscheinungsbild lebender Organismen, den Generation für Generation wiederkehrenden arttypischen Merkmalen und Eigenschaften, erscheinen dagegen „Zufall“ und Chaos: Sinnbilder für Unsicherheit, Unvorhersagbarkeit und Unordnung.2 Es ist eine verwirrende Vorstellung, dass unsichere Ereignisse mit der eindrucksvollen Organisation der Organismen, ihren staunenswerten Lebenszyklen, ihrer Anpassungs- und Überlebensfähigkeit in einer sich ständig verändernden Umwelt, im Einklang stehen. Dennoch ist dies der Fall: Mit der Evolutionstheorie von Charles Robert Darwin (1809 - 1882) und Alfred Russel Wallace (1823 - 1913), den Untersuchungen von Gregor Johann Mendel (1822 - 1884) zu den Gesetzmäßigkeiten der Vererbung von qualitativen Merkmalen und von Francis Galton (1822 - 1911) zur statistischen Analyse und Modellierung der Variabilität in biologischen Populationen fanden Zufall und Wahrscheinlichkeit Eingang in die klassische Biologie. Als grundlegend für die genetische Variation in höheren, geschlechtlich fortpflanzenden Organismen erwies sich die zufällige Vereinigung der Geschlechtszellen (Eizellen und Spermien) bei der Befruchtung, die bereits Mendel vorwegnahm. Die dem „Zufall“ überlassene Aufteilung der elterlichen Chromosomen während der Reduktionsteilung der Meiose, die der Bildung der reifen Geschlechtszellen mit einfachem Chromosomensatz vorangeht, und der Nachweis von ungerichteten, bleibenden Veränderungen (Mutationen) der Erbsubstanz (DNA oder RNA) sind weitere hervorstechende biologische Rollen zufälliger Ereignisse .3
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