„Eure Eltern haben ja gar nichts an“, rief Gerda entsetzt.
„Na und“, meinte Laura. „Die schlafen doch immer so.“
Maria war nun etwas verlegen, weil sie nicht daran gedacht hatte, dass Jansens Kinder ja anders groß geworden waren.
Wolfram zog die Decke wieder zurück und meinte: „Gerda, sieh mal, wenn Eva, Laura und Julia baden gehen, haben sie auch nichts an. Bei uns ist das ganz normal! Frag Eva.“
„Stimmt das?“, fragte sie jetzt Eva.
„Ja, bei uns am See baden die Erwachsenen auf der linken Seite mit Badeanzug und rechts ohne. Das stört zu Hause niemanden. Wenn wir baden, dann baden wir immer ohne was an. Mamma und Pappa auch. Das ist doch nicht schlimm.“
Doch Gerda und Kai sahen das doch etwas anders. So etwas waren sie von zu Hause nicht gewöhnt. Um dieser Diskussion ein Ende zu machen, sagte Maria: „Jetzt geht euch erst mal waschen und anziehen, dass wir frühstücken gehen können.“
Nachdem die Kinder ins Bad gerannt waren, zogen Maria und Wolfram sich an. Als alle fertig waren, fuhren sie mit dem Fahrstuhl runter in den Saal, wo das Frühstücksbuffet auf sie wartete. Von den anderen der Hochzeitsgesellschaft war noch niemand im Saal. Wolfram meinte: „Kinder! Ihr dürft so viel essen, wie ihr wollt. Heute dürft ihr euch selbst etwas nehmen, wie die Erwachsenen. Das gilt auch für euch, Gerda und Kai.“ Die kleine Julia nahm Wolfram auf den Arm, damit sie zeigen konnte, was sie essen wollte.
Als alle am Tisch saßen, ging Wolfram zum Kellner und fragte, ob der Rest vom kalten Buffet von gestern Abend wie abgesprochen in zwölf gleiche Pakete verpackt worden sei. Der Kellner nickte, woraufhin Wolfram meinte, dass er diese Pakete nachher abholen wolle. Dann setzte er sich zu Maria und den Kindern und frühstückte erst mal reichlich.
Nach einer Viertelstunde kam Sven ganz aufgeregt an den Tisch und sagte: „Wisst ihr, was heute Früh hier los war? Es gab eine Belegschaftsversammlung und wir wurden informiert, dass das Hotel verkauft worden ist und dass ich jetzt Bereichsleiter für den Gästebereich bin. Wolfram, ich weiß nicht, wie du das machst. Aber du hattest schon wieder recht, als du sagtest, ich solle erst mal abwarten. Ich werde auch mehr verdienen. Das Jahr fängt wunderbar an. Dabei war ich so in Sorge.“
„Weiß Andrea das schon?“, fragte Maria.
„Ja, ich komme gerade von oben. Sie liegt noch im Bett. Ich musste leider schon recht früh raus, wegen dieser Belegschaftsmitteilung.“
„Sven“, sagte Wolfram, „die Wege des Herrn sind unergründlich! – Kannst du veranlassen, dass die Pakete vom gestrigen kalten Buffet mitnahmefertig sind? Wir wollen sie nachher mit ins Dorf nehmen, wenn wir die beiden Kinder zurückbringen.“
„Na klar. Schließlich bin ich seit heute auch für die Küche verantwortlich.“
Nach dem Frühstück zogen sie sich warm an, holten die zwölf Pakete aus der Küche und fuhren mit ihrem Leihauto rüber ins Dorf Håp Land . Dort ging es aber zuerst in die Dorfschenke, um eine Einladung für den Nachmittag zu hinterlegen. Sie baten den Wirt, diese ins Fenster zu hängen. Mit einem von den zwölf Paketen war er dann auch überzeugt und klebte die Einladung ins Fenster, sodass man sie von außen lesen konnte. Anschließend fuhren sie zu den Eltern von Gerda und Kai. Olaf und Ivonne freuten sich, dass sie ihre Kinder wiederhatten. Sie bedankten sich auch noch einmal, dass Maria und Wolfram sie so problemlos im Hotel untergebracht hatten. So hatten Olaf und Ivonne bis zum Schluss mitfeiern können. Olaf fragte trotzdem: „Gab es irgendwelche Probleme mit unseren beiden Kindern?“
Maria und Wolfram sahen sich an und schüttelten die Köpfe. Wolfram übergab Ivonne eins von den zwölf Paketen. „Das ist für euch. Esst es schnell auf. Es wird sich nicht lange halten.“
„Aber das ist doch nicht nötig. Das können wir nicht auch noch annehmen“, meinte Olaf.
„Dann müssen wir es wegwerfen. Das wäre aber schade. Im Hotel darf es nicht mehr verwendet werden. Wer soll es also essen?“, entgegnete Wolfram.
„Dann geben Sie es doch Marias Eltern“, meinte Ivonne.
„Das ist nur eins von zwölf Paketen. Natürlich bekommen Marias Eltern auch eins. Dann sind aber immer noch zehn Pakete im Auto“, erwiderte Wolfram. „Olaf, Sie kennen die Leute im Dorf. Wie viele Familien haben so gut wie kein Einkommen?“
„Es sind außer uns noch sieben Familien. Warum fragen Sie?“ Da rief Wolfram die Kinder und sagte zu ihnen: „Wollt ihr uns helfen?“ Aus fünf Mündern kam ein eindeutiges Ja.
„Dann nehmt bitte die Pakete, die ich euch gleich aus dem Auto gebe, und tragt sie zu den Familien, die euch Onkel Olaf beziehungsweise euer Pappa sagen wird. Nehmt erst einmal vier Pakete und holt dann die anderen drei. Für die Kleinen ist das sicher zu schwer.“
„Aber von den Familien waren gestern gar nicht alle bei der Feier“, gab Olaf zu bedenken.
„Dann hatten sie vielleicht ein ähnliches Problem wie ihr. Umso mehr werden sie sich freuen.“ Zu Eva gewandt sagte Wolfram: „Eva, du bist doch schon groß. Sage bitte, dass es von gestern übrig ist und wir uns sehr freuen würden, wenn sie dieses Geschenk annehmen würden. Und ihr, Laura und Gerda, helft ihr bitte dabei. Wir müssen die leckeren Sachen sonst wegwerfen. Sagt ihnen das.“
Er nahm die Kinder mit zum Auto, gab den großen vier Pakete und nahm noch einmal vier Pakete mit ins Haus. Die Kinder liefen los – zumindest die drei großen wussten ja, wo jeder wohnt.
Im Haus gab er Ivonne noch ein Paket und sagte: „Es sind einfach zu viele. Da müsst ihr uns noch eins abnehmen. Für Marias Eltern liegen auch noch zwei im Auto.“
Die anderen drei Pakete legte er in der Küche ab. Hier fragte Ivonne: „Stimmt es, dass … wie soll ich das sagen? Gerda sagte mir, dass Sie gar nichts anhatten, als sie mit Ihren Mädchen zu Ihnen ins Schlafzimmer gekommen sind. Das hätte ich von Ihnen und vor allem von Maria nicht gedacht.“
„Ivonne, wir klären das besser mit Olaf und Maria. Ich möchte nicht, dass hier ein völlig falsches Bild entsteht.“ Sie nickte und ging mit Wolfram ins Wohnzimmer. Hier erzählte Wolfram, was sich am Morgen im Schlafzimmer abgespielt hatte. „Ihr dürft das nicht falsch verstehen. Wir machen solche Späße öfters zu Hause in Deutschland. Bitte glaubt jetzt nicht, dass es bei uns irgendwie anstößig zugeht. Ich weiß, wie man hier denkt, und das heute Früh war auch so nicht geplant. Wir hatten im Spiel einfach nicht daran gedacht, dass eure Kinder das nicht gewöhnt sind. Wir leben etwas offener als ihr hier. Das heißt aber nicht, dass es deshalb anstößiger ist. Seht mal, bei uns gibt es Badestrände, wo die Menschen sich völlig ausziehen. Das ist legal und immer noch seriös. Auch wird dort niemals eine Frau belästigt oder gar bedrängt. Selbst wenn sie allein am Strand ist. Das mag für euch jetzt unverständlich erscheinen, aber glauben Sie mir, es geht an diesen Stränden genauso anständig zu wie an allen anderen Stränden. Vielleicht etwas reservierter. Auch hier in Norwegen soll es solche Strände geben.“
Ivonne schüttelte den Kopf. „Das soll anständig sein?“
Wolfram gab zu bedenken: „Denkt mal an Adam und Eva im Paradies. War das etwa unanständig?“
„Aber das war doch etwas ganz anderes“, verteidigte Olaf seine Frau.
Nun mischte sich auch Maria ein: „Wirklich? Sie haben sich vor Gott und auch vor sich selbst nicht schämen müssen. Warum tun wir es dann? Vor allem vor unseren Kindern?“
Dass Maria diese Sache verteidigte, hatten Olaf und Ivonne nicht erwartet.
„Diese Ausnahme gibt es nur beim Baden oder zu Hause in der Familie“, fügte Wolfram hinzu, um das Thema abzuschließen, bevor die Kinder wiederkamen. „Und auch nicht alle Deutschen denken so. Aber ungefähr ein Drittel der Deutschen lebt so. Das hat sich im Laufe der letzten hundert Jahre entwickelt. Waren es damals noch viel weniger Leute, werden es heute immer mehr. Ich finde es für die Kinder gut, wenn sie in diesem Punkt etwas freier groß werden. Bitte versucht das zu verstehen. Niemand verlangt von euch, dass ihr genauso denkt. Vielleicht werdet ihr uns mal in Deutschland besuchen. Dann könnt ihr sehen, dass alles so ist, wie wir es beschrieben haben.“
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