Dieses Sprechen Gottes, das Wort Gottes, das zunächst noch anfanghaft und distanziert ist (niemand hat Gott je gesehen) beginnt sich später - so die Auffassung des Christentums - dem Menschen genauer zu zeigen und zu offenbaren. Das Sprechen Gottes vermenschlicht sich, das Wort Gottes wird Mensch, kommt dem Menschen entgegen und macht ihm vor, wie Leben geht. „Ich bin das Leben“ (Joh 14,6). Dieses „Wort“ Gottes, das sich im irdischen Leben zeigt, heißt im Griechischen „logos“. Der logos zeigt sich in dieser Welt als Mensch, er zeigt sich in jedem Menschen und erweist sich als Grund der Welt. Daher heißt es im Johannesevangelium: Im Anfang war der logos, im Anfang war das Wort (Joh 1,1 - 2).
Bewusst heißt es:„Im Anfang“ war das Wort und nicht „Am Anfang“. Es geht nicht um den Anfang der Welt, den man eher mit dem Begriff des Beginns belegen müsste, sondern es geht um das je neu Anfanghafte und Ursprüngliche, in dem der absolute Grund „da“ ist und der in jedem Moment des Lebens aufspringt und etwas Neues ins Sein setzt, das noch nie da war. Es sagt etwas aus über den letzten Grund des Seins, den das Judentum den Schöpfer nennt: Alles wird täglich erneuert, das Leben lebt von dieser ständigen Erneuerung, die von selbst und ganz still vonstatten geht. Selbst Zellen im Organismus werden unmerklich in jeder Sekunde erneuert, abgebaut, umgebaut, neu gebaut.
Bei Hermann Hesse heißt es: Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Allem Anfang wohnt dieses Neue, Junge, Anfanghafte und Ursprüngliche inne. Jeder Moment des Lebens ist ein solcher Anfang im Kontinuum des schon Gewesenen, Vergangenen und Zukünftigen. Im Jetzt des Augenblicks fallen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen. Das je neu Anfanghafte und Aufspringende des Ursprünglichen ist das Jetzt der ständigen Gegenwart. Ständige Gegenwart ist Ewigkeit. So ist im Vorbeizug der Zeit das Ewige immer schon „da“ und in jedem neuen Moment des Lebens, der noch nie da war, das Bleibende präsent. Das Neue knüpft an schon Bekanntes an, sonst könnte der Mensch sich gar nicht zurecht finden. So ist es neu und doch nicht ganz unbekannt. Jedem Augen-Blick des Lebens wohnt das Anfanghafte es Ur-wortes inne. Man muss es nur entdecken, es ist ganz still.
Dieses Wort ist nach christlicher Auffassung in der Person Jesu Christi Mensch geworden und wohnt auch in jedem Menschen. Daher drückt Augustinus die Anwesenheit dieses Wortes im Seelengrund des Menschen personal so aus:„Du bist mir innerlicher als ich mir selbst bin“ und „unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir“.
Wenn dem so ist, dann ist der Mensch derjenige, der auf dieses Ur-Wort ant-worten (gegen-worten) muss. Darin besteht seine tiefste und letzte Ver-ant-wortung.
Nun kann der Begriff „logos“ nicht nur mit „Wort“, sondern auch mit Logik, Vernunft und Sinn übersetzt werden, und dann meint dies, dass die Welt von einer Art Ur-logik, Ur-vernunft und einem Ur-Sinn durchdrungen ist. Man findet diesen logos in der Ordnung des Kosmos, in der Ordnung und dem Spielraum der lebendigen Natur sowie in der Ordnung und Freiheit der Vernunftnatur des Menschen. Diese Ur-logik und das Ur-Wort durchdringen alles und zeigen sich in allem. Sie müssen nur ent-deckt werden.
Wenn diese Urlogik in allem ist und der Mensch auf den Logos, der sich in der Welt zeigt, antworten muss, dann meint das konkret, dass er in eine bereits vorfindliche Welt hineingeboren wird und daher „nur“ der „Gegen-Worter“ und nicht der „Worter“ ist. Er ist das zweite Glied in der Kette, er ist Geschöpf und nicht Schöpfer. Er muss sich auf die vorfindliche Welt einlassen, kann deren Gesetze erforschen und darüber nach-denken, was die Welt im Innersten zusammenhält. Vor-denken kann er die Welt nicht, sie ist schon „da“. Auch ein Vordenker ist in diesem Sinne ein Nachdenker.
Der Mensch muss im konkreten Alltag immer wieder neu auf die ihm begegnenden Ereignisse des Lebens reagieren und kann, wenn es gut geht, sein Leben ein Stück weit selbst mitgestalten. In ständigen Entscheidungen muss er auf das auf ihn Zukommende (Zu-kunft) antworten und kann doch selbst auch Anfänge setzen. Im tiefsten Sinne „machen“ kann er die Zukunft nicht. Es kann sein, dass es morgen keine Zukunft mehr gibt. Wenn es sie aber gibt und die Welt nicht untergeht, kann er im Rahmen seiner Vorgegebenheiten anfanghaft etwas Selbstursprüngliches setzen, er ist nicht nur Spielball fremder Mächte.8
Das Leben beginnt ganz still und unscheinbar: ein menschlicher Same und eine Eizelle vereinigen sich zur Zygote, dann geht alles wie von selbst, zwei Zellen, vier, acht. Es ist ein neues Leben entstanden. Dieses neu entstandene Leben ist einmalig, vor ihm war noch nie eines so und nach ihm wird keines mehr so sein. Es ist es sogar in seiner genetischen Ausstattung, auch aufgrund der epigenetischen Faktoren. Daher unterscheiden sich auch eineiige Zwillinge. Dieses neue Leben hat ein Geschlecht, es ist lebendig, es ist ein Menschenleben und keine Sache. Es weiß nichts von seiner Existenz und wurde auch nicht gefragt, ob es leben will. Das Leben wird ihm zugemutet. Später muss sich der junge Mensch zu seinem Leben, zu sich selbst und zu seiner Umgebung irgendwie verhalten.
Das Spermium findet die Eizelle, indem es durch bestimmte Duftstoffe angelockt wird (Chemotaxis). Spermium und Eizelle wandern im Eileiter aufeinander zu. Es kann passieren, dass aufgrund eines genetischen Defekts ein Spermium die Eizelle nicht findet oder es zu schwach ist, in sie einzudringen. Dann findet keine Befruchtung statt. Nur ein Spermium von den vielen Millionen, die auf die Eizelle zuwandern, darf in die Eizelle eindringen. Nach dem Eindringen des einen Spermiums verschließt sich die Eizelle. Gelangt ein zweites Spermium hinein, ist dies mit dem Leben nicht vereinbar.
Die Eizelle hat eine sehr dicke Hülle, so dass nur gesunde Spermien eindringen können. Haben Spermien zum Beispiel einen genetischen Schaden und können die Eizellhülle nicht durchdringen, findet keine Befruchtung statt. Die Medizin kann hier zwar nachhelfen und mit Hilfe einer Spritze ein Spermium in die Eizelle einbringen (intracytoplasmatische Spermieninjektion, ICSI). Sie kann aber das eingebrachte Spermium vorher nicht genetisch untersuchen, da es bei der Untersuchung zerstört würde. So gelangt möglicherweise ein genetisch geschädigtes Spermium in die Eizelle, so dass bei den späteren Kindern Schäden entstehen können.9
Es beginnt ein stiller, geräuschloser, von selbst ablaufender, komplizierter physiologischer Prozess. Die erste Zelle teilt sich, es entstehen zwei Zellen, dann vier, dann acht. Es geschieht das, was Aristoteles „Selbstbewegung“ nennt. Der Begriff meint, dass sich das Leben jetzt von selbst weiter entwickelt und von innen her Gestalt wird. Die Zygote (erste Zelle) und der Embryo wachsen und die Zellen differenzieren sich in die etwa 220 verschiedenen Zelltypen, die ein erwachsener Mensch hat. Die Zygote hat bereits eine aktive Potentialität, das heißt, sie hat alles in sich, was sie zur Entwicklung hin zum Embryo und zur weiteren Entwicklung braucht. Von außen bedarf sie nur der Nahrung und der richtigen physiologischen Umgebung. Diese aktive Potentialität führt zu einem Lebens- und Entfaltungsprozess, der nicht zu stoppen ist. Um ihn zu stoppen, muss man den Embryo töten. Leben ist ständige Veränderung. Und Veränderung braucht zwei Prinzipien: ein sich änderndes und ein sich durchhaltendes. Das erste nannte Aristoteles „Materie“, und dasjenige Prinzip, das sich im Innersten des sich verändernden Lebendigen durchhält und die Identität des Seienden ausmacht, nannte er Seele.
Das sich entwickelnde Leben drängt nach vorne, nach Wachstum, Veränderung, Differenzierung und schließlich nach Geborenwerden. Es ist ein unumkehrbarer Prozess, eine Einbahnstraße. Es geht nur in eine Richtung nach vorne und nicht zurück, es drängt nach vorne und nach draußen. Der Embryo und der spätere Fetus (ab dem dritten Monat so genannt) entwickeln sich als Mensch und nicht erst zum Menschen. Der aktiven Potentialität der Zygote, des Embryos und des Fetus, die zur Selbstentfaltung führt, steht die passive Potentialität von Samen und Eizelle gegenüber. Diese besitzen jeweils nur den halben Chromosomensatz und bedürfen daher des jeweils anderen, um lebensfähig zu sein. Allein sind sie es auf Dauer nicht.
Читать дальше