P.S. Wir legen Wert auf die Feststellung, dass die Idee zu diesem Buch im Jahre 2004 entstand, ein Jahr vor dem Schiedsrichter-Skandal.
Das Image der Schiedsrichter – Ein trauriges Kapitel
»Da saß er nun und fingerte und pfiff dazwischen manchmal so falsch, daß es einem durch Mark und Bein ging und man oft sein eigenes Wort nicht verstehen konnte.«
Joseph von Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts
»Der Mensch ein Dreck, sein Leben ein Gelächter.«
Heiner Müller: Macbeth
Wir kennen die »Einsamkeit des Torwarts« (Albert Camus) und die »Einsamkeit des Rechtsaußens« (Fernando Acitelli), wir kennen Verteidiger, die werden vom Rest der Elf schnöde im Stich gelassen und Mittelstürmer, denen fehlt jede Bindung zum Spiel. Aber »der Mann, der wirklich einsam ist,« schreibt Darwin Pastorin im Brief an meinen Sohn über Fußball , »ist er, jener Schiedsrichter, der dich in seinem gelben Trikot zum Lächeln bringt«. Der italienische Schriftsteller hält sie alle für Melancholiker. Weil Referees ihre besten Jahre auf Bolzplätzen hinbringen, »ohne Schutz, ohne Sicherheitskräfte, umgeben von unreifen Burschen und ihren wütenden Vätern, fanatischen Funktionären, brutalen, respektlosen Spielern.« Weil sie rennen, »ohne jemals an den Ball zu kommen. Ein Tor zu schießen. Oder wenigstens Beifall zu bekommen.«
Rainer Moritz, der selbst mal gepfiffen hat und heute u. a. Vizepräsident der Marcel Proust Gesellschaft ist, also ein ausgewiesener Experte für Melancholie, sieht den Schiedsrichter eher als »Masochisten«. Ihm will nicht recht einleuchten, »warum sich verhaltensunauffällige Zeitgenossen freiwillig zum Dienst an der Pfeife melden.« Auch Hans Blickensdörfer, der Nestor des deutschen Sportjournalismus, meint, es brauche »schon eigenartige Gesellen für den Job«. Jahrzehntelange Studien am lebenden Objekt haben ihn tief blicken lassen. Sein Fazit: »Idealismus, Hilfsbereitschaft, Rechtschaffenheit, Ehrgeiz, Machthunger und auch Neid sind die Komponenten ihrer Psyche«. Neben dem »Masochismus« selbstverständlich. Insgesamt, so Blickensdörfer, »eine Mischung, die immun macht gegen die vordergründige Tatsache, dass sie von Spielern und Publikum als notwendiges Übel betrachtet werden.«
Es gibt Menschen, die den Unparteiischen mit weit weniger Bonhomie betrachten. Zum Beispiel Klaus Theweleit. Während der Arbeit an seinem Werk Tor zur Welt sinnierte der Freiburger Publizist wochenlang inspiriert wie gutartig über den »Fußball als Realitätsmodell«. Auf Seite 185 (Kapitel Verweigerung und Rechtsnormen ) war’s plötzlich vorbei mit der auktorialen Souveränitat. »Willkürherrscher«, krachte es in seinen Laptop, »diktatorischer Terrormann« und »schiedsrichterliche Selbstherrlichkeit«. Einmal in Fahrt, kündigte er stante pede den »Gesellschaftsvertrag, der mich mit dem Spiel verbindet«, wütete weiter wider den »böswilligen Pfeifengott«, der die Arbeit der Spieler »mit irrwitzigen Pfiffen zunichte macht«. Dies »schändliche Überbleibsel vergangener Herrschaftsformen« mit »päpstlicher Rechteausstattung« widerspreche »jeder europäischen Rechtsnorm« und sei »ein Fall für Brüssel«. Schiedsrichter, furorte es am Ende aus Theweleit, Schiedsrichter brächten ihn schlicht »zur Weißglut«.
Da ist er nicht der Einzige. Spieler, Trainer, Journalisten, Funktionäre, Fans fluchen Woche für Woche über die scheinbar chronischen Defizite der Zunft. »Amateure, blutige Anfänger im knallharten Fußballgeschäft«, ätzt Paul Breitner, »zurück in die Pampa«, giftet Heribert Faßbender, »Tomaten-Schiris«, röhrt die Bild , »kriminelle Vereinigung«, jammert AS Rom-Präsident Franco Sensi, »Despektspersonen, Unsympathler, potentielle Päderasten«, grantelt Austria-Dichter Franzobel, jeder Fehlentscheid ein Akt nackter Gewalt, »als wenn dir einer ein Messer in den Bauch rammt, und du musst noch dabei lächeln«, deliriert Christoph Daum. »Alle hassen ihn«, sagt Eduardo Galeano. Nein, nicht Daum, den Referee. Zumindest Galeano hat gute Gründe und eine Geschichte aus Bolivien parat.
Sie handelt von Schiedsrichter Ignacio Salvatierra, der den Stürmer Abel Vaca Saucedo mit der roten Karte strafte. Nicht wegen Foulspiel, Abseits, Meckerei oder sonst einem Regelverstoß. Der begnadete Virtuose flog vom Platz, »damit er lernte, den Fußball ernst zu nehmen«. Saucedos Verbrechen war ein Zauberkunststück, »ein unverzeihliches Tor. Er spielte in einem entfesselten Wirbel von Dribblings, Selbstvorlagen, Kopfbällen und Hackentricks die gesamte gegnerische Mannschaft aus und zelebrierte den Höhepunkt seiner Orgie mit dem Rücken zum Tor, indem er den Ball mit einem sicheren Stoß seines Hinterns ins Toreck drückte.« Salvatierra habe den »Teufel Phantasie ausgetrieben«, resümiert Uruguays großer Fußball-Journalist. Für solche Referees ersann Galeano die »VFS, Vereinigung der Feinde der Schönheit«.
Im Falle Toshimitsu Yoshidas müsste sie »VFU« heißen, »Vereinigung der Feinde Usbekistans«. Im WM-Qualfikationsspiel gegen Bahrein annullierte Yoshida einen Elfmeter der Gastgeber, weil einer ihrer Spieler zu früh in den Strafraum lief. Das wäre an sich kein Beinbruch gewesen, Usbekistan schoss noch ein blitzsauberes Feldtor und gewann 1 : 0. Trotzdem hatte der Elfmeter eine tragische Pointe. Er hätte den Regeln gemäß wiederholt werden müssen. Stattdessen gab Yoshida Freistoß für Bahrein, das heißt, er machte einen »technischen Fehler«, welcher gemäß der FIFA-Regeln die Neuansetzung des Spiels zwingend nach sich zog. Diesmal trennte man sich 1 : 1. Da Usbekistan im Rückspiel nicht über ein 0 : 0 hinauskam, schied das bitterarme und auch sonst hinreichend gebeutelte Land aus und fiel Monate lang in Depression. Schiedsrichter verstehen es wirklich, ihre Mitmenschen unglücklich zu machen.
Die Süddeutsche Zeitung kreierte daraufhin den Schmäh des »Usbeken-Schiris«, nicht ohne süffisant anzumerken, dass sich diese »Unterart des Tomaten-Schiris wie im Fall Robert Hoyzer als etwas ganz anderes entpuppen kann«.
Sagen wir es frei heraus, das Image des Referees gleicht einem Werk des Höllen-Breughel. Gestikulierend wie ein Fluglotse auf LSD, die Backen aufgeblasen zum finalen (oft millionenschweren) Pfiff, wirft er die Beine, die meist viel zu dünn aus kurzen Hosen ragen, über den Rasen, stets auf Ballhöhe, aber selten im Bilde. Und nun soll er auch noch bestechlich sein. So hängt sein Porträt in der Galerie des öffentlichen Bewusstseins. Und doch und doch, »das Bild hängt schief.« (Loriot)
Ist es nicht bemerkenswert, dass alle Versuche, die Machtfülle des Unparteiischen durch den zweiten Schiedsrichter oder technische Neuerungen wie den Videobeweis zu objektivieren, zumindest in Europa von großer Skepsis, ja, man darf ruhig sagen, von abgrundtiefem Misstrauen begleitet werden. Mutet es nicht noch erstaunlicher an, dass sich »zur Freiheit verdammte« Individuen (Jean Paul Sartre) stetig murrend, aber letztlich doch ungezwungen der Epiphanie und Hybris einer Kaste unterwerfen, deren Sozialprestige nie so recht über den Status des Hanswursts, Spielverderbers und Blindgängers hinausgekommen ist? Wie kann das sein? Diesen Widerspruch vermochten bislang auch die gewieftesten Dialektiker nicht aufzuheben.
Ist es die Einsicht in Henri Bergsons Diktum, der reine Gedanke des Spiels und der gesunde Menschenverstand seien einander grundsätzlich wesensfremd? Ist es Shakespeares »Tollheit, die Methode hat«? Gehört der Schiri schlicht zur »Urgeschichte der Moderne« (Walter Benjamin), wo sich die »Gier nach den Sensationen der neuesten technischen Errungenschaften« paart mit einer »Sehnsucht nach der ewigen Wiederkehr alles Gleichen«? Oder verkörpert der Unparteiische das unter den Verwerfungen der Globalisierung fast versunkende Ideal des bürgerlichen Helden, der, einmal vom Schicksal aus der Alltäglichkeit gerissen (und sei’s auch nur für 90 Minuten), fähig ist, über sich hinauszuwachsen, und allen Fährnissen trotzt? Ob es ihm gedankt wird oder nicht.
Читать дальше