„Ich muss ehrlich gestehen, dass ich einen solchen Fall an Gerissenheit und gleichzeitiger guter Überlegung zur Tötung eines Menschen bisher noch nicht gesehen habe. Es hat mich viel Mühe und große Aufmerksamkeit gekostet, die Todesursache zu ermitteln, aber nach genauester Analyse bin ich mir sicher, dass die Tötung der Frau auf ein Verbrechen zurückzuführen ist, wobei festzustellen ist, dass die Frau an Herzversagen gestorben ist.“
„Demnach kein Verbrechen?“, fragte ungläubig Ullmann.
„Doch, Herr Hauptkommissar“, entgegnete die Gerichtsmedizinerin, die bereits häufig bei der Aufklärung von Verbrechen mit dem Hauptkommissar zusammengearbeitet hat.
„Das müssen Sie genauer erklären.“
„Ich habe im Rahmen der Autopsie alle möglichen Varianten einer gewaltsamen Tötung der Frau durchgespielt und bin immer wieder von der Tatsache des Herzversagens ausgegangen und habe erst nach mehreren Versuchen den wahren Grund dafür finden können. Nachdem ich im Brustbereich der Getöteten keinen Hinweis auf ein Verbrechen finden konnte, haben wir diese in die Bauchlage gedreht und mit der Lupe nach möglichen Einstichen gesucht. Dort konnte ich genau im Bereich der Herzgegend einen winzig kleinen Einstich feststellen. Anschließend habe ich die Frau einer exakten Resektion unterzogen und konnte den exakten Verlauf des Stichkanals ermitteln. Er verlief genau Richtung Herz und hat den sofortigen Tod der Frau herbeigeführt. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass die Frau keine Schmerzen gespürt hat und ihr Tod sofort beim Eintreten der Nadel ins Herz eingetreten ist.“
„Damit ist der Mord nachgewiesen?“, fragte Ullmann.
„Ja, die Frau wurde Opfer eines Verbrechens“, sagte Frau Kesser mit entschlossener Stimme.
„Darf ich fragen, um wen es sich handelt?“
„Die Getötete ist Julia Geisler“, ergriff nun der Präsident wieder das Wort.
„Ist uns die Frau aus einem anderen Zusammenhang bekannt?“, wollte Ullmann wissen.
„Nein, es ist eine völlig unbescholtene Person.“
„Hat das zuständige Revier bereits Ermittlungen begonnen?“
„Nein, sie gehen weiter von Herzversagen aus, nur der Revierleiter hat von unseren Ermittlungen Kenntnis.“
„Kennt er das Ergebnis der Obduktion?“
„Nein.“
„Wie geht es weiter?“, fragte Ullmann, obwohl er sich diese Frage selbst beantworten konnte.
„Auf Grund des Obduktionsergebnisses habe ich die diesbezüglichen Schritte eingeleitet und ich beauftrage Sie und Ihre Mitarbeiter mit der Aufklärung des scheußlichen Verbrechens.“
„Wo ist die getötete Frau wohnhaft?“
„Sie bewohnt mit ihrem Gatten ein großes Haus mit entsprechendem Grundstück in einer Siedlung am Rande von Wendisch Rietz.“
„Das ist nach meinen Kenntnissen in der Nähe des Ferienparkes Scharmützelsee.“
„Das ist richtig, aber die Siedlung ist nicht direkt im Ferienpark.“
„In dieser Gegend wimmelt es von Urlaubern.“
„Auch dieser Fakt stimmt und wird die Aufklärung des Verbrechens nicht vereinfachen.“
„Wann ist die Frau getötet worden?“, erkundigte sich Ullmann.
„Eine hundertprozentige Aussage zum Todeszeitpunkt ist nicht möglich, da durch Verzögerungen bis zur Obduktion eine gewisse Zeit vergangen ist. Wir haben heute Mittwochvormittag und unter Berücksichtigung des Zustandes des Opfers müssen wir davon ausgehen, dass die Frau vor circa achtundvierzig Stunden getötet wurde“, sprach Frau Kesser.
„Das bedeutet, sie wurde am Montagvormittag getötet.“
„Im Laufe des Montagvormittag, Karenzzeit ungefähr vier Stunden.“
„Setzen wir den Vormittag mit zehn Uhr an, so erfolgte die Tat zwischen sechs und vierzehn Uhr“, schlussfolgerte der Hauptkommissar und schaute zu der Gerichtsmedizinerin, die zustimmend nickte.
„Das ist ein ziemlich großer Zeitraum.“
„Exakter kann ich die Tatzeit, auf Grund der bereits von mir dargelegten Schwierigkeiten, nicht festlegen.“
„Ich habe noch eine entscheidende Frage.“
„Wenn wir sie beantworten können“, entgegnete der Präsident.
„Können wir davon ausgehen, dass der Fundort zugleich der Tatort ist?“
„Ich denke, dass wir davon ausgehen können.“
„Ich gehe davon aus, dass Frau Geisler verheiratet ist.“
„Ja.“
„Weiß die Familie von der Obduktion und deren Ergebnis?“
„Nein.“
„Die Familie geht demnach von einem natürlichen Tod der Frau aus.“
„Ja.“
„Ich habe noch eine wichtige Frage, Frau Kesser.“
„Ich werde mich bemühen, sie sachkundig zu beantworten.“
„Die Beantwortung der Frage kann für unsere Ermittlungen von immenser Bedeutung sein.“
„Davon gehe ich aus, schließlich kenne ich Sie im Rahmen unserer bisherigen Zusammenarbeit gut genug, um zu wissen, dass Sie keine unbedeutenden Fragen stellen“, lächelte sie den Kommissar an.
„Erfordert diese Tötungsart gewisse medizinische Vorkenntnisse?“
„In gewissem Umfang würde ich diese Frage bejahen, was nicht unbedingt auf einen Täter hinweist, der im medizinischen Bereich tätig ist.“
„Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch gegeben?“
„Ja, aber bei den heutigen technischen Möglichkeiten, ich meine damit das Internet, kann sich jeder erforderliche Informationen einholen. Ich würde den Täter oder die Täterin nicht nur im medizinischen Bereich suchen.“
„Kann die Tat auch eine Frau ausführen?“, bohrte Ullmann weiter.
„Die Frage kann ich mit ruhigem Gewissen bejahen.“
„Wer hat die Tote gefunden?“
„Nach Aussage des Revierleiters der blinde Mitarbeiter, er ist ein Masseur des Studios.“
„Verstehe ich nicht.“
„Der Masseur hat die Tote gefunden und daraufhin die Mitarbeiter des Studios informiert, welche den Bereitschaftsdienst anriefen, der das Herzversagen feststellte.“
„Wie wurde die Tote gefunden?“
„Sie lag bäuchlings auf einer Therapiebank.“
„Waren am Opfer Kampfspuren nachweisbar?“
„Nein.“
„Gibt es andere Hinweise, welche der Ermittlung helfen?“
„Nein, am Opfer wurden keine weiteren Spuren gefunden. Das Opfer war am Rücken mit Massageöl eingesalbt, sodass sie keine Täterspuren finden werden.“
„Sind am Tatort relevante Spuren gesichert worden?“
„Nein, die Spurensicherung war noch nicht vor Ort.“
„Ist das Tatwerkzeug gefunden worden?“
„Nein.“
„Was können sie zum Tatwerkzeug sagen?“
„Es muss sich um eine sehr spitze Nadel von fünfundzwanzig Zentimetern Länge handeln.“
„Kann es eine handelsübliche Nadel sein oder stammt sie aus dem medizinischen Bereich?“
„Mit etwas handwerklichem Geschick kann man jede Nadel für diese Tat benutzen, wobei der Täter oder die Täterin die Nadel spitzgeschliffen hat.“
„Das Material der Nadel ist demnach nicht nachweisbar?“
„Diese interessante Frage habe ich mir auch gestellt und habe deshalb Materialproben an unsere kriminaltechnische Abteilung geschickt, da diese über größere technische Möglichkeiten verfügt.“
„Wann erhalten Sie Bescheid?“
„Es ist mir versprochen worden, dass ich spätestens im Verlauf des morgigen Tages das Ergebnis der Materialuntersuchung erhalte.“
„Ein früherer Zeitpunkt ist nicht möglich?“
„Nein, mir ist versichert worden, dass der Fall vorrangig bearbeitet wird“, erwiderte die Gerichtsmedizinerin.
„Können sie Aussagen zum möglichen Tatverlauf machen?“, fragte Ullmann.
„Der tödliche Stich erfolgte durch den Rücken in das Herz.“
„Augenblick, die Frau wurde von hinten getötet?“
„Ja, wobei sie völlig entkleidet war.“
„Jetzt verstehe ich nichts mehr, die getötete Person war nackt?“ Ullmann schüttelte den Kopf.
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