„Ja, Sie haben richtig gehört.“
„Hatte die Frau vor ihrem Ableben Geschlechtsverkehr?“
„Mit absoluter Sicherheit nicht.“
„Wieso war sie nackt?“
Jetzt schaltete sich der Präsident in das Gespräch ein: „Ich habe Ihnen und Ihren Mitarbeitern in vierfacher Ausfertigung den bisherigen Erkenntnisstand unserer Ermittlungen, welcher zugegebenermaßen noch sehr dürftig ist, zusammengestellt und kann Ihnen im Vorfeld Ihrer Beratung mit Ihren Mitarbeitern nur so viel sagen, dass Frau Julia Geisler in ihrem Physiotherapiestudio getötet wurde. Warum sie entkleidet war, müssen Sie im Rahmen ihrer Befragungen ermitteln.“
„Die Frau besaß ein Physiotherapiestudio?“, fragte Ullmann.
„Ja, in Bad Saarow.“
„Die Familienverhältnisse der getöteten Person sind bekannt?“
„Steht alles in der Akte“, sagte der Präsident.
„Ich muss gestehen, dass ich mir mit den bisherigen Erkenntnissen noch kein konkretes Bild über die Tat und den Tatverlauf erarbeiten kann. Es scheint ein sehr komplexes Verbrechen zu sein. Es wird eine genaue Aufklärung des Umfeldes und der Familienverhältnisse der Person erforderlich werden, welche aus meiner Sicht nur vor Ort möglich sein wird.“
„Ich stimme Ihnen zu.“
„Erschwerend kommt hinzu, dass der wahrscheinliche Tatort nicht auf Spuren durchsucht wurde und die Tat vor mindestens achtundvierzig Stunden geschehen ist und somit der Täter alle Zeit der Welt hatte, mögliche Spuren zu beseitigen. Es wird zudem schwer, der Familie und den Angehörigen mitzuteilen, dass es sich bei dem Ableben der Frau nicht um einen natürlichen Tod, sondern um ein Verbrechen handelt“, sagte Ullmann nachdenklich.
„Ich bin mir dieser prekären Situation durchaus bewusst und habe deshalb entschieden, Ihnen und Ihrer Abteilung den Fall zu übertragen. Ich weiß, dass Sie in Ihrer Abteilung gegenwärtig zwei neue Mitarbeiter integrieren müssen, denen wir eigentlich genügend Zeit zur Einarbeitung geben wollten. Zugleich fehlt Ihnen, nach Ihrer heutigen Verabschiedung, Frau Schubert, aber ich bin überzeugt, dass Sie mit Ihren Leuten die Aufgabe lösen werden. Leider muss ich Ihnen gleichzeitig mitteilen, um Ihrer Frage und Bitte zuvorzukommen, dass eine Abstellung von Torsten Fleischer für die Mitarbeit an Ihrem neuen Fall nicht möglich sein wird, da er gegenwärtig mit Hochdruck an der Aufklärung anderer Vergehen beschäftigt ist.“
„Ich möchte trotz der Ermittlungen die Mordkommission hier im Hause nicht unbesetzt lassen.“
„Bei der Besetzung der Abteilung beziehungsweise des Personenkreises für die Ermittlungen in Bad Saarow haben Sie völlig freie Hand. Ich habe Ihnen bereits ein Quartier reserviert, wobei ich die Anzahl der Zimmer freigelassen habe, da ich Ihnen mit der Besetzung Ihres Ermittlerteams nicht vorgreifen wollte. Es handelt sich nicht um ein Hotel, sondern um zwei Bungalows, die als Ferienwohnung umgestaltet worden sind. Sie befinden sich außerhalb der Ortschaft und sind gut mit dem Fahrzeug erreichbar. Für ihre Verpflegung müssen Sie jedoch selbst sorgen, aber beide Bungalows, welche in zwei Zimmer getrennt sind, besitzen eine Kochnische und selbstverständlich eine Nasszelle. Sicher ist diese Unterkunft für sie etwas ungewöhnlich, aber ich dachte mir, dass bei der Bearbeitung des Falles die Abgeschiedenheit und die angenehme Ruhe der Anlage, welche früher als Ferienlager genutzt wurde, entgegenkommen. Der zuständige Revierleiter ist über Ihre Anwesenheit und Ihre Aufgabe informiert und steht Ihnen jederzeit zur Verfügung“, schloss der Präsident.
„Ich entscheide nach dem Studium der Akte über die Besetzung der Gruppe.“
„Ich wünsche Ihnen und uns bei der Aufklärung des Falles viel Erfolg und versichere Ihnen, dass ich jederzeit und zu jeder Stunde für Sie erreichbar sein werde, für den Fall erforderlicher Rücksprachen.“
Der Hauptkommissar schaute Frau Kesser an und fragte: „Kann ich gegebenenfalls mit Ihrer Mitarbeit rechnen?“
„Selbstverständlich, meine Handynummer ist Ihnen bekannt.“
Hauptkommissar Klaus Ullmann ergriff die vom Präsidenten erstellten Unterlagen zum Fall der Tötung von Julia Geisler und verabschiedete sich. Auf dem Weg zu seinem Büro kam er am Zimmer von Torsten Fleischer vorbei und nach kurzem Zögern klopfte er an und trat ein.
„Das ist eine Freude“, sagte Torsten.
„Wollte dich mal wiedersehen.“
„Freu mich, was führt dich zu mir?“
„Ich muss meine Gedanken sammeln.“
„Du denkst, das gelingt dir bei mir?“
„Wir waren immer ein Spitzenteam.“
„Es war eine sehr schöne Zeit und ich habe viel von dir gelernt.“
„Weshalb du jetzt Karriere gemacht hast und zum Einsatzleiter aufgestiegen bist.“
„Du wolltest auch nicht immer nur Mitarbeiter bleiben und hast dich weitergebildet.“
„Ja, das ist der Lauf der Zeit.“
„Es wird gemunkelt, du hast wieder einen sehr komplizierten Fall auf dem Tisch.“
„Ja, und dazu noch zwei neue Mitarbeiter und Janas Liebesleben führt sie gerade jetzt nach Berlin.“
„Eigentlich war damit zu rechnen, sie konnte, bei ihrem guten Aussehen, nicht ewig frei bleiben.“
„Während der Besprechung bei unserem Chef habe ich, nachdem ich die Kompliziertheit des Falles erkannt hatte, damit gerechnet, dass ich Unterstützung bekomme. Aber er hat sofort abgeblockt und darauf verwiesen, dass du gegenwärtig mit einer dringenden Aufgabe beschäftigt bist. Da habe ich nicht weiter wegen der Besetzung der Einsatzgruppe ‚Bad Saarow‘ nachgefragt, da ich weiß, dass gegenwärtig auch die Kommissare Schlosser und Seifert voll beschäftigt sind.“
„Ja, der Zeitpunkt ist äußerst ungünstig.“
„Mit welchem Fall bist du zur Zeit beschäftigt?“, erkundigte sich Ullmann.
„Es ist kein Fall, es handelt sich um die erhöhte Anzahl an Fahrraddiebstählen.“
„Ist das so wichtig?“, fragte Ullmann erstaunt.
„Wird von der obersten Behörde so eingeschätzt, da in der Bevölkerung erhöhter Unmut über die steigende Anzahl an Fahrraddiebstählen aufkeimt und die Meinung entstanden ist, dass die Polizeibehörde bei der Aufklärung zu wenig unternimmt.“
„Welche Maßnahmen kannst du einleiten?“
„Eigentlich fast keine. Wir können nicht alle Stellplätze von Fahrrädern beobachten lassen. Es gibt Orte, auf denen werden weit über hundert Fahrräder abgestellt.“
„Kannst du die nicht überwachen lassen?“
„Kannst du einschätzen, wie viel Personal das erfordert?“
„Nein.“
„Wir können uns nur auf Schwerpunkte konzentrieren, wie zum Beispiel Bahnhofsvorplätze oder vor Schulen. Am Bahnhof in Fürstenwalde wurden vorgestern zwanzig Fahrräder gestohlen.“
„Konntet ihr die Diebe ermitteln?“
„Leider nein, obwohl der Diebstahl am helllichten Tag erfolgte.“
„Wie kann das geschehen, da müssen doch Menschen unterwegs gewesen sein?“
„Die Diebe gehen sehr professionell vor. Sie machen sich nicht die Mühe, die Schlösser zu knacken, sondern sie schneiden mittels Bolzenschneider die Ketten durch.“
„Wie erfolgt der Abtransport?“
„Es sind stets mindestens vier Diebe gemeinsam am Werk. Einer schneidet die Ketten durch, zwei weitere schaffen die Fahrräder zum in unmittelbarer Nähe stehenden Fahrzeug und der Vierte sichert die Ladung.“
„Wie lange dauert solch ein Diebstahl?“
„Du wirst staunen, dass alles geht in wenigen Minuten über die Bühne. Die Diebe arbeiten sehr professionell und sind ein eingespieltes Team. Die überwiegende Anzahl der Fahrräder wird schnellstmöglich ins Ausland geschafft und entschwindet unserem Zugriff. Die anwesenden Passanten zum Zeitpunkt des Diebeszug schrecken vor einem Eingreifen zurück, da sie sich verständlicherweise nicht in Gefahr bringen wollen.“
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