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Informationen zum Buch
Ein rätselhaftes, altes Tagebuch taucht auf, das Tagebuch einer gewissen Christine. Es gibt so viele private Details aus dem Leben Wilhelm Buschs preis, dass es echt sein muss. Auch wird in den Erinnerungen Wilhelm Buschs tatsächlich eine Christine erwähnt: »Am Abend vor der Abreise plätscherte ich mit der Hand in der Regentonne, über die ein Strauch von weißen Rosen hing, und sang Christine! Christine! versimpelt für mich hin.« Wilhelm Busch hatte heimlich eine Geliebte! Leo Heller ahnt nichts von der Existenz dieses Dokuments, als sie in die Wohnung ihres verstorbenen Onkels einzieht, der Literaturprofessor und Wilhelm-Busch-Experte war. Andere aber wissen genau um den Wert des Tagebuchs. Und die versuchen nun, es mit Lug, Trug und Mord in ihren Besitz zu bringen. Jeder ist verdächtig und in gewisser Weise auch schuldig, denn jeder hat, wie der Literaturprofessor sagen würde, eine zweite Geschichte …
Informationen zur Autorin
Ilka Sokolowski, Jahrgang 1965, aufgewachsen in Stadthagen, studierte Germanistik, Anglistik und Philosophie. Nach mehrjähriger Verlagstätigkeit lebt und arbeitet sie heute in Hannover als Autorin von Sachbüchern und Romanen.
Ilka Sokolowski
Die heimliche Geliebte
Ein Wilhelm-Busch-Krimi
©2010 zu Klampen Verlag · Röse 21 · D-31832 Springe
info@zuklampen.de · www.zuklampen.de
Herausgegeben von Susanne Mischke
Titelgestaltung: Angelika Konietzny (www.izwd.de), Hannover
Konvertierung: Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH,
KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart
ISBN 978-3-86674-085-3
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Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de›abrufbar.
|7| Du hast mich bei meinem Namen gerufen, und ich habe dich gehört. Wir sahen einander nicht, aber du spürtest es wohl, wie nah ich war, verborgen im Grün der Hecke. Ich kannte dich gleich an deinem festen Schritt und deiner frohen Stimme. Ja, Theurer, ich hörte dich, das Lied auf deinen Lippen: Christine, Christine! Nun ist es besiegelt: Du bist mein, und ich bin dein. Das soll unser Bündnis sein, von dem niemand sonst weiß. Ich habe die Macht des Geheimnisses.
Leonore Heller fragte sich, warum ausgerechnet vor ihrer Tür immer Leichen lagen. Das war nun schon die dritte innerhalb bemerkenswert kurzer Zeit.
Die ersten beiden Male zählten allerdings nicht ganz: tote Ratten, vom Hund ihres Nachbarn auf die Fußmatte gelegt. Seit dem Tag ihres Einzugs hegte das Tier eine unerklärliche Begeisterung für sie. Den dazugehörigen Menschen hatte Leo bislang noch nicht zu Gesicht bekommen, wie überhaupt noch niemanden in diesem etwas heruntergekommenen Haus. Nur die Bulldogge bellte, wenn sie an der Tür vorüberging. Einmal hatte eine Männerstimme sie zum Schweigen gebracht. Auf dem zerkratzten Türschild stand P. Ostermann.
Allein die Tatsache, dass es hier Ratten gab, die sich von einer fetten alten Bulldogge fangen ließen, hätte ihr zu denken geben sollen. Beim Anblick der Hausfassade mit dem abbröckelnden Putz und des Hinterhofes mit den Müllcontainern, aus denen ständig die Abfälle vom China-Imbiss im Erdgeschoss quollen, fragte sie sich immer wieder aufs Neue, ob sie nicht einen Fehler gemacht hatte. Das fragte sich in der Tat jeder, der sie kannte. Warum war Leonore Heller hier eingezogen?
Weil sie keine Wahl hatte.
Leo hatte sich die Wohnung in einem zweifelhaften Altbau in der Südstadt von Hannover nicht ausgesucht, sie hatte sie von ihrem |8|Onkel Ludwig geerbt, womit der Sache gleich eine andere Bedeutung zukam als einem leichtfertig unterschriebenen Mietvertrag. Wer außerdem nur noch ein Scheinkonto führt und wegen Mietrückstands kurz vor dem Rausschmiss steht, kann es sich nicht leisten, wählerisch zu sein. Also trat Leo ihr Erbe an, zwar nicht mit Freude, aber doch mit einer gewissen Erleichterung. Ratten auf der Türschwelle waren schließlich vergleichsweise harmlos.
Bei toten Männern sah das Ganze schon anders aus. So einer lag nun an einem Dienstag im November bäuchlings und unerwartet auf Leos Fußmatte. Es war gegen zehn Uhr morgens, und der Rest des Tages sollte nicht besser werden.
Dass es sich um einen Toten handelte, wurde Leo erst mit Verzögerung klar. Sie war spät dran an diesem Morgen und ziemlich nervös, weil ein Vorstellungsgespräch bei einem Gartenbaubetrieb auf sie wartete. Sie brauchte einen Job und war bereit, nahezu alles zu tun: Friedhofswege fegen, Weihnachtsbäume schlagen, Fleisch fressende Pflanzen züchten, egal was, Hauptsache Arbeit und Hauptsache bald.
Leo war gerade dabei gewesen, Lippenstift aufzutragen, als es Sturm klingelte. Zehn vor zehn. Wer konnte das sein, um diese Zeit? Wer konnte das überhaupt sein? Sie kannte niemanden in der Stadt. Vielleicht der Postbote. Postboten waren immer die ersten, die zu einem kamen. Leo hatte sich zwischen den Umzugskartons hindurchgeschlängelt, die Tür geöffnet – und da lag er nun.
Der Mann hatte das Gesicht abgewandt, einen Arm unter sich, den anderen zur Seite ausgestreckt. Leo, immer noch mit dem Lippenstift in der Hand, beugte sich hinunter und berührte ihn vorsichtig an der Schulter.
Im dämmrigen Licht des Treppenhauses sah seine Haut blass und wächsern aus. An der Schläfe war das graue Haar feucht. Eine Schweißperle löste sich und zog eine nasse Spur zum Augenwinkel.
Hatte er sich all die Stufen hinaufgeschleppt, um ausgerechnet vor ihrer Tür einen Kreislaufkollaps zu erleiden? Er war korpulent, |9|der offene Hemdkragen glänzte dunkel von Schweiß. Vielleicht waren die drei Treppen für einen Mann seiner Konstitution einfach zu viel gewesen.
Leo legte zwei Finger an seinen dicken Hals, war sich aber nicht sicher, ob sie die richtige Stelle erwischt hatte. Irgendwo dort sollte die Schlagader pulsieren, das zumindest wusste sie.
Nichts pulsierte. Gar nichts.
»Hilfe! Einen Arzt, schnell!« Leos Stimme hallte im leeren Treppenhaus wider, während sie versuchte, den Mann auf den Rücken zu drehen. Keine der Türen öffnete sich, kein hilfreicher Nachbar trat heraus.
Dafür war die Bulldogge ein Stockwerk tiefer zum Leben erwacht. Sie bellte sich heiser und kratzte an der Tür. Leo fluchte. Gab es in diesem gottverdammten Haus denn niemanden außer ihr und dem Rattenfänger?
Endlich hatte sie es geschafft, den Dicken auf den Rücken zu wuchten. Beim Anblick der weit aufgerissenen leeren Augen begriff sie, dass sie sich die Mühe hätte sparen können. Der Mann war tot.
Die Bulldogge bellte. Leo beugte sich über das Treppengeländer:
»Halt die Klappe!«
Der Hund bellte lauter und warf sich gegen die Tür. Leo brach der kalte Schweiß aus. Ihre Augen wanderten ratlos zu dem Toten, der keine Verletzungen aufwies. Er wirkte elegant und war sorgfältig gekleidet; anthrazitfarbene Hose und Weste, weißes Hemd, hellgraues Jackett, schlichter Schnitt, teurer Stoff. Es stimmte eben doch nicht, dass der Tod alle Menschen gleich machte, manche Leichen waren distinguierter als andere. Aufgrund seiner Kleidung wirkte der Tote irgendwie seriös. Leo war beinahe geneigt, ihm seine Anwesenheit auf ihrer Türschwelle und die Scherereien, die daraus unweigerlich entstehen würden, nachzusehen. Sicher gab es eine vernünftige Erklärung dafür.
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