Naso strahlte. »Willkommen in unseren Reihen. Du bist genau der richtige für uns, hast Einfluss, kannst etwas erreichen. Mit einem wie dir wird es nicht mehr lange dauern, und wir haben wieder eine Republik.«
»Tiberius?«
Mein Freund starrte in seinen Becher, fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Endlich blickte er auf. »Was soll ich dir sagen, Publius, ich sehe keinen Sinn mehr im Widerstand. Er ist zu stark, unser Princeps. Julia, seine Tochter, meine Frau, hat er verbannt, weil sie ihn kritisierte. Das war ihre Verfehlung, nicht ihre Affären. Sie wusste zuviel, sie drohte, es bekanntzumachen. Ihre sogenannten Liebhaber – es waren Mitverschwörer – wurden hingerichtet oder vertrieben. Die Intelligenz Roms ist ausgelöscht oder umerzogen, selbst setzten wir wieder eine Republik durch, die Menschen wären nicht mehr reif dafür. Es ist leichter für die meisten, einem Mann zu gehorchen, ihm die Verantwortung zu überlassen, als selbstbestimmt für sich und das Volk zu handeln. Nein, Publius, ich habe mich von der Bewegung abgewandt, ich mache nicht mehr mit, zu viele meiner Freunde mussten sterben.«
»Aber Tiberius, du …« Ich konnte es nicht glauben, zu viel Hoffnung hatte ich in ihn gesetzt.
»Nein, Publius. Als ich im Exil war, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Er hat mich gebrochen, ich gebe es zu, doch es gibt kein Zurück. Ich stehe nicht mehr gegen ihn – aber ich stehe auch nicht gegen euch. Wenn ich euch im Kleinen helfen kann, will ich es gerne tun. Doch ich werde mich nicht mehr aktiv beteiligen.«
»Was hat er mit dir gemacht, Tiberius, warum gingst du ins Exil?«
Tiberius schwieg, trank, schwieg. Dann hob er den Kopf. »Ich stand auf der Seite Julias. Wir wollten ihn stürzen. Er erfuhr davon, verbannte uns, verkündete in der Öffentlichkeit die Lüge von Julias Ehebrüchen, und dass ich mich quasi selbst exiliert hätte. Welch ein Blödsinn! Ich hätte mich ganz normal aus der Politik zurückziehen können, hätte ich das gewollt, hätte hierhin und dorthin reisen können, warum hätte ich mir selbst nur einen einzigen Platz erlauben sollen. Nein, er schickte mich ins Exil, ließ mich bewachen. Und ohne die Intervention meiner Mutter säße ich noch immer auf Rhodos.«
»Wie schrecklich muss es sein, nicht mehr über seine Schritte bestimmen zu können«, warf Naso ein.
»Ja, es gibt kaum schlimmeres, Naso, und ich wünsche keinem, diese Erfahrung machen zu müssen. Ich habe viel gelesen und nachgedacht, doch wenn du nicht anwenden kannst, was du denkst, wenn du keine Aufgabe hast, kein Ziel, raubt es dir den Verstand.«
»Wie hast du es geschafft, oder besser Livia, dass er dich zurückholte?« fragte ich.
»Er braucht mich. Er teilte mir mit – oh, ich kann mir vorstellen, wie er vor Wut die Fäuste ballte, als er das Schreiben diktierte –, dass, wenn ich schwor, mich nicht mehr gegen ihn und seine Regierung zu stellen, ich nach Rom zurückkehren und meine Ämter wieder aufnehmen könnte. Ich schwor. Ich werde meinen Schwur nicht brechen.«
»Traut er dir?«, fragte ich Tiberius.
»Nein«, sagte er. »Er traut mir nicht, und er mag mich nicht. Er würde mir nie seine wirklichen Pläne mitteilen, und was seine Agenten herausfinden, wird vor mir geheimgehalten. Aber er weiß, dass ich mich nicht gegen ihn stellen werde. Ein Schwur ist ein Schwur.«
»Hat er nicht selbst genug Schwüre gebrochen, gegen Caesar, Antonius, den Senat und den Staat?« Naso lehnte sich zurück.
»Ja«, sagte Tiberius, »das hat er. Aber er weiß, welchen Menschen er womit fesseln kann. Bei mir reicht ein Schwur.« Dann trank er seinen Becher leer, rief nach einem neuen Krug, trank und lauschte Naso und mir, die wir Pläne schmiedeten. Der Morgen graute schon, als wir die Taverne verließen. Gemeinsam torkelten wir aus der Subura, nicht mehr an Gefahren durch Banditen oder Spitzel denkend, trennten uns, schwankten nach Hause. Ich fiel auf meine Kline, voll von Wein und von Gedanken, die mich anregten wie lange nicht mehr. Auch ohne Tiberius’ aktive Hilfe würden wir die Res Publica wiederherstellen.
Wir trafen uns weiter im Geheimen, Tiberius war selten dabei, immer aber Naso, manchmal andere Dichter, ein paar Senatoren. Meistens verabredeten wir uns in Spelunken, selten wurde bei Gastmahlen, Lesungen, philosophischen Zirkeln über unser Vorhaben gesprochen. Wir waren uns sicher, der Umsturz musste mit Unterstützung der Legionen erfolgen, ohne diesen Rückhalt würden wir nichts ausrichten können. Der einzige, der als Feldherr Erfahrung hatte und auf ein weiteres Kommando hoffen durfte, war ich. Doch es tat sich nichts in dieser Beziehung. Ich ging in den Senat, machte Ferien in meiner Villa in Tibur, war ab und an geladen zu Festlichkeiten der principalen Familie, aber kein Kommando, keine Statthalterschaft, kein Amt wurde mir angetragen. Sprach ich Augustus darauf an, so antwortete er: »Das Reich liegt ruhig, das ist die Möglichkeit, andere Männer Erfahrung sammeln zu lassen, du solltest dich ausruhen, Quinctilius Varus.« Er war freundlich, aber distanziert, warf hin und wieder ein, dass Pulchra doch eine reizende Frau sei, wir sollten für mehr Nachwuchs sorgen. Ich habe einen Sohn und eine Tochter, entgegnete ich. Das sei lobenswert, aber nicht genug, Pulchra sei noch nicht zu alt, nur zu, Quinctilius, Söhne und Töchter braucht das Reich, so verkündete er. Er, der selbst nur eine Tochter hatte, und die wahrscheinlich nicht einmal selbst gezeugt.
Ich wurde unruhig. Ich wurde unleidlich. Ich suchte mir eine Geliebte. Die Affäre mit der Gattin eines Mitsenators wurde ruchbar, und endlich geschah etwas. Dem Kollegen war die Liebschaft egal, dem Princeps nicht. Ich bekam ein neues Kommando: Statthalter in der nördlichsten, noch jungen Provinz Germania. Für die meisten eine Strafe wegen des Klimas, wegen der wilden Barbaren, auch für Pulchra, die mich auf Anweisung des Princeps begleiten sollte. Für mich nicht, ich freute mich.
Kurz vor der Abreise traf ich mich noch einmal mit Naso. »Das ist die Gelegenheit«, zischte er in mein Ohr, »bring die Legionen hinter dich, ich bereite hier alles vor.«
»Denk daran, ich will keinen Bürgerkrieg«, sagte ich.
»Es wird keinen Bürgerkrieg geben, verlass dich darauf. Keiner will Bürgerkrieg, schon deswegen wird es funktionieren, wenn du und deine Legionen vor Rom stehen. Tiberius werden wir dazu bringen, mit dir das erste Konsulat zu übernehmen, und ihr könnt die alten Strukturen wiederherstellen.«
»Wird er mitmachen?«
»Tiberius? Natürlich. Er wird ja seinen Eid nicht brechen müssen. Und wenn wir es geschafft haben, wird er der erste sein, der an unserer Seite steht. Er hasst den Princeps.«
Ja, das wusste ich. Wir hatten eine realistische Chance.
Der Princeps gab ein Abschiedsmahl für mich, im Familienkreis. Der war groß, wenn er auch inzwischen zum größten Teil aus Frauen und nur wenigen jungen Männer bestand. Ich kannte nicht alle, ein junger blonder Mann zum Beispiel fiel mir auf, er stand mit einem Becher in der Hand an einer Säule und unterhielt sich. Viele aus der Familie fehlten – Drusus, Julia, Gaius, Agrippa –, um nur einige zu nennen, alle unter seltsamen Umständen ums Leben gekommen. Und einige waren unterwegs, Tiberius zum Beispiel weilte in Pannonien.
Wir speisten gut, ein Poet trug ein Gedicht auf den Herrscher vor, Lobhudelei in feingedrechselten Versen. Das Mahl, der Wein, die Unterhaltung, alles von guter Qualität, aber nicht erlesen. In selbstgesponnener Tunika lag Augustus da, die Familie nicht weniger einfach gekleidet, zurück zu den Wurzeln war die Devise. Zurück zu den alten Tagen der Könige, die vertrieben worden waren.
Augustus drehte sich um, schnippte mit den Fingern. »Das Geschenk«, orderte er.
Ein Sklave erschien aus dem Nichts, überreichte ihm ein Kästchen, goldbeschlagen leuchtete es im Licht der Kandelaber.
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