„Ohh, Lakota, hör auf. Das halte ich nicht aus. So hat mit mir noch kein Mann gesprochen. Genau das will ich dir geben, Tag für Tag. Ich liebe dich, wie eine weiße Wölfin ihren weißen Wolf. Sie lassen sich nie im Stich.“
Marc war etwas verwirrt, „der weiße Wolf?“
Sie nickte, „die weiße Wölfin und der weiße Wolf sind unzertrennlich, wenn wir Menschen an sie glauben, beschützen sie uns, helfen uns aus hoffnungslosen Lagen.“
„Ist das so? Bisher habe ich an so etwas…“
„Pscht, Lakota. Lass dich darauf ein. Das ist uralt. Wir Kinder wachsen damit auf. Glaub mir, eines Tages wirst auch du den weißen Wolf brauchen und ihn sehen.“
Sie lächelte ihn dabei so überzeugend an, dass er nickte und einfach fortfuhr.
„Lass mich deine Frage wenigstens noch beantworten. Ich bin so glücklich … mit dir! Auch ich möchte mit dir mein Leben verbringen. Egal wo, hier oder in Deutschland, das ist mir egal.“
„Du redest wie ein First Nation, könntest einer von uns sein mit deinen Vergleichen. Mit mir wirst du einer von uns, daran glaube ich fest. Dann wirst du auch an die weißen Wölfe denken.“
Das hatte er schon wieder verdrängt, zu fremd für ihn die Vorstellung an Wölfe zu glauben. Das kannte er nur unter Aberglauben. Shonessi las ihm seine Gedanken in den Augen ab. Sie lächelte, sprach leise, „eines Tages wirst auch du es verstehen.“
Er drehte sich zu ihr, konnte seine Augen nicht von ihr lassen. Dieser Augenblick brannte sich in sein Gehirn ein, unauslöschlich. Sie lächelte nicht mehr, war ernst, ihre Augen strahlten eine Zuneigung aus, die ihn bannte. Er beugte sich zu ihr, seine Lippen berühren die ihren, ein nicht endend wollender Kuss beglückte ihn bis in sein tiefstes Inneres.
Ohne ein Wort zu sagen, erhob sie sich, ging zum Wasser, bis dieses ihre Fußspitzen berührte. Sie breitete die Arme aus, begann wie an den heißen Quellen mit einem Singsang, drehte sich dabei. Nur diesmal sehr leise und sich immer weiter steigernd bis hin zu einer unendlichen Harmonie, dann plötzlich abbrechend und mit noch leiseren Tönen beginnend sich dreimal wiederholend. Sie drehte und wirbelte, stützte sich endlich mit beiden Armen an einen Baum, legte den Kopf in den Nacken, dass ihre langen schwarzen Haare bis zu den Hüften fielen. Hob das linke Bein im Stile einer Balletttänzerin so gewinkelt an, dass ihre Fußspitze die Haarspitzen berührte. Ihre Stimme verhallte über dem Fluss, die Natur schien den Atem anzuhalten. Ein Zauber lag flirrend in der Luft, eine leichte Brise wehte über sie hinweg und ließ ihre Haare fliegen. Scharf geschnitten, einem Schattenriss gleich hob sie sich vor dem Hintergrund der orangeroten Sonne ab, ihr Körper wirkte dabei grazil und anmutig. So verharrte sie einige Sekunden, drehte sich langsam in den leicht auffrischenden Wind hinein: 'Der Tanz mit dem Wind'.
Hartmut schlug die Augen auf, er konnte nicht schlafen. Da hörte er diese Stimme, er streckte den Kopf aus dem Zelt und hörte fasziniert zu. Nachdem die Stimme verstummte, ballte er die Fäuste, sein Gesichtsausdruck nahm den einer unnatürlichen Fratze an.
Ahmik und Gerhard waren ebenfalls gekommen und setzten sich neben Marc in den Sand um zu lauschen. Auch Gerhard war gefangen von dieser Stimme, für ihn unvergesslich. Mit einem „Gute Nacht“ verabschiedeten sich Shonessi und Marc Richtung Zelt. Ahmik blickte ihnen nachdenklich hinterher. „Gerry, so habe ich meine Schwester noch nicht erlebt.“
„Ja? So etwas habe ich auch noch nie erlebt, das werde ich niemals vergessen. Dieser Gesang und der Tanz dazu, unglaublich.“ Er unterbrach kurz, „die beiden haben sich gesucht und gefunden. Ich glaube, das war Schicksal.“
Ahmik nickte, beide gingen ebenfalls in ihr Zelt. Die Nacht war kurz. Früh am Morgen, nach einem kräftigen Frühstück setzten sie ihre Tour fort und erreichten bereits am Nachmittag den Campingplatz an den Virginia Falls.
Der Campingplatz war sehr komfortabel ausgestattet, mit hölzernen Podesten, Tischen und Sitzbänken. Sie waren die einzigen Gäste, entschlossen sich aber, die Zeit zu nutzen und noch am Nachmittag die Ausrüstung und Boote um die Fälle zu tragen. Der Weg selbst war hervorragend ausgebaut, bestehend aus eng aneinander gefügten Holzplanken. Dennoch galt es 140 Höhenmeter und 1,5km Weglänge zu meistern. Zweimal mussten sie gehen, bis schließlich alles Material unterhalb des Wasserfalls abgelegt werden konnte. Beim zweiten Weg wollten doch alle wenigstens einmal einen Blick auf die Fälle werfen.
Die Virginia Falls sind die höchsten Wasserfälle Kanadas und mit 96m doppelt so hoch wie die Niagarafälle. Direkt hinter dem Campingplatz war der Fluss noch ruhig. Die Wasserfallstrecke beginnt kurz darauf mit kleineren Stufen und Kaskaden, dann erst folgt der Wasserfall und stürzt über die Abbruchkante fast 100m in die Tiefe. Gewaltige Wassermassen verursachen ein Donnern, das aus großer Ferne hörbar ist.
Sie bogen von dem Plankenweg auf einen Pfad, der zwar eng, aber gut begehbar war. Ahmik ging voraus. Hartmut folgte als letzter. Folgte man seinen Blicken, schien ihn die Natur in keiner Weise zu interessieren. Sein Blick hatte nur ein Ziel: Shonessi. Sein Hass galt nur noch ihr, nicht Marc, der ihm Ella weggenommen hatte, denn sie nahm ihm jetzt auch seinen Freund, zerstörte ihren gemeinsamen Traum.
Der Wald hörte auf, vor Marc war eine kahle Felsnadel zu erkennen. Er nahm Shonessi an die Hand, gemeinsam betraten sie Felsnadel, Ahmik machte kurz Platz. Das Donnern der Wassermassen war so laut, dass man sich allenfalls schreiend verständigen konnte.
Was für ein Panorama: Weißes Wasser, Gischt, Nebelschwaden. In der Mitte des Falles ein riesiger turmhoher spitz zulaufender Felsenkoloss, der den Fall in zwei Hälften teilte. Die Sonne ließ das Wasser leuchten wie glitzernde Kristalle. Ein Regenbogen spannte sich über den Fluss.
„Schade, dass wir das nicht unbeschwert genießen können.“
Marc war anderer Ansicht, „doch, genieße es. Nimm es auf und halte es in deinen Gedanken fest.“
Marc ließ Shonessi los, ging zu Ahmik und drückte ihm seinen Fotoapparat in die Hand.
„Bitte Ahmik, mach ein Bild von Shonessi und mir, oder besser zwei.“
Auch Gerhard ließ sich noch fotografieren, einmal allein. Er wollte jedoch unbedingt ein Bild mit Marc und Shonessi. Beide Männer nahmen die zierliche Frau in die Mitte.
Marc und Shonessi kletterten noch ein Stück den Hang hoch und setzen sich, um still den Wasserfall jetzt in diesem Augenblick genießen zu können. Shonessi blickte verträumt auf die weiße Wucht. Marc schaute zur Seite, der Wasserfall wurde uninteressant, ihr Profil zog ihn in seinen Bann. Was für eine Schönheit sie doch war: Wie Seide schimmerten ihre fast schwarzen Haare im Sonnenlicht, ihre hohe Stirn, die ebenmäßige gerade Nase und die etwas volleren Lippen ihres Mundes zogen seinen Blick magisch an.
Sie lachte und drehte ihren Kopf zu ihm hin, „wolltest du nicht den Wasserfall anschauen?“
„Wollte ich auch. Aber als ich das Panorama rundum in Augenschein genommen habe, bist du mir ins Bild gekommen. … Da musste ich einfach hängenbleiben. Ich komme an dir nicht vorbei. Geht nicht!“
„Schön hast du das gesagt. Davon kann ich nicht genug bekommen.“ Sie lachte.
Ahmik war plötzlich neben ihnen.
„Ich will euch nur ungern unterbrechen. Aber wir sollten dringend weiter. Spätestens Morgen wird das Flugzeug wieder kommen.“
Widerwillig machten sie sich auf den Weg zu den Booten.
„Jetzt folgt der vierte Canyon, der sogenannte 'Painted Canyon', ist nur acht Kilometer lang. Den sollten wir in jedem Fall heute noch meistern.“
Marc hatte wieder das Kommando übernommen. Sie bestiegen ihre Boote, das Wasser war jetzt nicht mehr braun, sondern hatte eine graue Farbe. Der Wasserstand war bereits spürbar gesunken. An den Ufern wurden langsam die Kiesbänke wieder sichtbar. Flott ging es flussabwärts. Viele kleine Stromschnellen brachten nicht nur Abwechslung, sondern einen Hochgenuss. Marc ließ Shonessi viel üben. Sie war fleißig und stellte sich geschickt an. Er konnte fühlen, dass es ihr immer mehr Spaß machte. Schon nach einer halben Stunde hatten sie den Canyon passiert. Gerhard hatte einen schönen Übernachtungsplatz neben einem kleinen Bach entdeckt. So hatten sie klares Wasser, dieses Mal sogar einen moosbewachsenen Untergrund, sehr gut geeignet als Boden für die Zelte.
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