Schließlich muss das vornehme Ziel jedes kritischen Blicks auf bestehende Verhältnisse und Sichtweisen sein, nach Besserem zu suchen. In der Hilfe und Behandlung kranker Menschen bedeutet dies nicht ein Ersetzen einer Methode durch eine andere, sondern über einen anderen Blick auf die Zusammenhänge und Hintergründe die Sichtweise und Wahrnehmung zu verändern. Denn dies ist Voraussetzung dafür, dass neue oder andere Behandlungsmethoden überhaupt erst eine Wirksamkeit entfalten können.
Denn gerade Krankheiten sind so sehr abhängig von einem Wechselspiel zwischen unseren eigenen Wahrnehmungen, der Wahrnehmung anderer, der geschichtlichen Entwicklung, unserem Bild von Krankheit, unserer Stellung in der Gesellschaft und der Art des Umgangs der Gesellschaft mit Krankheit, unseren ganz persönlichen Lebensbedingungen und der Art der Kommunikation und des Austauschs mit unserer Umwelt, aber auch von unserem Körperbild und unserer Körperlichkeit. Es besteht also eine Abhängigkeit von unserem Weltbild und das unserer Umgebung. Insofern ist nicht nur unser Bild von einer Krankheit, sondern auch die Krankheit selbst mit allen ihren Konsequenzen wandelbar durch Veränderung seelischer bzw. auch geistig psychischer Bedingungen.
Das vorliegende Buch wird sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Es verfolgt nicht das Ziel, Verunsicherung zu stiften. Denn nicht nur wer ärztlich handelt, sondern auch wer eine kritische Diskussion darüber führt, trägt eine hohe Verantwortung für das Wohlergehen von Patienten. Ganz bewusst sollen hier keine Behauptungen und Lehrsätze formuliert werden, sondern das hier Dargelegte als Hypothesen, d.h. Möglichkeiten einer Sichtweise formuliert werden. Es soll in erster Linie dem Nachdenken darüber dienen, was sich in der Hilfe und Behandlung kranker Menschen verbessern lässt.
Der Wert von Hypothesen und Möglichkeiten bemisst sich letztlich an ihren praktischen Konsequenzen und der Frage, ob diese erkennbar zu einer Verbesserung beitragen.
Die Aussicht auf wirksamere Behandlungsmethoden wird sich nur in einem längeren Prozess gesellschaftlicher Diskussion und Wechselwirkung entwickeln. Das vorliegende Buch soll hierzu einen bescheidenen Anstoß geben.
Cover
Titel Thomas Vetter DIE SEELISCHE DIMENSION VON KRANKHEITEN Eine kritische Betrachtung unseres aktuellen Krankheitsverständnisses Engelsdorfer Verlag Leipzig 2017
Impressum Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig Alle Rechte beim Autor Titelfoto „abbey“ © Dar1930 (FOTOLIA) Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) www.engelsdorfer-verlag.de
Vorwort
Einleitung
Was ist hier mit Seele gemeint?
Was ist Krankheit?
Das biomedizinische Krankheitsverständnis
Das materialistisch-mechanistische Krankheitsbild in der Biomedizin
Das biomedizinische Verständnis von Krankheitsursachen
Problem der Klassifikation und Untergliederung von Krankheiten
Das Problem statistischer Bewertungen in der Biomedizin
Das Problem der Grenzwertbestimmung in der Biomedizin
Das Problem nichtmedizinischer Interessen in der Biomedizin
Das Problem der Wissenschaftlichkeit in der Biomedizin
Die Provokation von Krankheiten durch Biomedizin
Das Problem der Prävention
Die Biomedizin bei alten und sterbenden Menschen
Die Bedeutung der Biomedizin
Der Anteil seelischer Dimension von Krankheiten
Placebo, Nocebo
Der spirituelle Bezug zu Krankheiten
Krankheiten mit gesichertem seelischen Ursprung
Neurosen
Persönlichkeitsstörungen
Depressionen
Psychosomatische Störungen
Gemeinsamkeiten von Krankheiten mit gesichertem seelischen Ursprung
Der Einfluss der Umwelt auf Krankheit
Kindheit und Jugend
Die Bedeutung der Gene
Die Gesellschaft
Gesellschaftliche Einflüsse auf Krankheit
Der Wandel des Krankheitsverständnisses
… in der Sicht auf die Vergangenheit
… in der Sicht auf die Gegenwart
… in der Sicht auf die Zukunft
Was gilt in der Heilung zu allen Zeiten?
Vertrauen
Einfühlungsvermögen
Plausibilität
Vermittlung von Hoffnung und Zuversicht
Glaube
Ein anderes Krankheitsverständnis
Weg von der biomechanisch-materialistischen Sicht
Weg von der Kategorisierung von Krankheiten
Weg von den katastrophisierenden Bildern
Hin zu individuellen Gesundheitsstörungen
Hin zu seelischen Bedingungen von Krankheit
… für die Ursache einer Krankheit
… für den Verlauf und die Aufrechterhaltung einer Krankheit
… für die Prognose einer Krankheit
Das Phänomen der nicht wissenschaftlich erklärbaren Heilungen
Selbstheilungskräfte
Wunderheilungen in der Geschichte
Spontanheilungen
Krankheit als gestörtes seelisches Gleichgewicht
Therapeutische Konsequenzen
Individuelle Behandlung
Behandlung der seelischen Anteile bei Krankheit
Wie behandeln?
Änderung des medizinischen Weltbildes
Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
Wir nehmen heute Krankheiten ganz vorrangig als körperliches Phänomen wahr. Ein Beinbruch wird von uns als zerbrochener Knochen, zum Beispiel im Unterschenkel, wahrgenommen. Wir wissen, wie ein Röntgenbild hierzu ausschaut und wissen, dass die Behandlung das Ziel verfolgen muss, dass beide Knochenenden wieder zusammenwachsen. Selbst eine psychische Krankheit, wie Depression oder Schizophrenie, gilt uns als eine Art Stoffwechselerkrankung des Gehirns, die dadurch behandelt wird, dass über entsprechende Medikamente zu gering vorhandene Enzyme oder Übertragungsstoffe im Gehirn ersetzt werden oder deren Aktivität angeregt wird. Unsere allgemeine Vorstellung von Ursache, Bild und Behandlung von Krankheiten ist eine vorrangig körperliche. Wir forschen mit Laboruntersuchungen, Röntgen und körperlicher Untersuchung nach der vermeintlichen Krankheitsursache. Wir identifizieren Regionen im Körper mit Funktionsstörungen als Ursache und Ausdruck der Krankheit und wir versuchen mit entsprechenden, auf die Veränderung der Körperfunktion gerichteten Behandlungsmaßnahmen diese Krankheit zu beeinflussen.
Die seelische Dimension von Krankheiten ist uns eher nicht bewusst, egal, ob wir als Kranker betroffen sind oder als Arzt tätig sind. Als Kranker fühlen wir uns nicht wohl, wir haben Angst vor den Ergebnissen der Untersuchungen und den hieraus resultierenden Konsequenzen. Gegebenenfalls haben wir auch Hemmungen, unsere Angehörigen in Kenntnis zu setzen. Wir halten dies aber für resultierende Probleme und Begleiterscheinungen der Krankheit, die es zusätzlich zu bewältigen gilt, die aber nichts unmittelbar mit der Krankheit zu tun haben.
Was führt zu dem Bild, das wir von einer Krankheit haben, wie z.B. Beinbruch, Krebs oder Depression? Inwieweit haben unsere wissenschaftlichen Methoden in der Diagnostik und Behandlung von Krankheiten eine objektiv gesicherte Grundlage? Welche nicht krankheitsspezifischen Interessen spielen hierbei möglicherweise eine Rolle, wie z.B. das wirtschaftliche Interesse der Pharmaindustrie oder das Reputationsinteresse der Hochschulmedizin? Unser Bild von der Krankheit wird ja wesentlich von der herrschenden medizinischen Meinung, aber auch von dem Blickwinkel unserer unmittelbaren Umgebung geprägt. Hier spielen subjektive Ansichten, einseitige Interpretation von wissenschaftlichen Erkenntnissen, aber auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Wie anders wäre es zu erklären, dass große Teile der Bevölkerung regelmäßig Vitaminpräparate zu sich nehmen oder Cremes zur vermeintlichen Verhinderung von Gesichtsfalten benutzen, obwohl alle wissenschaftlichen Studien die Unwirksamkeit dieser Anwendungen bestätigen? Es besteht auch das Bedürfnis, etwas für seine Gesundheit zu tun, was sich ggf. auch über trockene wissenschaftliche Erkenntnisse hinwegsetzt.
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