Geschichte der Demokratischen Schule
Karl Geller
Dem Teil der Vergangenheit, der Kinder wie Menschen behandelt hat
Der Zukunft
La Lotta
1862
„Ich bezweifle, dass [eine Schule wie Jasnaja Poljana] innerhalb eines weiteren Jahrhunderts allgemein anerkannt sein wird. Es ist nicht wahrscheinlich …, dass Schulen, deren Grundlage die Wahlfreiheit der Schüler ist, selbst in einhundert Jahren, von nun an gerechnet, werden eingerichtet worden sein.“
Lew Nikolajewitsch Tolstoi
Mein herzlichster Dank gilt:
Andreas Rauch für seine, an meine Studie angeschlossene, quantitative Befragung von Schüler an deutschen Demokratischen Schulen.
Andreas Hyler für die Programmierung des Fragebogens der Absolventenstudie mit 28 Absolventen Demokratischer Schulen in Deutschland, die hier aus Zeitgründen leider keine Erwähnung findet, aber später noch veröffentlicht wird.
Susanna Gocke für die Übersetzung der spanischen Quellen.
Ana Irene Pérez Rueda für die Recherchehilfe in den spanischen Quellen und ihre Informationen über die Escuela libre Paideia.
Elisa Marder Zampieri und Lisiane Laffe für Recherche und Übersetzung der portugiesischen Quellen und ihre Einschätzung zu besetzten Schulen in Brasilien, die hier aus Zeitgründen leider keine Erwähnung finden konnte, aber nochmal eigens veröffentlicht werden.
Josh Platzky und Anselm Schindler für Informationen und Recherchehilfe über Rojava.
Nidia Aeraki für die Übersetzung der griechischen Quellen und die Recherchehilfe in den griechischen Quellen.
Dimitrios Sklavenitis für die Recherchehilfe in den griechischen Quellen.
Jos Heuer für die Recherchehilfe in den niederländischen Quellen und sein Interview.
Marie-Therese Hattendorf für allgemeine Recherchehilfen.
Yaacov Hecht für die Weitergabe von Kontakten und seinen Einschätzungen zur Universalität, Allgemeingültigkeit und Korrektheit dieser Arbeit.
Felix Augustinowski, Regina Hofbauer und Lisa Ophüls für diverse Korrekturhilfen.
Michael Lippok für die wissenschaftliche Begleitung und Beratung.
Neba dea akademischa Hilf mecht i mi aa bei moim Vata un moim Großvata bedanka dia zvoadeascht mai Schdudium bezahld hend. A herzlich‘s vergelts Gott dia zwoi!
Zum einen ist dies die wahrscheinlich erste umfangreiche Niederschrift der Geschichte der Demokratischen Schulen und enthält zum anderen eine vermutlich einmalige Übersicht über die aktuelle Situation der Demokratischen Schulen in Deutschland, Europa und der Welt.
In dieser Arbeit wurde versucht, möglichst einfache Sprache zu verwenden, so dass nicht-muttersprachlich Deutsch sprechende Menschen diese Arbeit so gut wie möglich verstehen können. Ich weiß, dass mir das oft nicht gelungen ist. Ich hoffe trotzdem, dass die wichtigsten Aspekte verständlich sind. In diesem Sinne wurden für Begriffe, die alle Geschlechter umfassen, nur die männlichen Geschlechtsbezeichnungen (generisches Maskulinum) benutzt. Dennoch sind alle Geschlechter gemeint. Häufig wurden englische Passagen unübersetzt übernommen, wenn sie in relativ leicht verständlichem Englisch geschrieben sind und keine zentrale Bedeutung für das weitere Verständnis haben.
Demokratische Schulen sind vermutlich die Schulen mit dem radikalsten reformpädagogischen Ansatz. Sie beschränken sich nicht auf eine andere Didaktik, kleine Freiheiten im Schulalltag oder setzen auf Belohnung statt Strafe. Demokratische Schulen haben den Anspruch, Kinder als vollwertige Menschen mit allen daraus resultierenden Konsequenzen zu betrachten.
Dieser Ansatz vereinigt Menschen auf allen Kontinenten. Freilerner, Wirtschaftspioniere, Revolutionäre, liebevolle Eltern, Utopisten, Kinderrechtsaktivisten und Schulbesetzer, um nur einige zu nennen. Die Geschichte Demokratischer Schulen beginnt mit der modernen Demokratie und muss sich trotzdem immer wieder gegen den demokratischen Staat wehren, während dieser ein Schulmodell favorisiert, das aus der vordemokratischen Zeit stammt und kaum praktische Demokratie enthält.
Seit den 1990ern erlebt die westliche Welt eine weitere Schulgründungswelle radikal freier und basisdemokratischer Schulen. Im Gegensatz zu früheren Schulgründungswellen scheint mir erstmals die Voraussetzung für eine breite gesellschaftliche Akzeptanz zu existieren, da kritische Stimmen gegenüber der »neuen Pädagogik« kaum zu vernehmen sind. Zudem ist die Bewegung weltweit gut organisiert. Erleben wir also heute den Startschuss für den Sieg der Pädagogik vom Kinde aus, den progressive Pädagogen seit über 100 Jahren prophezeien?
Ein Blick in die Geschichte reformpädagogischer Schulen könnte helfen, die weitere Entwicklung vorherzusagen. Doch diese ist für Demokratische Schulen bisher nicht ausführlich aufgeschrieben worden.
Die wenigsten Gründer und Lehrer an Demokratischen Schulen dürften wissen, wo die pädagogischen Wurzeln der Demokratischen Schule liegen, oder wie vielfältig die Bewegung, denn als solche muss sie mittlerweile bezeichnet werden, geworden ist.
Aber nicht nur die Geschichte, auch die Gegenwart dürfte den meisten Menschen im Umfeld Demokratischer Schulen nicht bewusst sein. So lag bis jetzt keine Übersicht mit Anspruch auf Vollständigkeit über die Anzahl oder pädagogische Ausrichtung Demokratischer Schulen der Welt, Europa oder Deutschland vor.
Diese Arbeit wurde verfasst, um dies zu ändern.
Um einen Blick in die Zukunft zu wagen, macht es Sinn sich diejenigen Wirkungslinien von pädagogischen Projekten zu betrachten, die heutige oder ehemalige Demokratische Schulen möglich gemacht haben und dabei zu bewerten wie »erfolgreich« sie in der Verbreitung der Idee waren und wie stark dabei unterschiedliche Wirkungslinien auf welche Art und Weise interagiert haben.
Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet daher:
Wie haben sich die institutionellen Wesensmerkmale Demokratischer Schulen aus ihren ideengeschichtlichen Quellen ergeben?
Unter Quellen seien hier sowohl Ideologien, die privaten und politischen Sozialisationsumstände der Gründerfiguren, pädagogische Vorgängerprojekte, als auch pädagogische Idole verstanden.
Obwohl Ulrich Klemm sechs institutionelle Wesensmerkmale für Demokratische Schulen definiert, habe ich mich auf die beiden wesentlichen beschränkt. Wie später zu sehen ist, bedingen Lernfreiheit und die Demokratische Entscheidungskultur die anderen vier institutionellen Wesensmerkmale bei Klemm und entsprechen sinngemäß der Definition der European Democratic Education Community.
Für die Beantwortung der Forschungsfrage war es wichtig zu analysieren, welche Schulen sich heute als Demokratische Schulen verstehen und wie sich die Bezeichnung »Demokratische Schule« ergeben und verbreitet hat. Es zeigte sich schnell, dass einige Schulen den sogenannten »Demokratischen Schulen« sehr ähnlich sind, teilweise mit ihnen in Kontakt stehen, sich aber nicht als solche bezeichnen oder bezeichnet haben. Dies ließ unterschiedliche Ursprünge vermuten, welche ich tatsächlich auch herausarbeiten konnte.
Die Umstände der Gründung Demokratischer Schulen (Vorgängerschulen, pädagogischer Einfluss, politische Rahmenbedingungen, wirtschaftliche Situation, …) ließ sich nicht von den Gründerpersönlichkeiten und deren Lebensgeschichte trennen, weswegen ich beides nachvollzogen und das Wichtigste festgehalten habe. Des Weiteren interessierten mich konzeptionelle Besonderheiten, ihr Einfluss auf andere Schulen und die Gründe ihres Auftretens bzw. Nicht-Auftretens.
Dabei ist eine globale Übersicht (geographische Verbreitung, Anzahl, Schülerzahl, politische Bedeutung, Organisation, konzeptuelle Orientierung, …) Demokratischer Schulen und ihrer Netzwerke mit dem Schwerpunkt auf Deutschland entstanden.
Читать дальше