Außerdem berichteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Mindful-Parenting-Training eine signifikante Zunahme der allgemeinen Achtsamkeit; hier ergab sich im Follow-up eine signifikante weitere Zunahme. Sie gaben an, sie seien besser in der Lage, in Stresssituationen die Kontrolle zu behalten, weniger explosiv zu reagieren, einen Schritt zurückzutreten und mehr zu denken und fühlen, statt sofort zu reagieren. Des Weiteren berichteten sie im Posttest eine signifikante Reduktion der elterlichen Tendenz zur Erfahrungsvermeidung, die sich im Follow-up noch etwas mehr reduzierte, d. h., die Eltern wichen den Emotionen ihrer Kinder nun weniger häufig aus und zeigten auch weniger Abneigung, auf emotionales Erleben ihrer Kinder zu antworten. Außerdem berichteten sie auch über eine reduzierte elterliche Stressbelastung – ein Effekt, der erst im Follow-up signifikant war.
Da diese Studie in drei verschiedenen Mental-Health-Care-Zentren durchgeführt wurde, legen die Ergebnisse den Schluss nahe, dass die positiven Wirkungen, die der Mindful-Parenting-Kurs in dem Zentrum hatte, in dem das Programm ursprünglich entwickelt wurde, auch andernorts in gleicher Weise erreicht werden können.
3.3 Studie 3: Effekte des aktuellen Mindful-Parenting-Programms in der zuletzt durchgeführten Gruppe
Die endgültige Version des Mindful-Parenting-Programms, wie sie in diesem Buch beschrieben wird, wurde an einer neuen Gruppe mit 14 Teilnehmenden evaluiert, die an unser Mental-Health-Care-Zentrum UvA minds überwiesen worden waren. Es handelte sich um 3 Väter und 12 Mütter, darunter ein (Frauen-)Paar. Die Zielkinder waren 9 Jungen und 5 Mädchen zwischen 4 und 14 Jahren mit folgenden Diagnosen: Autismus oder Autismus-Spektrum-Störung (2), ADHS (3), Trennungsangst (1), posttraumatisches Belastungssyndrom (1), frühkindliche Störung (1) oder Probleme der Eltern-Kind-Beziehung (V-Code) (3). In einem Fall war eine Diagnose des Elternteils der Überweisungsgrund (generalisierte Angststörung) (1).
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer füllten Fragebogen zu ihren eigenen psychischen Problemen und den psychischen Problemen ihres Kindes, zu elterlicher Stressbelastung, elterlicher Reaktivität, Achtsamkeit in der Erziehung, allgemeiner Achtsamkeit, elterlicher Erfahrungsvermeidung (experiential avoidance) und elterlichen Überreaktionen aus. Ebenso füllten sie wie schon die Teilnehmer der ersten Studie den Posttest-Fragebogen zur Programmevaluation aus, allerdings wegen des neuen Kursformats mit geringfügigen Modifikationen.
Die Auswertung (s. Tabelle 3.1) ergab signifikante und substantielle Verbesserungen mit hohen Effektstärken in den Bereichen Achtsamkeit im Erziehungskontext, allgemeine Achtsamkeit und elterliche Erfahrungsvermeidung. Auch in Bezug auf die elterliche Stressbelastung und wahrgenommene elterliche Überreaktionen waren Verbesserungen festzustellen (mittlere Effektstärken). Die Eltern berichteten außerdem über Verbesserungen bei den internalisierenden psychischen Problemen ihrer Kinder (nur im Follow-up gemessen, hohe Effektstärke) sowie bei den externalisierenden Störungen ihrer Kinder (mittlere Effektstärke). In Bezug auf die elterliche Psychopathologie wurde, wiederum nur in der Follow-up-Erhebung, eine signifikante Abnahme der internalisierenden und externalisierenden Probleme deutlich (mittlere Effektstärke).
Im Evaluationsfragebogen bewerteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Training äußerst positiv. Alle teilnehmenden Eltern (100 %) beurteilten Mindful Parenting als wertvoll und berichteten, dass sie ihren Lebensstil, die Interaktion mit dem Kind bzw. der Familie oder ihr Erziehungsverhalten geändert hätten, dass sich ihr Verhältnis zu ihren Emotionen, Kognitionen und Handlungstendenzen im Erziehungskontext verändert habe und dass sie beabsichtigten, weiterhin zu meditieren und weiterhin Achtsamkeit in der Erziehung zu praktizieren. Von den 14 Befragten beurteilten 13 das Training als tauglich zur Bewältigung ihres elterlichen Alltags. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben an, durchschnittlich fünfmal wöchentlich geübt zu haben.
Auf einer zehnstufigen Skala bewerteten sie den Kurs insgesamt mit 9,1 und die Wichtigkeit der verschiedenen Kurselemente wie folgt: Bei den formalen Meditationsübungen erhielt der Drei-Minuten-Atemraum die höchste Bewertung (9,4), gefolgt von Sitzmeditation (8,4), Body-Scan (7,9), Yoga (5,9) und Gehmeditation (5,6). Das bedeutet nicht zwingend, dass die niedriger bewerteten Übungen insgesamt unwichtiger waren, denn einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer stuften sie als wichtig ein (7 der 14 Befragten vergaben einen Wert zwischen 7 und 9 für die Yoga-Elemente und 5 einen Wert von 7 bis 8 für die Gehmeditation), zudem haben Elemente wie Yoga und Gehmeditation unter anderem den Zweck, die Meditationspraxis möglichst vielfältig zu gestalten. Hinzu kommt, dass für Yoga und Gehmeditation insgesamt weniger Zeit vorgesehen war als für die anderen Meditationsformen, von daher könnte die Einstufung auch die relative Bedeutung widerspiegeln, die wir als Kursleiterinnen diesen Praxiselementen gaben.
Von den behandelten Themen fanden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Achtsamkeit im (Eltern-)Alltag (8,5), Bewusstsein für Muster und Schemata im Erziehungsverhalten (8,4), sowie Selbstmitgefühl und Metta (8,1) sehr wichtig – mit Ausnahme einer Person, die Mitgefühl und Metta mit „1“ bewertete, mit der Begründung, dies sei nicht jedermanns Sache. Sogenannte Backdraft-Effekte der Liebende-Güte-Meditation werden in Kapitel 4und im Kontext von Sitzung 7 erörtert. Von den Arbeitsformen erhielten die Gruppengespräche und die psychoedukativen Einheiten (8,4), die Tagebuchblätter zum Ausfüllen (7,4) und das Lesen der Arbeitsblätter (7,1) die höchsten Bewertungen.
Ein Vergleich der Ergebnisse der dritten Studie mit den Resultaten der beiden ersten Studien ist schwierig, da die Stichprobe der dritten Studie nur aus einer einzigen Gruppe bestand. Insofern können wir Selektionseffekte oder Effekte spezifischer Gruppenprozesse auf die Ergebnisse nicht ausschließen. Für sich betrachtet sind die Resultate der jüngsten Studie vielversprechend: Erstens bewerteten die teilnehmenden Eltern das neue Kursformat im Rahmen der Programmevaluation mit einer Gesamtnote von 9,1 als sehr gut, zweitens ergaben sich auch beachtliche Effekte, d. h. positive Veränderungen mit hohen Effektstärken bei der elterlichen Stressbelastung, elterlicher Reaktivität, Achtsamkeit im Erziehungskontext, allgemeiner Achtsamkeit und elterlicher Erfahrungsvermeidung. Vielversprechend sind schließlich auch die positiven Effekte des Kurses auf die elterliche und kindliche Psychopathologie, die erst zwei Monate nach Kursende erkennbar waren. Solche verzögerten Interventionseffekte bei zentralen Outcome-Maßen werden in der Präventionsforschung „Schläfereffekte“ genannt. Sie deuten darauf hin, dass Mindful Parenting wie ein Same, der nach einiger Zeit aufgeht, langfristig positiv auf die seelische Gesundheit von Kindern und Eltern wirkt.
3.4Schlussfolgerungen und Ausblicke auf die zukünftige Forschung
Die drei hier geschilderten Studien zeigen, dass Mindful Parenting im Kontext der kommunalen kinderpsychiatrischen Versorgung gut angenommen wird – darauf lassen eine extrem niedrige Dropout-Rate und die sehr positive Programmevaluation durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer schließen. Außerdem konnte gezeigt werden, dass Mindful Parenting klinisch signifikante und nachhaltige Effekte auf ein breites Spektrum von Erziehungsmaßnahmen, der Achtsamkeit und der kindlichen und elterlichen Psychopathologie hat. Das neue Programm, das in diesem Buch vorgestellt wird, erscheint sogar noch wirksamer als das ursprüngliche, auch wenn wir derzeit mit Vergleichen noch sehr vorsichtig sein müssen, da wir das neue Programm nur in einer einzigen Pilotgruppe evaluieren konnten und deshalb nicht ausschließen können, dass die Selektion von Eltern, Kindern, Lehrern oder andere Aspekte dieser einen Gruppe, etwa die Gruppenkohäsion, die Ergebnisse beeinflusst haben.
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