Poppers Kritischer Rationalismus, insbesondere die Fehlerkultur, gehört wie gesagt gewiss zum Interessantesten, Wichtigsten, Sympathischsten und Besten, aber das Problem war und ist, dass sich die Popperianer selber nicht an die eigenen Vorschriften halten. In der Wirklichkeit. Der wahrscheinlich wichtigste Förderer Karl Poppers war übrigens Friedrich Hayek. Übrigens auch hat man sich sehr bemüht, Popper zu einem Nobelpreis zu verhelfen. Ich weiß nicht, ob für Literatur auch oder nur für Ökonomie. Für Ökonomie war man sehr zuversichtlich. Wie auch immer – Karl Popper las keine Tageszeitung, hörte kein Radio und sah nicht fern. Und die Probleme der Schulen und des Bildungssystems schrieb er einzig dem seines Erachtens unfähigen Personal dort zu, niemals den unterversorgenden Strukturen oder der gesetzgebenden und Budget erstellenden Politik. Und die Grünen hat Popper überhaupt nicht geschätzt. Und wenn Menschen von Entfremdung redeten, hielt er das für Quatsch. Den Keynesianismus und den Sozialstaat sowieso. Das können Sie, sehr verehrte Damen und Herren, alles bei Popper selber nachlesen. All seine abfälligen Äußerungen.
Durch das Reden, sehr verehrte Damen und Herren, ersparen wir uns das Sterben. Wir lassen da nämlich unsere falschen Sätze, unsere falschen Ideen, an unser statt untergehen. Sind wie Affen, die von Baum zu Baum springen; ist der Satz, den der Affe tut, falsch, dann ist der Affe auf der Stelle tot oder bald. Für Karl Popper ist das die Funktion der Sprache. Reden erspart Leid. Könnte. Diese Ansicht teile ich. Aber das war es dann auch schon. Und dennoch wie gesagt gehört das, was Popper gesagt hat, zum Interessantesten, Besten und Wichtigsten. Aber es hat sich eben niemand daran gehalten, er selber ja eben auch nicht. In der Wirklichkeit. Ich bin sehr froh und den beherzten und lebensklugen Organisatoren wirklich dankbar, dass es die heutige Veranstaltung gibt. Aber der neoliberale Hayek, der wichtigste und lebenslange Freund und Förderer Poppers, würde, habe ich mir sagen lassen, das, was auf den Einladungskarten steht, Ihren, sehr verehrte Damen und Herren, und meiner auch, sowieso für blödsinnig erklären. Für völlig irrelevant. Ich sag’s hiermit klar und deutlich: Die Liberalen sind entweder nicht willens oder nicht imstande, die Neoliberalen in den Griff zu bekommen. Die Liberalen sind entweder nicht willens oder nicht imstande, die Neoliberalen in den Griff zu bekommen! Die Wortfolge Offene Gesellschaft allerdings hört man mindestens einmal am Tag, ich kürzlich aus dem Mund des Verkehrsministers. Und wenn man, hat mir ein Freund erzählt, im Internet nach der offenen Gesellschaft sucht, erscheint zuerst die österreichische Wirtschaftskammer. Die offene Gesellschaft, heißt’s dort, ist eine Form der sogenannten Personengesellschaft. Sei dem, wie es sei: Selbstverständlich gibt es wahrhaftige Popperianer. Ralf Dahrendorf zum Beispiel war so einer. Der EU-Kommissar Dahrendorf. Maßgebender Repräsentant der Liberalen Internationale war er auch. Als Haider erwirken wollte, dass die FPÖ dort als Mitglied wieder aufgenommen wird, hat Dahrendorf das in aller Öffentlichkeit mit folgender Begründung abgelehnt: Ich habe eine Abneigung gegen schlechte Gesellschaft . Dahrendorf war bekanntlich namhafter Sozialwissenschaftler und außerdem ein wirklicher Kenner des Humanisten Erasmus von Rotterdam. Das ist der, von dem die meisten Leute eigentlich nicht wirklich wissen, wer das war, aber sich glücklicherweise in irgendeinem Förderprogramm oder -projekt befinden, das seinen Namen trägt. Ein wichtiges Lebensmotto des Erasmus hat gelautet, dass es immer einen Ausweg gibt. Der Popperianer Dahrendorf nun hat sich mit Poppers Konzepten immanent und intern auseinandergesetzt und als wichtigen, paradox anmutenden Kritikpunkt die Ansicht vertreten, es könne passieren, dass dieser Gesellschaft da, der offenen Gesellschaft, die Ideen ausgehen und sie nicht mehr aus und ein weiß. Keine Auswege mehr sieht. Was dann? – Also sozusagen: was jetzt?
Geschätzte Damen und Herren, ich weiß wie gesagt sehr wohl, was auf Ihren Einladungskarten und heute hier auf dem Programm steht und wozu ich als Referent angehalten bin. Ich arbeite es, bilde ich mir ein, hiermit stückwerktechnisch ab (nämlich was wir tun können, wir, wir, wir, tun, tun, tun, können, können, können) und bitte Sie aber zu diesem Zwecke noch für ein paar Minuten um Ihr Vertrauen oder Ähnliches.
Woran der realexistierende Sozialismus gescheitert ist und warum im Gegenteil der Westen und dessen freie Marktwirtschaft samt offener Gesellschaft obsiegt hat, ist, heißt’s, hinlänglich bekannt. Und das geht eben bekanntlich von der sozialistischen Miss- und Planwirtschaft samt den explodierenden Militär- und Diktaturkosten bis zum Good Guy Ronald Reagan und zum seligen Johannes Paul II. Worüber merkwürdigerweise in diesen Zusammenhängen öffentlich eigentlich nie geredet wird, im Westen, ist Tschernobyl, die dazumal schlimmste Industriekatastrophe der Geschichte . Ende April 1986. Also bereits unter Gorbatschow. Über eine Million Arbeitskräfte, sogenannte Liquidatoren, wurden als chancenlose Himmelfahrtskommandos in die verstrahlteste Zone geschickt. Die materiellen und finanziellen Folgekosten der Tschernobyl-Katastrophe und die völlige Schutzlosigkeit der Bevölkerung damals und das ständige Leib und Leben bedrohende Belogenwerden haben damals das Vertrauen in die Regierung und in das politische System massiv zerstört. Die Menschen haben damals bereits in Massen protestiert, die Teilrepubliken wollten ihre Unabhängigkeiten und Geld war selbstverständlich auch keines da. (Den Rest sozusagen hat dann der Westen erledigt. Unser aller offene Gesellschaft. ) So kann man die Sache also auch sehen. Belegt und nahegelegt ist besagte Sichtweise im Handbuch des Kommunismus . Selbiges ist keine rote Propagandaschrift, sondern ganz im Gegenteil just so beschaffen wie das Schwarzbuch des Kommunismus . Apropos Kommunismus: Ein Opfer der russischen Revolution war eine gewisse Ayn Rand. Als sie ein Kind war, hat ihre Familie durch die Kommunisten alles verloren. Die neue Heimat waren dann notgedrungen die USA. Ayn Rand hat dort etliche wirkmächtige Bücher geschrieben mit einer Gesamtauflagenhöhe von zig Millionen Exemplaren. Zwischendurch hieß es sogar, insbesondere ihre verfilmten Romane werden in der offenen Gesellschaft der USA sowohl in Quantität als auch in Qualität einzig durch die Bibel übertroffen. Einer von Rands innigsten Freunden war Alan Greenspan, der zeit ihres Lebens nie ein Hehl daraus gemacht hat, von Ayn Rand maßgeblich beeinflusst zu sein und mit ihr liebend gern zu kooperieren. Greenspan war für 5 Amtsperioden = 20 Jahre lang der Präsident der US-Notenbank FED – und namhafte Kritiker des Neoliberalismus wie etwa Paul Krugman haben Greenspan als einen der Hauptverantwortlichsten der Weltwirtschaftskrise der Jahre 2007 folgende benannt. Sozusagen als den über Jahrzehnte hinweg Tätigsten aller Zeitbombenleger. Frau Ayn Rand jedenfalls hasste alles, was auch nur das Geringste mit Roosevelts New Deal gemeinsam hatte, und ihre Lehre war die des Übermenschen, der Hochintelligenz und des Ja-Nicht-Helfens. Allerdings soll die Rand, als sie krank war, paradoxerweise staatliche Hilfe in Anspruch genommen haben, finanzielle und auch medizinische. Unter anderem Namen. Gefälschtem. Auf neoliberal Österreichisch gesagt war das also Sozialbetrug, und zwar Missbrauch der Mindestsicherung und Benutzung einer fremden e-card.
Was ich bis jetzt, sehr verehrte Damen und Herren, radebrechend aufgeführt und versuchsweise in Anwendung gebracht habe, gehört explizit zum Methodenrepertoire Pierre Bourdieus, des anno 2002, im Jahr des österreichischen Sozialstaatsvolksbegehrens, verstorbenen, aber weltweit nach wie vor meistzitierten Menschen- und Wirklichkeitswissenschaftlers. Nämlich: Spaß- und Spielverderber sein; vor Augen führen, dass die Spiele der Gesellschaft solche auf Gedeih und Verderben sind; immer gerade über das reden, worüber nicht geredet wird oder nicht geredet werden soll; sich weder ein- noch aussperren lassen; sich nicht dem Zeitdruck der Wegwerfgesellschaft fügen, die aus dem Denken Wegwerfdenken macht und aus dem Reden Wegwerfreden und aus dem Leben Wegwerfleben; wo und wann nur irgend möglich, das Konkurrenzprinzip außer Kraft setzen; wo und wann nur irgend möglich, das Konkurrenzprinzip außer Kraft setzen!; die Aufzwingungen, Einschüchterungen, Tricks und Schwindeleien, die die Mächtigen und Wichtigen aller Zeiten ausmachen, demaskieren ; Gewalt und Betrug kenntlich machen und durchkreuzen.
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