»Hey, Baby.«
Erschrocken zucke ich zusammen, drehe mich dabei langsam um. Diese Begrüßung beschleunigt meinen Puls. Das kann doch jetzt nicht wahr sein … oder? Da steht er. Das fahle Licht einer Straßenlaterne umgibt ihn. Braune Haare, braune Augen, Dreitagebart. Es könnte jeder x-beliebige Mann sein, der hier vor mir steht und mich ein wenig verlegen anlächelt. Aber ich weiß, dass er es ist. Der Fremde mit einer Vorliebe für Telefonsex.
Mit wild klopfendem Herzen stehe ich wie angewurzelt vor ihm, die Augen weit aufgerissen, und bekomme keinen Ton heraus. Warum ist er plötzlich hier? Und wie hat er mich überhaupt gefunden? Sollte ich jetzt vielleicht weglaufen, bevor es zu einem blöden Missverständnis kommt? Angst beschleicht mich und ich taste nach meinem Smartphone in der Jackentasche, um notfalls die Polizei rufen zu können.
Der Mann kommt näher, bemerkt meine Unsicherheit und bleibt in einigem Abstand zu mir stehen. Ich erkenne ein entschuldigendes Lächeln auf seinem Gesicht.
»Hör mal, ich wollte dir nicht auflauern und dich wirklich nicht erschrecken. Die Telefonsexsache tut mir wahnsinnig leid, glaub mir. Du musst mich sicher für einen perversen Spinner halten, wegen dem, was ich abgezogen habe«, entschuldigt er sich reumütig und macht noch einen Schritt auf mich zu. »Die Situation ist mir wirklich peinlich und … na ja, ich hätte auch einfach die Sache verdrängen und mich nicht mehr melden können, aber … ich würde gerne mit dir reden und dir alles erklären, okay? Dann werde ich dich auch nicht weiter belästigen, versprochen.« Seine tiefe Stimme geht mir unter die Haut. Ich nicke zaghaft und kann deutlich hören, wie der Fremde erleichtert ausatmet. Die Anspannung fällt von ihm ab, und auch ich fühle mich nicht mehr so unsicher wie noch vor wenigen Sekunden. Der kurze Anflug von Panik verschwindet, je länger er mich anlächelt.
»Danke. Gott, ich habe schon befürchtet, dass du mich wütend zum Teufel jagst. Ich musste echt lange mit mir hadern, ob ich mich dir zu erkennen gebe oder nicht. Aber ich wollte mich wenigstens bei dir entschuldigen, damit du mich nicht für einen Perversen hältst, der andere Leute auf der Arbeit belästigt. Das kann ich irgendwie nicht auf mir sitzen lassen.« Er grinst schief und fährt sich nervös mit der Hand durchs Haar. »Wollen wir vielleicht irgendwohin gehen, wo wir uns in Ruhe unterhalten können, und vielleicht … einen Kaffee trinken?«
»Hier in der Nähe gibt es eine nette Kneipe«, entgegne ich, nachdem ich meine Stimme endlich wiedergefunden habe. »Für Kaffee ist es mir persönlich ein bisschen zu spät. Aber ein Bier könnte ich jetzt echt gebrauchen.«
***
Knapp zehn Minuten später sitzen wir uns in der Kneipe zwei Straßen weiter gegenüber und trinken Bier. Diese Situation ist so verrückt, dass ich mich über gar nichts mehr wundere. Erst verwählt sich ein Mann und landet aus Versehen bei mir, weil er Telefonsex haben will, und nun haben wir quasi so etwas wie ein Date.
Mein Unbekannter hat sich als Niklas vorgestellt. Er arbeitet als Finanzberater bei einer Privatbank und wohnt mit seinem Kumpel, den er schon seit Kindertagen kennt, in einer WG hier in der Stadt.
»Es tut mir wirklich wahnsinnig leid, dass ich dich angerufen habe. Ehrlich. Ich hatte echt keine Ahnung, dass ich so doof war und mich verwählt habe. Aber diese Telefonnummer … Das ist mir erst aufgefallen, nachdem du es mir gesagt hast. Ich hatte da wohl einen Zahlendreher, den ich nicht bemerkt habe. Hättest du das Missverständnis nicht so schnell aufgeklärt, vermutlich hätte ich immer wieder angerufen. Ich meine, was musst du von mir denken? « Die Worte sprudeln nur so aus Niklas heraus, kaum, dass er einen Schluck von seinem Bier getrunken hat. So selbstsicher wie am Telefon kommt er nicht mehr rüber. Er wirkt ehrlich zerknirscht über sein Missgeschick, was ihn irgendwie total sympathischer für mich macht. Bisher hat mich seine Stimme fasziniert, aber jetzt gefällt mir sein ganzes Auftreten, von seinem Aussehen hin bis zu seinem verlegenen Lächeln.
»Schon gut. Ist ja nichts weiter passiert. Ich hätte die ganze Sache schließlich sofort aufklären oder einfach auflegen können«, entgegne ich mit roten Wangen. Zum Glück ist der Raum nur schwach beleuchtet, sodass er es hoffentlich nicht bemerkt. »Also bin ich auch irgendwie schuld, weil ich mitgemacht habe. Du hast mich beim ersten Mal nur so sehr überrascht, dass ich selbst kaum reagieren konnte …«
»Kann ich verstehen. Mich würde es auch irritieren, wenn mir jemand einfach so ins Ohr stöhnt, während ich bei der Arbeit sitze.« Nun grinst er schelmisch, was ihm echt gut steht. Irgendwie finde ich ihn dadurch noch attraktiver. »Mann, ich hätte dich wohl ewig weiter in dem Glauben angerufen, bei einer Sexhotline für Schwule gelandet zu sein, wenn du nichts gesagt hättest.« Eindringlich sieht er mich an. Seine Augen wirken noch dunkler und ein Schatten liegt auf seinem Gesicht.
Dann grinst er wieder und nimmt einen großen Schluck von seinem Bier. Die Stimmung lockert sich, was vermutlich auch an dem Alkohol liegt, denn mein Bier ist bereits zur Hälfte leer. Die Schmetterlinge in meinem Bauch verbreiten sich nach Niklas’ Geständnis immer mehr und je länger wir uns unterhalten, desto heftiger klopft mein Herz. Mein Körper kribbelt angenehm, wenn ich ihn ansehe. Das ist kein perverser Kerl, der bloß eine schnelle Nummer gesucht hat, sondern ein wirklich sympathischer und attraktiver Mann, der hier vor mir sitzt und verzweifelt versucht, mir diese peinliche Situation zu erklären. Das Bier in meinem Blut lässt mich mutiger werden. Ich bin verdammt neugierig, was er wohl von mir als seinen Telefonsexpartner gehalten hat, denn sonst hätte er vermutlich kein zweites Mal angerufen.
»War ich denn … nun, genauso gut wie die Anderen?«, frage ich nicht ohne eine Spur von Nervosität.
»Welche anderen?«, will er verwirrt wissen. Vermutlich hat er nicht mehr damit gerechnet, dass ich das Thema erneut aufgreifen würde.
»Na ja … ich dachte … du klangst so, als hättest du das schon mal gemacht. Also Telefonsex, meine ich. Das sind doch alles Profis, oder? Da muss ich doch wie jemand geklungen haben, der absolut keine Ahnung hat.«
Niklas’ Augen weiten sich überrascht, dann vergräbt er sein Gesicht in den Händen. Anscheinend habe ich ihn mit dieser Frage total überrumpelt.
»Scheiße«, murmelt er, »ich habe das noch nie zuvor gemacht. Musste ich nie.« Dann sieht er mich wieder an. »Ich habe geglaubt, dass ich es mit einem Profi zu tun habe, und mir wirklich Mühe gegeben, nicht wie ein blutiger Anfänger zu klingen. Mir war das Ganze so schon peinlich genug. Hast du dir etwa gemerkt, was ich alles gesagt habe?«
Ich nicke stumm. Natürlich. Jedes Wort. Und vor allem sein Stöhnen geht mir seit dem Abend nicht mehr aus dem Kopf. Keine Ahnung, was Niklas von mir hält, jetzt, da wir uns tatsächlich begegnet sind. Ich für meinen Teil finde nicht nur seine Stimme verdammt sexy. Der ganze Mann ist einfach zum Anbeißen! Für ihn könnte ich doch tatsächlich all meine Prinzipien, was One-Night-Stands betrifft, vergessen. Gerade jetzt spüre ich die Anziehung zwischen uns und das Kribbeln, das sich von meinen Haarspitzen bis zu den Fußsohlen in meinem ganzen Körper ausbreitet. Er macht mich wirklich neugierig. Umso interessanter ist es, wie er mich so schnell gefunden hat. Es überrascht mich, dass er nach dieser Nummer überhaupt bei mir aufgetaucht ist. Wäre mir so ein Missverständnis passiert, ich hätte mich ganz sicher nicht zu erkennen gegeben.
»Umso schlimmer«, seufzt er und kratzt sich verlegen am Kopf. Ihm ist sein Verhalten wirklich peinlich, was ich irgendwie süß finde.
»Es ist ja nichts weiter passiert und wir konnten die Sache klären, also Schwamm drüber«, sage ich zu ihn. »Wie hast du mich eigentlich gefunden? Ich meine … du hattest doch keine Ahnung, wer ich bin.« Mein Bier ist mittlerweile leer, während er seins kaum angerührt hat. Kurzerhand bestelle ich mir ein weiteres bei der Bedienung, die gerade mein leeres Glas einsammelt.
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