1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Nach der Stärkung machen wir uns auf, um die letzte Erhebung zu erobern. Der Turboboost hält aber leider nicht lange und oben angekommen sind wir ziemlich erledigt. Zwar sind wir nun dem dichten Wald entkommen und haben einen großartigen Blick über die Klippen des Exmoor Nationalparks, aber richtig genießen können wir es nicht. Ein deutsches Pärchen überholt uns, doch mehr als Grüßen ist im Moment nicht möglich. Während wir uns langsam weiterschleppen, machen die beiden, die noch verhältnismäßig entspannt aussehen, eine Gipfelrast. Von weitem können wir erstmals unser heutiges Etappenziel sehen und realisieren, dass wir völlig unbemerkt die Grafschaft Somerset hinter uns gelassen haben und nun bereits in North Devon, einem Distrikt der Grafschaft Devon, angekommen sind. Hier werden wir uns etwas mehr als eine Woche aufhalten und wenn das so weitergeht wie heute, dann werden das irrsinnig anstrengende sieben Tage werden.
Trail Magic, kleine Wunder am Weg … … es geht auch einfach.
Der Weg schlängelt sich nun in Serpentinen in Richtung Meeresspiegel und zieht sich unendlich. Ein kleiner Flying Fox vom Gipfel direkt in die Stadt würde diese letzten Kilometer weniger anstrengend machen. Da ich allerdings unter Höhenangst leide, bin ich mir gar nicht sicher, ob ich diese Chance ergreifen würde; vielleicht wäre doch eine Seilbahn die bessere Alternative. Aber da weder das eine noch das andere gerade jetzt verfügbar ist, quälen wir uns Richtung Stadt. Schritte von hinten signalisieren, dass weitere Wanderer im Anmarsch sind. Es ist das deutsche Pärchen, dem offensichtlich auffällt, dass ich am Ende meiner Kräfte bin, und das sich wohl dazu genötigt fühlt, mich zu motivieren und mir gut zuzureden. Ich versuche so etwas wie ein kleines Lächeln hervorzupressen, bezweifle aber, dass ich damit sehr erfolgreich bin. Schließlich laufen wir gemeinsam über eine Fußgängerbrücke in Richtung Strandpromenade. Dort gönne ich meinem geschundenen Körper eine Rast auf der ersten Bank, die wir finden. Peter geht zurück zu einem kleinen Kiosk und kauft Wasser. 40 Pence pro Flasche sind ein Geschenk und es wird auch das günstigste Wasser bleiben, das wir hier trinken werden. Als er zurückkommt, schmeißt er sich neben mich auf die Bank und meint: „Ist dir klar, dass wir diesen Scheiß noch 57 Mal machen müssen? Was haben wir uns bloß gedacht?“ Meine Versuche, das Ganze irgendwie schönzureden, finden keinen fruchtbaren Boden, was wohl daran liegen mag, dass die gleiche Frage schon den ganzen Tag über in meinen eigenen Gedanken herumkreist. Ich wusste schon irgendwie, dass es hart werden würde, aber so hart?
Nun gut, jetzt sind wir aber hier und müssen noch zu unserer Unterkunft, die sich nicht in der kleinen Stadt Lynmouth direkt am Meer befindet, sondern in Lynton, das oberhalb auf einer Felsklippe liegt. Plötzlich ist sie da, die Seilbahn, die ich mir vor einer Stunde noch gewünscht hatte. Sie bringt müde Wanderer unangestrengt nach Lynton. Wir ignorieren die Treppen hinauf gekonnt und entscheiden uns für die weniger aufreibende Alternative. In unter einer Minute überwinden wir 100 Höhenmeter, meine Runtastic App wird sich freuen und gar nicht wissen, was jetzt los ist. Schnell kaufen wir noch Abendessen beim Costcutter und wandern dann die letzten Meter hinauf zu unserem B&B, das wir den ganzen Tag über nicht mehr verlassen werden. Ich bin fix und foxi und bete, dass die nächsten zwei Monate bitte ganz schnell vergehen mögen.
„I’m walking on sunshine!“
Katrina and the Waves
Tag 3
Strecke: Lynton nach Combe Martin
21,4 km – 1.148 hm – 2,19 km/h
am Pfad: 56,5 km
Unterkunft: Poplars, £ 80,– → akzeptabel
immer noch unfassbar heiß
Puh, gibt es einen einzigen Knochen in meinem Körper, den ich nicht spüre? Ich versuche, mich langsam im Bett herumzudrehen, doch vom Nacken bis zu den Unterschenkeln spüre ich Muskeln, von denen ich bis jetzt noch nicht einmal wusste, dass ich sie habe. Aber schließlich habe ich schon zwei Wandertage hinter mir. Wenn man es richtig betrachtet, dann ist das für sich allein genommen ohnehin eine großartige Meisterleistung – immer nur eine Frage der Definition und des Blickwinkels. Aber so recht mag ich mich selbst nicht davon überzeugen können. Daher beschließe ich, heute mal präventiv eine kleine Wunderpille in Form von Naproxen einzunehmen. Ich habe ein ganzes Schmerzmittelarsenal in den Rucksack gepackt und damit man mich beim Zoll nicht als hoffnungslosen Junkie festnimmt, habe ich die Hälfte davon heimlich meinem Mann ins Gepäck geschmuggelt. Wenn sie uns schon hopsnehmen, dann können wir so wenigstens zusammenbleiben.
Mit der Natur auf du und du.
Unabsichtlicher Abstecher ins Hinterland.
Nachdem diese kleinen blauen Pillen ihre großartige Wirkung entfalteten – ich spreche immer noch von Naproxen – geht es mir deutlich besser und ich binde meine Schuhe fast schon mit Vorfreude. Beim nahe gelegenen Costcutter versorgen wir uns mit viel Wasser und ein wenig Schokolade, denn es soll wieder ein heißer Tag werden.
Los geht es in Richtung Valley of Rocks, einem der ganz großen landschaftlichen Sehenswürdigkeiten rund um Lynton. Doch obwohl die Gegend wirklich herrlich ist, begeistert uns etwas ganz anderes wesentlich mehr: die wilden Lynton Steinböcke. Der Weg zu ihnen ist noch dazu asphaltiert und schnürlgerade, somit starten wir heute mit vier herrlich einfachen Kilometern. Mir fällt eines meiner Lieblingslieder der 80er ein und ich beginne lauthals zu singen: „I’m walking on sunshine, I’m walking on sunshine and don’t it feel good?“ Die Steinböcke nehmen trotz meiner Grammy-verdächtigen Performance nur unwesentlich Notiz von uns, aber natürlich sind sie Menschen gewöhnt und lassen sich durch deren oft komischen Anblick nicht aus der Ruhe bringen. Noch ganz überwältigt von diesem Erlebnis wandern wir locker-flockig weiter und vergessen irgendwie, auf die Wegweiser zu achten. Natürlich ist es dann ganz schnell passiert: Wir haben uns verlaufen. Mitten im Wald gibt es drei Wege, die alle in unterschiedliche Richtungen führen, allerdings ist keiner davon beschildert, was vermuten lässt, dass wir hier falsch sind, aber so richtig falsch. Doch Dr. Google mit seiner interaktiven Landkarte weiß Rat und bestätigt unsere Vermutung: Zum Glück sind es nur etwa 300 Meter, die wir zurückmüssen, das hält sich in Grenzen und wir sind immer noch hochmotiviert. Wir laufen vorbei an Lee Abbey, einer ökumenischen christlichen Gemeinschaft, die hier einen Landsitz verwaltet und Platz für christlich motivierte Ferien und Kongresse anbietet. Wie die meisten Gebäude, die wie kleine Schlösser oder Herrensitze aussehen, ist auch dieses denkmalgeschützt. Kurze Zeit später treffen wir in Woody Bay ein, in einer kleinen Bucht am Rande des Exmoor Nationalparks, die aus nicht viel mehr als einem Hotel und zwei, drei weiteren kleinen Ferienunterkünften besteht. Leider sehen wir sehr wenig, denn wir sind mal wieder von dichtem Wald umgeben. Recht bald kommen wir dort an, wo der Reiseführer begeistert von der „dramatischen Schlucht Heddon’s Mouth“ spricht, ich hingegen sehe nur einen dramatischen Abstieg, der von einem dramatischen Aufstieg gefolgt wird. Wir gönnen uns eine kurze Rast und das deutsche Paar von gestern, das so mühevoll versucht hat, mich ein wenig aufzurichten, läuft mit einem kurzen Gruß an uns vorbei.
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