»Die Krieger der Okananda mögen hören, was ihr Häuptling ihnen zu sagen hat! Wir sind gekommen, um das Bleichgesicht Corner dafür zu züchtigen, daß es sich ohne unsere Erlaubnis hier bei uns eingenistet hat. Ich schlich mich voran, um das Haus zu umspähen, und dies wäre mir gelungen, wenn sich nicht die zwei berühmtesten Männer der Prairie und der Berge hier befänden. Old Shatterhand und Winnetou, der Häuptling der Apachen, sind gekommen, um diese Nacht bei diesem Hause zu lagern. Sie hörten und sie sahen uns kommen und öffneten ihre starken Arme, um mich zu empfangen, ohne daß ich dies ahnen konnte; ich wurde ihr Gefangener und von der Faust Old Shatterhands in das Haus gezogen. Von ihm besiegt worden zu sein, ist keine Schande, sondern es ist eine Ehre, mit ihm und Winnetou ein Bündnis zu schließen und das Calumet zu rauchen. Wir haben das getan und dabei beschlossen, daß den Bleichgesichtern, welche dieses Haus bewohnen, das Leben geschenkt sein soll, wenn sie es entweder kaufen oder zu einer Zeit verlassen, welche ich ihnen bestimmen werde. Dies ist zwischen uns fest bestimmt worden, und ich werde das Wort halten, welches ich gegeben habe. Winnetou und Old Shatterhand stehen an den Fenstern und hören, was ich meinen Kriegern jetzt sage. Es ist Friede und Freundschaft zwischen uns und ihnen. Meine Brüder mögen mir folgen, nach unsern Wigwams heimzukehren.«
Er ging und verschwand mit seinen Leuten um die Ecke der Fenz. Wir verließen natürlich alle das Haus, um ihnen nachzusehen und uns zu überzeugen, daß sie sich wirklich entfernten. Sie taten dies, und wir waren sicher, daß es ihnen nicht einfallen würde, zurückzukehren. Darum holten wir unsere Pferde wieder aus dem Hause und legten uns da zu ihnen nieder, wo wir vorher gelegen hatten. Rollins aber, der Händler, war mißtrauisch und ging ihnen nach, sie noch länger zu beobachten. Später freilich stellte es sich heraus, daß er sich aus einem ganz andern Grunde entfernt hatte. Wann er zurückgekehrt war, wußten wir nicht, doch als wir am Morgen aufstanden, war er da. Er saß mit dem Wirte auf einem Baumklotze, welcher als Bank diente, vor der Tür.
Corner bot uns einen guten Morgen, welcher keineswegs freundlich klang. Er war wütend über uns, denn er hegte die Überzeugung, daß es unbedingt vorteilhafter für ihn gewesen wäre, wenn wir die Roten alle weggeputzt hätten, wie er sich ausdrückte. Nun mußte er entweder fort oder bezahlen. Er tat mir übrigens nicht allzu sehr leid; warum hatte er sich in dieses Territorium gewagt. Was würde man in Illinois oder Vermont sagen, wenn ein Sioux-Indianer käme, sich mit seiner Familie in eine Gegend, die ihm gefiele, setzte und nun behauptete, ›das ist mein!‹
Wir machten uns aus seinem Gezanke nichts, bedankten uns für das bei ihm Genossene und ritten fort.
Der Händler begleitete uns natürlich, doch war es fast ebenso, als ob er sich nicht bei uns befunden hätte, denn er hielt sich nicht zu uns, sondern ritt in gewisser Entfernung hinter uns her, ungefähr so wie ein Untergebener, welcher in dieser Weise den Vorgesetzten seinen Respekt zu erzeigen hat. Das hatte an sich gar nichts Auffälliges und war uns sogar lieb, da wir ungestört miteinander sprechen konnten und uns nicht mit ihm zu beschäftigen brauchten.
Erst nach einigen Stunden kam er an unsere Seite, um mit uns über das abzuschließende Geschäft zu sprechen. Er erkundigte sich nach der Art und der Zahl der Fellvorräte, welche Old Firehand zu verkaufen beabsichtigte, und wir gaben ihm diejenige Auskunft, die wir zu geben vermochten. Hierauf fragte er nach der Gegend, wo Old Firehand auf uns wartete, und nach der Art und Weise, wie er seine Felle dort versteckt halte. Wir hätten ihm auch hierauf antworten können, taten dies aber nicht, weil wir ihn noch gar nicht kannten und es überhaupt nicht Gepflogenheit eines Westmannes und Jägers ist, von den Verstecken zu sprechen, an denen er seine Vorräte heimlich aufbewahrt. Ob er uns dies übel nahm oder nicht, das war uns gleich; er hielt sich von nun an wieder zurück, und zwar in noch größerer Entfernung als vorher.
Wir hatten auf dem Rückwege dieselbe Richtung eingeschlagen, aus welcher wir hergekommen waren, und fanden infolgedessen keine Veranlassung, die Gegend, durch welche wir ritten, so zu untersuchen, wie es nötig gewesen wäre, wenn wir sie nicht gekannt hätten. Ausgeschlossen war dabei natürlich aber nicht diejenige Vorsicht, welche der Westmann selbst an Orten anwendet, die er so genau wie seine Tasche kennt. Wir blickten also immer nach Spuren von Menschen oder Tieren aus, und diese immerwährende Aufmerksamkeit war die Ursache, daß uns gegen Mittag eine Fährte auffiel, welche uns andernfalls vielleicht entgangen wäre, weil sichtlich sehr viel Sorgfalt darauf verwendet worden war, sie zu verwischen. Vielleicht hätten wir sie dennoch übersehen, wenn wir nicht an einer Stelle auf sie getroffen wären, wo die Betreffenden eine kurze Rast gemacht hatten und das Gras, welches von ihnen niedergedrückt worden war, sich noch nicht wieder ganz aufgerichtet hatte. Wir hielten natürlich an und stiegen ab, um die Spur zu untersuchen. Während wir dies taten, kam Rollins heran und sprang auch aus dem Sattel, die Eindrücke zu betrachten.
»Ob dies wohl von einem Tiere oder von einem Menschen ist?« fragte er dabei.
Winnetou antwortete nicht; ich aber hielt es für unhöflich, auch zu schweigen, und machte darum die Bemerkung:
»Ihr scheint im Fährtenlesen nicht sehr geübt zu sein. Hier muß einem doch gleich der erste Blick sagen, wer dagewesen ist.«
»Also wohl Menschen?«
»Ja.«
»Das glaube ich nicht, denn da wäre das Gras weit mehr zerstampft.«
»Meint Ihr, daß es hier Leute gibt, welche es sich zum Vergnügen machen, den Boden zu zerstampfen, um dann entdeckt und ausgelöscht zu werden?«
»Nein; aber mit Pferden ist es gar nicht zu umgehen, deutlichere Spuren zu verursachen.«
»Die Personen, welche hier gewesen sind, haben eben keine Pferde gehabt.«
»Keine Pferde? Das wäre auffällig, vielleicht sogar verdächtig. Ich denke, in dieser Gegend kann kein Mensch, der nicht beritten ist, existieren.«
»Ist auch meine Meinung; aber habt Ihr noch nicht erlebt oder gehört, daß jemand auf irgend eine Weise um sein Pferd gekommen ist?«
»Das wohl. Aber Ihr redet nicht von einem, sondern von mehreren Menschen. Einer kann sein Pferd verlieren, ob aber mehrere – – – ?!«
Er tat so altklug, obgleich er nicht viel zu verstehen schien; ich hätte ihm nicht wieder geantwortet, selbst wenn ich nicht jetzt von Winnetou gefragt worden wäre:
»Weiß mein Bruder Old Shatterhand, woran er mit dieser Fährte ist?«
»Ja.«
»Drei Bleichgesichter ohne Pferde; sie haben nicht Gewehre, sondern Stöcke in den Händen getragen. Sie sind von hier aus fortgegangen, indem einer in die Stapfen des andern trat und der hinterste die Eindrücke zu verwischen suchte; sie scheinen also anzunehmen, daß sie verfolgt werden.«
»Das kommt auch mir so vor. Ob sie vielleicht gar keine Waffen haben?«
»Wenigstens Flinten haben diese drei Weißen nicht. Da sie ausgeruht haben, müßten wir die Spuren ihrer Gewehre sehen.«
»Hm! Sonderbar! Drei unbewaffnete Bleichgesichter in dieser gefährlichen Gegend! Man kann sich das nur damit erklären, daß sie Unglück gehabt haben, vielleicht gar überfallen und beraubt worden sind.«
»Mein weißer Bruder hat ganz meine Meinung. Diese Männer haben sich auf Stöcke gestützt, welche sie abgebrochen haben; man sieht die Löcher deutlich im Boden. Sie bedürfen wohl der Hilfe.«
»Wünscht Winnetou, daß wir sie ihnen gewähren?«
»Der Häuptling der Apachen hilft gern jedem, der seiner bedarf, und fragt nicht, ob es ein Weißer oder ein Roter ist. Doch mag Old Shatterhand bestimmen, was wir tun. Ich möchte helfen, aber ich habe kein Vertrauen.«
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