Der oben erwähnte Fall der Entführung der Dakota (Bez. OK-WAA) durch Kaucký (begleitet von Copilot Josef Řechka) am 30. September 1950 war beispielhaft für eine Flucht, die nicht per Zivilflugzeug, sondern durch ein Militärflugzeug bei einem Trainings- bzw. Versuchsflug organisiert wurde. Das Flugzeug hätte nur in der Umgebung von Prag bzw. Ruzyně kreisen sollen. Es war in ständiger Verbindung mit dem Tower. Es flog Richtung Kralupy nad Vltavou (Kralup an der Moldau), Český Brod (Böhmisch Brod) und Stará Boleslav (Brandeis an der Elbe-Altbunzlau), dann beantragte es beim Tower eine Landung in Prag-Ruzyně. Doch das Flugzeug verstummte danach. Kaucký landete auf einem ehemaligen Flughafen bei der Gemeinde Houštánky pri Mělníku, wo weitere Passagiere ins Flugzeug einstiegen: sein Sohn, zwei Piloten der ČSA, Josef Řechka mit seiner Frau und Eduard Prchal mit seiner Frau Dolores und ihrer fünfjährigen Tochter. Obwohl die Kommandantur der Flugwache in Prag-Ruzyně Flugpatrouillen in Plzeň (Pilsen), České Budějovice (Böhmisch Budweis), Karlovy Vary (Karlsbad) und Brünn das Verschwinden des Flugzeugs meldete, zwang die Luftabwehr einen kleinen Viersitzer des Typs Praga Baby versehentlich zur Landung. 43Die Dakota DC-3 mit Kaucký an Bord landete schließlich auf der bei den ‚Westlern‘ beliebten Militärbasis in Manston.
Die erste Entführung einer Dakota im Jahr 1953, die sog. Dakota von Miroslav Slovák, vom 23. März behandeln wir in einem separaten Kapitel (siehe Kapitel 7). An dieser Stelle erwähnen wir nur, dass diese Flucht nach Frankfurt sich im Vergleich zu den anderen dadurch unterscheidet, dass an ihr jugoslawische, in der ČSR wohnende Staatsangehörigen teilnahmen, die folglich durch die ŠtB und die kommunistische Propaganda im Rahmen des politischen Prozesses als imperialistische Agenten von Josip Broz Tito verurteilt wurden.
Schon zehn Tage vor dem Abflug der Dakota von Slovák kam es zu einer Flucht über die Landesgrenze. Vom Flughafen Piešťany stieg in den frühen Morgenstunden das deutsche Jagdflugzeug Arado mit drei Mann Besatzung – Vladimír Krman, Gustáv Molnár und Jozef Fleischhacker – auf, flog über Bratislava und das Gebiet der sowjetischen Besatzungszone bis zur britischen Zone und landete in Graz. Der Initiator dieser Flucht, die unter dem Namen Operation Domino bekannt wurde, war der Trainingspilot Vladimír Krman. Seine Motive für die Flucht waren der ständige Druck seitens politischer Mitarbeiter, Beschuldigungen über seine „politische Passivität“ sowie die reale Bedrohung des Verlustes der Arbeitsstelle und einer Gefängnisstrafe. 44Es ist interessant, dass diese Flucht in keinem der Archivdokumente der tschechoslowakischen Luftwaffe festgehalten ist.
Obwohl es auch nach 1953 immer wieder zu Entführungen von Verkehrs- und Kleinflugzeugen kam, wurden Fluchten tschechoslowakischer Bürger per Flugzeug nicht mehr durch die ‚Westler‘ der RAF organisiert. Dies machte den wesentlichen Unterschied zu den Jahren 1948–1953 aus. Denn in dieser „neuen“ Zeit befanden sich die ‚Westler‘ entweder bereits im Ausland oder im Gefängnis oder es wurde ihnen das Fliegen auch auf innerstaatlichen Fluglinien verboten. Aus dem tschechoslowakischen Flugverkehr wurden alle, die als Feinde des Kommunismus galten, entfernt.
Aus der zweiten Hälfte der 1950er Jahre sind drei Fälle einer erfolgreichen Entführung von Kleinflugzeugen und ein Fall einer misslungenen Entführung einer Dakota bekannt.
Bei der ersten Entführung vom 13. April 1955 bemächtigten sich zwei Studenten, Zdeněk Machilner 45und Karel Kučera, am Flughafen im tschechischen Kolín (Kolin) eines Kleinflugzeugs. Sie landeten in Deutschland nahe der Gemeinde Rohrberg. Am 23. September 1956 feierten Vladimír Vrzal und Ludvík Ševela aus der Gemeinde Vyškov (Wischau) bei Brünn einen ähnlichen Erfolg, sie landeten in Passau. Zwei Jahre später, am 10. Juli 1958, landeten zwei Studenten der Flugschule in Hradec Králové (Königgrätz), Pavel Škreta und Miroslav Pešákin, auf einem Feld in Straubing. 46
Die Ära der Entführungen von Dakotas endete am 23. Oktober 1956 mit einem Misserfolg. Der Flug der ČSA (Bez. OK-WDE) von Prag nach Bratislava, der regelmäßig nachmittags verkehrte, verlief problemlos bis zur slowakischen Gemeinde Veľké Leváre, als der Fluggast Jan Rejmon in das Cockpit eindringen wollte. Zusammen mit Libuša Albrechtová versuchte er, den Piloten Jiří Bílek (zweiter Pilot Oldřich Majdloch, Funker Stanislav Baudiš, Bordmechaniker Ladislav Kopeček) mit Waffengewalt zur Änderung des Kurses nach Österreich zu zwingen. Schließlich gelang es der Besatzung, in Bratislava zu landen, wo die Flughafensicherheitskräfte die beiden Entführer entwaffneten. Während der Ermittlung stellte man fest, dass Albrechtová die Waffe in einem Brotlaib ins Flugzeug geschmuggelt hatte. 47
Ein anderes Kapitel der tschechoslowakischen Luftfahrt stellen Flugzeugentführungen in den 1960er Jahren dar. Die ursprüngliche Fluchtmotivation änderte sich so, dass die Hauptursache für Fluchten nicht mehr Angst vor dem kommunistischen Regime war, sondern das Streben der Menschen nach einem besseren Leben im Westen. Das Flugzeug wurde nun zum Mittel, um dies zu erreichen. Gewiss darf diese Betrachtung nicht pauschalisiert werden. Eines ist aber einer Überlegung wert: In der Regel flohen jüngere Leute ohne feste Bindungen und Familien, die bereit waren, das Risiko einzugehen, mehrere Jahre ihres Lebens mit der Unsicherheit eines Neuanfangs im Westen zu verbringen.
Am 27. Januar 1961 unternahmen drei Jugendliche den Versuch, ein Flugzeug der ČSA auf der Fluglinie Prag–Bratislava zu entführen. Bereits das Alter der Jugendlichen zeigt, dass ihre Tat wohl nicht die Folge von Abwägungen der positiven und negativen Seiten des politischen Systems gewesen sein kann: Václav Posedil und Michal Procháska waren 15 Jahre alt, Martin Procháska 13. Der Kampf der Besatzung des Flugzeugs Il – 14 (Bez. OK-MCV), namentlich des Kapitäns Alois Kubovič, des Copilots Stanislav Habart und des Funkers Václav Urba, mit den bewaffneten Minderjährigen nahm glücklicherweise kein tragisches Ende. Die von den USA begeisterten Jugendlichen suchten einen Weg in dieses Land, den ihnen das kommunistische Regime verwehrte. Auch schlechte Studienergebnisse der jungen Entführer spielten eine Rolle bei der Entscheidung zur Flucht. Das Gerichtsverfahren war eine manipulierte propagandistische Farce und auf die Minderjährigen wartete ein hartes Urteil: Michal Procháska und Václav Posedil wurden zu einer Freiheitsstrafe von zehn und neun Jahren verurteilt. Da Martin Procháska noch nicht strafmündig war, trat er nur als Zeuge auf. Nach einer Amnestie wanderte Michal Procháska nach Australien aus. 48
Eine weitere Iljušin (IL-14) wurde am 8. Juni 1970 zum Fluchtmittel in den Westen. Das Verkehrsflugzeug der ČSA auf dem Flug von Karlsbad nach Prag landete in Nürnberg. Die acht Entführer waren im Alter zwischen 18 und 25 Jahren. Zwei Monate später, am 8. August 1970, landete eine weitere Iljušin in Wien.
Am 19. Dezember 1972 floh Ladislav Bezák, ehemaliger Weltmeister im akrobatischen Fliegen, über die Landesgrenze. Bezák war ein Pilot der ČSA, aber als Unterstützer von Dubčeks Prager Frühlings durfte er nicht ins Ausland fliegen. Mit seiner Frau und vier Kindern hob er mit einem Kleinflugzeug vom Flughafen in Kladno ab und landete nach einem dramatischen Flug, bei dem sie durch eine Flugpatrouille des Typs Mig-15 verfolgt wurden, auf einem Zivilflughafen bei Nürnberg.
Am 28. Oktober 1976 nutzte Rudolf Bečvář ebenfalls ein Flugzeug, um in den Westen zu fliehen. Dabei handelte es sich um ein Flugzeug der ČSA auf der Strecke von Prag nach Bratislava. Rudolf Bečvář drohte der Besatzung der Iljušin (IL-18) mit 104 Fluggästen an Bord mit einer Schusswaffe und zwang sie, den Kurs zu ändern und in München zu landen. Die sonstigen Passagiere landeten am nächsten Tag in Prag-Ruzyně. Das tschechische Tageblatt Rudé Právo präsentierte Bečvář als einen Verbrecher, der des Mordes an seinem Bruders verdächtig war.
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