Auch die Beschäftigung mit dem Tod war ein unvermeidlicher Bestandteil dieses Buches. Aber wie sagte der griechische Philosoph Epikur?
Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr .
Jeder möge das interpretieren wie er will, doch eines ist sicher: Wir können ihm nicht entrinnen. Entrinnen können wir aber der Ruhestands-Falle: uns nur noch zurückzulehnen und zu warten. Nicht zu leben, sondern nur noch da zu sein und auf den Tod zu warten.
Das kann ich über mich nicht sagen, ich habe schon bis jetzt intensiv gelebt und fast keinen Fehler ausgelassen. Und ich freue mich bereits heute auf alle weiteren Fehler! Wenn ich gehen muss – so soll’s sein. Danke Herrgott, danke für alles, es war toll! Und wenn ich gegangen bin, hoffe ich, dass viele sagen: „Schön, dass er da war“ (übrigens eine nette Grabinschrift). Und wenn nicht, dann habe ich zu vieles falsch gemacht. Lustig soll die Musik sein, freudig das Fest. Und wenn dann ein Schmetterling über unsere Gesellschaft fliegt, ja, dann bin ich das. Denn ich halte es wie Laotse, der einst sagte:
Was für die Raupe das Ende ihres Daseins, ist für den Rest der Welt ein Schmetterling .
William Shakespeare hatte für sein Stück „Wie es Euch gefällt“ sieben Akte gewählt, das gefällt mir. Angelehnt an den großen Meister unterteile auch ich die Notwendigkeiten eines positiven Zugangs zum Alter in deren sieben:
leben, lernen, laufen, lachen, lieben, lösen und lehren
Natürlich ist die Gewichtung der Kapitel unterschiedlich, alle jedoch scheinen mir wichtig und alle passieren zeitgleich. Jedes einzelne halte ich für nötig, um möglichst gesund und fröhlich älter zu werden. Sie sind Information und – wie der Titel meines Buches – ermunternde Aufforderung zugleich.
Und bevor ich Sie in meine Welt der „heiteren sieben ‚l‘“ führen darf, erlauben Sie mir noch diesen Hinweis: Ich liebe weibliche Wesen, sie sind, meiner Überzeugung nach, den männlichen ebenbürtig. Dennoch finde ich es überzogen und der Emanzipation nicht dienlich, wenn in Texten jedes maskuline Wort auch weiblich ausgedrückt werden muss. Ich verwende daher aus Gründen der besseren Lesbarkeit die jeweils geläufige Form von Substantiven und bitte bei allen Damen um Nachsicht. Sollte ich damit Ihre Gefühle verletzen, so werde ich mich gerne bei einem Glas Prosecco entschuldigen – und sofern diese Einladung als zu forsch aufgefasst wird, dürfen Sie dann gerne selber zahlen.
leben
Ach, wie ist das Leben schön!
Die Kinder sind prächtig geraten und beide aus dem Haus; die Enkelin, die süße kleine „Terroristin“, dürfen wir des Öfteren um uns haben, aber müssen selten. Zuhause ist es warm und wir wissen, wo wir morgen unser Essen herbekommen. All das als Besonderheit, als Privileg der geografischen Lage sowie unserer Zeit, welche bloß ein kleines Fenster der Geschichte gewesen sein wird. Kein Krieg seit mehr als 70 Jahren, so etwas hat es hier seit Jahrhunderten nicht gegeben. Aufgewachsen in einer heilen Umgebung, sauber, sicher, bequem, Wohlstandskinder eben. Aber immer wieder mit traurigen Ereignissen konfrontiert, mit Flüchtlingsdramen zum Beispiel, die uns in Mitteleuropa jedoch in Wahrheit nur sehr am Rande treffen. Seien wir ehrlich, was bedeuten eine oder zwei Millionen Menschen mehr unter uns 500 in der EU?
Die einzige wirkliche Bedrohung derzeit ist ein Virus. Covid-19, im Volksmund: Corona. Bedingt durch unser Leben, das uns in kürzester Zeit an jeden Ort der Welt bringt, und durch Lieferketten der Globalisierung, die Produkte oder Teilprodukte aus aller Herren Länder zusammenfügt, ist es überall zu finden. Und trotz riesiger Anstrengungen und Restriktionen wird das wohl auch noch ein bisschen länger so bleiben. Zumindest bis die meisten von uns dagegen geimpft sind.
Damit gehen aber auch Massenentlassungen einher, weniger Arbeit verteilt auf immer weniger Menschen. Eine rasant fortschreitende Digitalisierung, die alte Arbeitsstrukturen dramatisch ändern wird. Und eine vermutlich nicht zu vermeidende Konfrontation Alte gegen Junge. Die nicht (in Quarantäne) eingesperrt sein wollen, die meinen, dass die Älteren, die ihre Zukunft ohnedies schon hinter sich haben, ihnen ihre Arbeitsplätze streitig machen.
Wie dieses Match ausgehen wird, steht in den Sternen. Was wir aber schon heute wissen, ist: Wir werden langsam aussterben, wir re-produzieren uns nämlich zu wenig. Woher das kommt? Vielleicht daher, dass gemäß einer Berliner Altersstudie von Karolina Kolodziejczak und Denis Gerstorf rund ein Drittel der Senioren mehr Sex hat als die 20–30-Jährigen. Das hilft halt in Blickrichtung auf mehr Kinder wenig. Denn unsere Reproduktions-Verweigerung hat andere Gründe, wie zum Beispiel Angst vor Arbeitslosigkeit, große Karriere-Wünsche, traurige Aussichten für alleinerziehende Mütter, Religion, schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Es gibt also relativ und absolut immer mehr „Alte“. Doch was ist alt?
Die Wissenschaft unterscheidet „junge Alte“ und „alte Alte“ oder spricht vom „dritten“ und „vierten Lebensalter“. Beide meinen so ziemlich dasselbe, nämlich den Zeitraum von ca. 60–80 Jahren und darüber hinaus. Früher war das für uns Jüngere ganz klar: die einen waren die „Oldies“, die anderen die „Kompostis“. Erinnern Sie sich noch an Ihr letztes Klassentreffen? Mir kommt da immer vor: lauter alte Leute. Einer schien mir letztens sogar seinen Vater zum Maturatreffen gesandt zu haben … Wir fühlen uns offensichtlich immer deutlich jünger, als wir tatsächlich sind. Was bedeutet „Alter“ denn wirklich, was gezählte Jahre? Warum vergeht für die einen die Zeit soo langsam, für andere wiederum soo schnell? Ein paar Beiträge von Menschen unterschiedlichen Alters können uns möglicherweise Antwort geben.
Nehmen wir einmal meine Enkelin: süß, blond, schlimm, manchmal sehr schlimm, aber immer überaus süß. Fast fünf Jahre alt. Sie freut sich wie eine Schneekönigin auf ihren fünften Geburtstag. „Sophie, was bedeutet denn dein fünfter Geburtstag?“, frage ich und versuche arglos zu erscheinen, denn sonst wäre der Roller oder das Puppenhaus viel wichtiger als dieses „ernste“ Gespräch. Spontan sagt sie: „Dann kriege ich braune Haare!“ „Aha, und warum?“ „Meine Mami hat braune Haare, genauso wie der Papi und ich habe jetzt noch blonde.“ „Okay, noch was?“ „Dann kriege ich auch dicke Arme!“ „Wofür?“ „Dann kann ich endlich Mamis Uhr tragen“, was bedeutet, dass sie dann ebenso auf ihr Handgelenk passen wird. „Und noch etwas?“ „Ja, dann kriege ich Schulzähne!“ „Was bitte sind Schulzähne?“ „Das weißt du nicht, dummer Opapa? Das sind die Zähne, die dann kommen, wenn ich endlich in die Schule gehen darf!“ Sophie ist also in dem Alter, in dem alles unendlich weit weg ist und kaum zu erwarten.
Ähnlich sah es auch Marianne, als sie selbst noch Schülerin war: Maturanten waren für sie „die Götter in Weiß, denn diese haben es geschafft, sind erwachsen und dürfen nun alles“. Ihre Eltern schienen ihr damals „ur-alt“. Jetzt mit 30+ sieht für sie alles ganz anders aus: Heute sind ihre Altvorderen „richtig jung“, die 18-Jährigen hingegen „Gemüse“.
Und wie fühlt man sich als 50-Jähriger, eventuell sogar mit einem Kleinkind? Florian weiß es: „Ich bin 50 Jahre alt.“ „Na und? – Das sind viele.“ „Ich bin 50 und Unternehmer.“ „Ok, deren gibt es ebenfalls viele.“ „Ich bin 50, Unternehmer und seit Kurzem Vater.“ „Gewonnen, das sind nicht viele. Wie fühlt es sich an, in dem Alter Jungpapa zu sein?“ „Anders, ganz anders. Ich habe schon eine erwachsene Tochter, und nun ein weiteres Kind, das ihre Tochter sein könnte. Plötzlich sehe ich mein Elterndasein ganz anders als damals. Heute habe ich, nein, nehme ich mir die Zeit. Will der Kleinen beim Wachsen zusehen – weil ich jetzt weiß, was ich damals versäumt habe.“ „Hast Du Zukunftsängste?“ „Ängste, nein, nicht wirklich. Aber ganz andere Überlegungen. Als ich zum ersten Mal Vater wurde, war mir die Zukunft eher egal. Der Moment hat gezählt, der Rest würde sich ergeben. Heute? Da denke ich an Verantwortung, habe zum ersten Mal in meinem Leben Gedanken wie: Kann ich lange genug verdienen, damit wir unserer Kleinen eine ordentliche Erziehung und Ausbildung finanzieren können? Wie alt bin ich, wenn die Kleine Abitur macht? Darf ich weiterhin rasante Hobbys ausüben – wenn mir da etwas zustößt? Meine Zeit wird knapp. Ich muss plötzlich vorsorgen, sorgfältig planen und unvermutet spielt mein Alter eine Rolle.“
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