„Es wird wohl Abend werden, bis alle Tiere gefangen sind. Manches Rind ist sicher eine Meile weggelaufen.“
Wanner blickte Stone an und schüttelte den Kopf. „Dann fahren wir eben am Abend noch ein Stück. Hier bei den Toten finden wir doch keine Ruhe. Noch eine Stunde, dann ist der Himmel schwarz von Geiern!“
„Das stimmt“, gab Stone zu bedenken.
Ted zuckte die Schultern. „Ihr müsst wissen, was ihr wollt. Jedenfalls ist es nachts gefährlich, zu fahren.“
„Was wissen denn Sie?“, schimpfte Wanner. „Sie kennen sich doch hier nicht besser aus als wir! Sie können sich doch nicht mal mit den Indianern verständigen!“
„Genug!“, sagte Stone schroff. „Er kennt das Land besser als wir, das ist sicher. Und, dass es nachts gefährlicher ist zu fahren als am Tag, das lässt sich an den Fingern abzählen. — Trotzdem, Catto, sobald wir die Tiere gefangen haben, fahren wir noch mindestens zwei Meilen weiter. Hier bleiben wir nicht. Hierher kommen sicher auch die Indianer zurück.“
„Bei dem Trott, den die Ochsen vorlegen, können uns die Indianer nachts verfolgen, ohne dass wir es merken“, sagte Ted. „Na ja, ihr müsst ja selbst wissen, was ihr wollt.“
„Und ob wir das wissen!“, schimpfte Wanner und warf die Flinten auf den Boden. „Olga, Petra, schafft das Zeug mal in unseren Wagen. — Und ihr anderen macht euch fertig. Wir fangen zuerst die Pferde ein!“
Petra kam von Wanners Wagen herüber, hob die Flinten auf und trug sie weg.
Noch immer fuhren Wagen im Kreis zusammen.
Wanner zog den Patterson-Revolver hinter dem Hosenbund hervor und feuerte in die Luft. Pulverrauch zerstob über den Köpfen der Männer. Die Pferde scheuten und Stones Schäferhunde begannen zu kläffen.
„Wir fahren weiter, wenn wir unser Vieh gesammelt haben!“, schrie Wanner.
Es war längst dunkel, als die Wagen zusammenfuhren, die Ochsen ausgeschirrt wurden und das übrige Vieh in die Wagenburg hineingetrieben wurde.
Ted Catto war zurückgeblieben. Er spähte nach Osten. Aber die Indianer, deren Angriff er fürchtete, ließen sich nicht sehen.
Das Schnauben eines Pferdes ließ ihn zusammenfahren und über die Schulter blicken. Undeutlich erkannte er einen Schatten in der Dunkelheit vor den Wagen, zwischen denen Lichtschein aufflackerte.
„Wer ist da?“, rief Ted, während er das Gewehr mit einer schlenkernden Handbewegung repetierte.
„Ich, Stone!“
Ted ließ das Gewehr sinken.
Der Reiter kam näher. „Glauben Sie, die können auch von den Wagen kommen?“, fragte der Aussiedler.
„Indianer können nachts von überall kommen“, gab Ted zurück. „Aber sie machen in der Regel keine Geräusche.“ Stones Hunde tauchten aus dem Dunkel auf und strichen um die Pferde, um sich dann ins Gras zu legen und ihre Pfoten zu lecken.
„Die Indianer sehen wir nicht mehr“, sagte Stone. „Denen hat gereicht, was sie bekommen haben.“
„Es waren ja auch nicht viele“, sagte Ted.
„Haben Sie schon mal mehr auf einem Haufen gesehen?“
„Ja. In Texas haben sie mal eine Stadt angegriffen, in der ich gerade war. Da war ein Hügel schwarz von Comanchen.“
„Na ja.“ Stone nahm den Schlapphut ab und strich sich über die schweißnasse Stirn. Dann stülpte er den Hut wieder auf — „Wie lange werden wir bis Fort Laramie noch brauchen?“
„Nach unseren Karten legen wir ungefähr zehn Meilen am Tag zurück. Und gut vierhundert sind es vom Missouri.“
„Dann haben wir noch dreihundert vor uns“, murmelte der stämmige Aussiedler, „Dreißig Tage, wenn wir keine Pause machen und nicht aus der Richtung kommen.“
„Aus der Richtung kommen wir schon nicht.“ Ted blickte auf die beiden Hunde und er fragte sich, ob die es merken würden, wenn sich Indianer anschlichen.
Zwischen den Wagen wurde jetzt ein großes Feuer entzündet.
„Haben Sie Posten ausgestellt?“, fragte Ted.
„Natürlich.“
„Und was gibt es noch zu essen?“
„Das Rind, das die Bande erschossen hat.“
„Darüber wird es ja morgen.“
Stone strich sich über das Gesicht. „Die Männer und Frauen wollten es so. Und sie haben schon so halb und halb beschlossen, einen Ruhetag einzulegen.“ Ted grinste den Mann an. „Dann brauchen wir ja jetzt schon einunddreißig Tage!“
„Ja, ich weiß. — Halten Sie es für möglich, dass wir auch an eine große Indianerbande geraten?“
„Möglich ist alles.“
„Es sind aber doch sicher schon zahllose Trecks über die Prärie gezogen und nicht angegriffen worden. — Sutter soll mit sechzig Ochsen eine Dampfmaschine über die Prärie und die Berge nach Kalifornien geschafft haben.“
„Das ist schon Legende“, sagte Ted spöttisch. „Damals wussten die Indianer noch nichts von der Eisenbahn, auf die sie heute so verrückt wie auf den Teufel selbst sind, Mister Stone.“
„Was haben wir damit zu tun?“
„Wir sind der Eisenbahn sehr nahe“, entgegnete Ted, während er nach Osten spähte. „Ich hab Ihnen doch gesagt, dass wir viel sicherer sind, wenn wir zwanzig Meilen weiter im Norden fahren.“
„Das nehmen Sie doch nur an“, knurrte der Aussiedler. „Im Übrigen entfernt sich die Trasse der Bahn mit dem Tal des Platte River immer weiter nach Süden, je näher wir Fort Laramie kommen. Wir sind von der Bahnlinie schon mindestens dreißig Meilen entfernt!“
„Jaja, das ist richtig“, gab Ted zu.
Nach einer Weile schob sich am Horizont die Mondscheibe in die Höhe und überstrahlte das weite Prärieland mit ihrem kalten Silberlicht.
Die beiden Hunde waren aufgestanden und kläfften den Mond an, aber Stone brachte sie wieder zur Ruhe.
Auf einmal kam von Norden ein dumpfes Poltern; erst ganz leise und kaum hörbar, dann immer deutlicher.
„Was ist das?“, zischte der Farmer und spannte den Hammer seines Gewehres.
Ein Reiter sprengte von Norden heran und schrie: „Indianer! Sie kommen wieder!“
Irgendwo wurde in die Luft geschossen.
Ted schaute zurück und sah hastende Schatten zwischen den Wagen. Er lauschte, schüttelte den Kopf und sagte: „Das sind keine Indianer. Das ist nur ein einzelnes Tier!“
Das dumpfe Poltern wurde von einem Brüllen übertönt. Dann war ein vielstimmiges Kläffen zu hören.
Die Hunde sprangen auf und schlugen an.
„Wölfe“, sagte Ted und blickte den Reiter an, der von der nördlichen Seite der Wagenburg gekommen war. „Schnell, reiten Sie zu den Männern! — Sagen Sie, es sind Wölfe, die eine Büffelkuh verfolgen, weiter nichts!“
Unsicher blickte der Mann auf Stone.
„Nun reiten Sie schon!“, herrschte Ted den Mann an.
„Jaja, bin ja schon unterwegs!“ Der Mann zog sein Pferd herum und sprengte den Wagen entgegen. „Nicht schießen, ich bin’s, Hooker!“, schrie er.
Ted blickte nach Norden. Das Poltern war so nahe gekommen, dass er kaum begriff, wieso er noch nichts sah.
„Hoffentlich täuschen Sie sich nicht“, knurrte Stone.
Das Kläffen der Steppenwölfe war schon nicht mehr zu überhören.
Dann tauchte die gewaltige Büffelkuh auf, kam hinter hohem Gras hervor und jagte über kargen Sandboden, beleuchtet vom silbernen Licht des Mondes. Weit war die Büffelkuh noch nicht gekommen, da schoss auch das Wolfsrudel aus dem Büffelgras und folgte der Kuh.
„Still!“, schimpfte Stone.
Die Büffelkuh verschwand im wogenden Gras, tauchte erneut auf und verschwand abermals, dass es schon fast wie ein Spuk wirkte. Das Wolfsrudel schien dem gehetzten und sicher kranken Tier immer näher zu kommen, aber bevor die Steppenwölfe über die Kuh herfallen konnten, verschwand das Tier vollends aus dem Blickwinkel der beiden Männer.
Knurrend beruhigten sich die Hunde.
Aus der Ferne kam das Donnern der Hufe und das Kläffen der Wölfe, sank zu einem Flüstern herab und verklang allmählich.
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