Parallel zum Angriff vom Meer aus sollten libysche Streitkräfte unter der Führung von König Meryey von Westen her in das Delta eindringen. Und im Osten würden atlantische Transporter Streitkräfte der Philister (auch als Pelischti oder Peleset bekannt) an Land setzen, Verbündete der Seevölker, die die Landesteile südlich der hethitischen Landesgrenze (im heutigen Syrien) erobern sollten. Diese Truppen würden dann, vermutlich mit dem inoffiziellen Segen der Hethiter, zum Nildelta marschieren, das bereits von Norden und Westen angegriffen wurde.
Im beginnenden Frühjahr des Jahres 1227 vor Christus, in der Nacht bevor all diese ausgeklügelten Prozesse in Gang gesetzt wurden, befand sich das geplante Opfer in tiefem, wenn auch unruhigem Schlaf. Merenptah hatte einen lebhaften Traum. Der Gott, nach dem er benannt war, erschien ihm in riesiger Gestalt. Ptah, der göttliche Schöpfer, reichte dem Pharao wortlos ein Schwert, als wollte er sagen: »Verteidige meine Zivilisation!« Merenptah schreckte auf und erwachte zu vollem Bewusstsein. Er ergriff den bereitliegenden Klöppel, schlug auf den Kupfergong neben seinem Bett, und die Kammer des Königs füllte sich sofort mit bewaffneten Wachen. Es war kein Priester nötig, um seinen Traum zu interpretieren. Er versammelte alle Befehlshaber und befahl, die Verteidigungslinien des Deltas in volle Bereitschaft zu versetzen.
Während sie ihre Vorbereitungen trafen, füllte dreihundert Kilometer entfernt eine frische Morgenbrise die Segel der Atlanter. Die Armada führte ihre zweitausend Schiffe von den Hauptquartieren in der Ägäis, Zypern und Rhodos, heran. Ihre Seestreitmacht war die größte und am besten ausgestattete der damaligen Welt. Bildnisse der Kriegsschiffe und Seeleute sind noch an den Wänden des Tempels in Medinet Habu im oberen Niltal zu sehen (siehe Abb. 2.1). Es handelte sich nicht um die relativ kleinen, an der Küste stationierten Schiffe der Ägypter, sondern, mit den Worten von Lionel Casson, um »wirkliche Hochseeschiffe«, die zu längeren Fahrten auf dem offenen Meer geeignet waren. Sie waren in der Tat die Flotte eines Seevolkes und wiesen für die damalige Zeit enorme nautische Fortschritte auf, wie Taue oder dicke Seile zur Kontrolle der Segel, die dem Wind ausgesetzt waren, und stark verspannte Rümpfe, die den Stößen großer Wellen widerstehen konnten.

Abb 2.1. Das Profil eines atlantischen Marinesoldaten, wie er auf den Tempelmauern von Medinet Habu in Oberägypten abgebildet ist.
Diese Kriegsschiffe waren nicht nur viel größer als alles, was die Ägypter kommandierten, sondern sahen auch ganz anders aus. Sowohl Bug als auch Heck erhoben sich steil und formten langschnäblige Greifvögel als Galionsfiguren. Dieses Schiffsdesign erscheint auf einem Bügelkrug aus dem Jahr 1180 vor Christus, der auf Skyros gefunden wurde, einer der Zufluchtsinseln der Atlanter in der Ägäis nach dem Fall von Troja. Das vogelköpfige Seemotiv findet sich auch überall in der Villanova-Kultur der Etrusker, besonders in der alten Stadt Tarchna. Beispiele aus dem Monterozzi-Grab zeigen, dass Modelle dieser besonderen Schiffe zusammen mit etruskischen Kriegern von höherem Rang begraben wurden, worauf auch ein prächtiger Helm und goldene Armbänder hinweisen, die bei der Ausgrabung gefunden wurden.
Wie Poseidons Dreizack traf die Invasion das Nildelta gleichzeitig aus drei Richtungen – aus dem Norden, Westen und Osten. Als die Morgendämmerung über dem Meer anbrach, erblickten ägyptische Wachtposten, die vor dem Delta postiert waren, ein furchteinflößendes Spektakel: Der nördliche Horizont wurde von einer Armada mit geblähten Segeln verdunkelt. Zu dem angsteinflößenden Anblick trugen auch die Schnitzereien monströser Vogelköpfe und anderer grotesker Tierfiguren an den Vordersteven der großen Schlachtschiffe bei. Die zahlenmäßig unterlegenen ägyptischen Schiffe versuchten in verzweifeltem Abwehrkampf gegen sie zu manövrieren. Ihre Verluste waren enorm, und das »Große Grün«, ihr Name für das Mittelmeer, mischte sich mit dem Blut der Verteidiger. Rücksichtslos durch die treibenden Trümmer zerbrochener Schiffe krachend, setzte die mächtige atlantische Flotte den Bug ihrer siegreichen Schiffe auf die heiligen Küsten Ägyptens, um Zehntausende von Seekriegern auszuspucken.
Zur selben Zeit stürmten libysche Truppen mit dreißigtausend Mann gegen Ägyptens Westgrenze und drängten die Verteidiger hinter die Grenzlinie zurück. König Meryey hatte Mitglieder der königlichen Familie und sogar allerlei persönlichen Luxus mitgebracht, voller Zuversicht, dass er bald seinen Thronsitz in Memphis errichten würde. Die gleichzeitige Landung der Atlanter im Osten verlief ungehindert und erlaubte den verbündeten Philistern eine erfolgreiche Besetzung Syriens. Sie brachten die ägyptischen Garnisonen auf, während die Hethiter, wie erwartet, nervös, aber unbeteiligt zuschauten. Vom schnellen, leichten Sieg begeistert, marschierten die Philister mit höchster Geschwindigkeit in Richtung Nildelta. Zusätzliche Hilfe kam aus dem Süden, wo die Nubier die Ereignisse am unteren Nil ausnutzten und unerwartet einen Aufstand gegen die ägyptischen Statthalter begannen. Pharao Merenptah wurde nun von allen vier Seiten aus angegriffen.
Die Selbstaufopferung seiner Marine war jedoch nicht umsonst gewesen. Ihr selbstmörderischer Widerstand hielt die Invasion gerade so lange auf, dass Merenptahs Streitkräfte die Hafenstadt Prosopis verstärken konnten. In Unkenntnis deren strategischer Lage waren die Seevölker in Schussweite der dort stationierten Einheiten von Bogenschützen gelandet. Die Invasoren wurden nun durch schwere Salven unmittelbar auf sie gerichteter Trommelfeuer von Pfeilen aus verdeckten Positionen überrascht und niedergeworfen. Gleichzeitig griff die Hauptstreitmacht der ägyptischen Armee in überwältigender Zahl an. Von den unerbittlichen Pfeilen und einem ganzen Infanterie-Korps auf einem engen Strandbereich festgenagelt, konnten die Marinesoldaten der Seevölker nicht weiter vordringen. Diszipliniert erkämpften sie sich ihren Rückzug zu den Schiffen und konnten so ihre Verluste auf wenige tausend Gefallene oder Gefangene begrenzen.
Diese Schlacht wurde von Homer in der Odyssee dramatisiert. Nachdem sein Held nach Ithaka zurückgekehrt war, verbarg er seine Identität, indem er einem Hirten erzählte, er sei ein Kreter, der sich nach dem Erfolg der Achäer in Troja einer Flotte von Piraten für eine Expedition gegen Ägypten angeschlossen hatte. Das Abenteuer, sagte er, wäre fehlgeschlagen, wobei die meisten Invasoren getötet und die übrigen versklavt worden wären. Die Schlacht bei Prosopis beschreibt Odysseus folgendermaßen:
»Der ganze Ort war voller Infanterie, Streitwagen und glänzender Waffen. Zeus, der Donnerer, schlug meine Gruppe mit entsetzlicher Panik. Kein Mann hatte die Kraft, sich dem Feind zu stellen, denn wir waren von allen Seiten bedroht. Sie metzelten schließlich einen großen Teil meiner Gefährten nieder und verschleppten die Überlebenden, um sie als Sklaven für sich arbeiten zu lassen.«
Zurück an Bord ihrer Schiffe warteten die Seevölker vor der Küste auf eine weitere Gelegenheit, die Invasion fortzusetzen. Dabei wurden sie jedoch ununterbrochen von ägyptischen Marineeinheiten bedrängt, die, statt die überlegenen Kriegsschiffe direkt anzugreifen, kurze Guerilla-Angriffe gegen die Transport- und Versorgungsschiffe unternahmen, um den Feind damit aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Im Vertrauen darauf, dass seine verbliebene Flotte die Seevölker in Schach halten würde, evakuierte Merenptah den Großteil seiner Armeen aus Prosopis und ließ dieses praktisch unverteidigt zurück, um stattdessen die Festung Perite zu verstärken. Dies war die letzte wichtige Verteidigungsposition gegen den Vormarsch von König Meryey, der bereits den westlichen Rand des Deltas erreicht hatte. Am frühen Morgen des 15. April griff ein größeres Kontingent von Libyern, den Sonnenaufgang vor Augen, in Erwartung einer offenen Feldschlacht an. Stattdessen ließen die gefürchteten Bogenschützen des Pharaos einen Pfeilhagel auf die heranstürmenden Wellen von Fußsoldaten niedergehen. Trotz des resultierenden Massakers drangen die Libyer weiter voran und kämpften Mann gegen Mann sechs Stunden lang unter den Festungsmauern gegen die Verteidiger.
Читать дальше