1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Bewusst beschäftige ich mich in dieser Studie nicht mit den Fragen, ob überhaupt der Aufbau einer kirchlichen Geheimstruktur und geheime Weihen sinnvoll waren. Das Überleben der Kirche in Ostasien 300 Jahre ohne Priester ist zwar ein theologisch interessantes Faktum, jedoch ohne große Relevanz für meine Arbeit. Ebenfalls beschäftige ich mich nicht mit den theologischen Fragen der Motivation einiger Mitglieder der Untergrundkirche zu ihrem Handeln und verweise lieber auf diesbezüglich eingehendere Literatur. Ich befasse mich nicht mit den in der verborgenen Kirche anwesenden großen theologischen Visionen. Ich suche eher nach konkreten Fakten und versuche, eine Rekonstruktion und Analyse der kirchenrechtlich wichtigen Momente wie Übergabe der geheimen Fakultäten oder Anzweiflung der in der Linie von Bischof Felix Davídek erteilten Weihen zu unternehmen.
Die Fragen nach den geheimen Weihen werden auch heute noch von manchen Zeitgenossen und Zeugen als indiskret wahrgenommen. Ich wurde von mehreren geheim geweihten Klerikern mit meiner Bitte um ein Interview abgewiesen. Auch deswegen schätze ich alle meine Gesprächs- bzw. Korrespondenzpartner und bin ihnen sehr dankbar, dass sie zu einem Interview mit mir bereit waren. Zu der Wahrnehmung meiner Fragen als indiskret kommt auch die Tatsache, dass (nicht nur) ein Großteil der nachkonziliaren Untergrundkirche ihre spezifische, nämlich negative Sicht auf das Kirchenrecht hat. Das ist sicherlich mit der dominanten Stellung des Kirchenrechts vor dem Konzil („Kodex vor Bibel“), mit der Atmosphäre in der Kirche und in der Gesellschaft nach dem Konzil Ende der 1960er Jahre und letztendlich mit einer schlechten Erfahrung (Rechtspositivismus in der Kirche) einiger von ihnen verbunden.
Die Begriffe „Untergrundkirche“, „verborgene Kirche“, „geheime Kirche“, „verborgene Gemeinschaft“ usw. verwende ich in den meisten Fällen synonym (ebenfalls wie „geheime Weihe“, „klandestine Weihe“, „Weihe im Verborgenen“ usw.). Ich bezeichne so alle Aktivitäten der verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften innerhalb der einen katholischen Kirche in der Tschechoslowakei, die vor dem herumschnüffelnden Auge des kommunistischen Regimes verborgen bleiben sollten. Manche Autoren schlagen neue Begriffe wie z. B. „verborgenes Leben der Kirche“, „geheime kirchliche Strukturen“ 1oder (kirchliche) „Untergrundbewegung“ 2vor.
Um mich bei der Behandlung des aktuellen Stands der Forschung nicht zu wiederholen, fasse ich die für dieses Thema wichtigsten Werke zusammen. Der Geschichte der katholischen Kirche unter dem Kommunismus widmet sich, abgesehen von den ausgesprochen journalistischen Arbeiten, eine ganze Reihe von Autoren: Václav Vaško 3(der gleichzeitig ein prominenter Zeitzeuge ist), Karel Kaplan 4, Jaroslav Cuhra 5, Jiří Hanuš und Stanislav Balík 6u. a. Was konkret die Gemeinschaft Koinótés um Bischof Felix M. Davídek betrifft, sollte das Buch der Autoren Petr Fiala und Jiří Hanuš 7auch heute als Standardwerk gelten. Die Kenntnis dieses Werkes setze ich also voraus. An der zweiten Stelle wird meistens das Buch des damals jungen Studenten Ondřej Liška 8angeführt, der mit Hilfe und unter Leitung des Prager Kardinals Miloslav Vlk arbeitete. Sein Buch wird im gewissen Sinne von manchen als ein Gegensatz zu dem Werk von Fiala und Hanuš betrachtet. Liška widmet sich aufmerksam den Fragen nach der Übergabe der geheimen Fakultäten in der Untergrundkirche und der Gültigkeit der Jurisdiktion oder den Fragen nach Gründen der Zweifel hinsichtlich der von Bischof Felix Davídek erteilten Weihen. Deswegen ist auch die Kenntnis seines Buches für die Lektüre meiner Studie sehr nutzbringend. Weiter wurden mehrere Abschlussarbeiten dem Thema der Untergrundkirche gewidmet. Es ragen besonders solche Arbeiten hervor, die einen konkreten Teil oder ein bestimmtes Phänomen innerhalb der tschechoslowakischen Untergrundkirche bzw. auch aus Sicht der verschiedenen Fachrichtungen erforschen. 9Außerdem wurden bis heute zum Thema der verborgenen Kirche Memoiren-Bücher oder geführte Interviews veröffentlicht. 10Nicht zu vergessen ist die eigene mediale Plattform eines Teils der Untergrundkirche (Prager Gemeinde), die seit 1990 ihre eigene Zeitschrift Getsemany herausgibt, wo Mitglieder dieser Gruppe ihre eigenen Meinungen veröffentlichen. 11
Was das Kirchenrecht betrifft, gibt es neben den allgemeinen kanonistischen Standardwerken weniger Arbeiten, die sich mit dem Kleriker- bzw. Ordinationsrecht beschäftigen. 12Die die Weihenichtigkeit betreffende Judikatur wird leider nicht publiziert. Die einzige rechtsgeschichtliche Abhandlung über die speziellen Fakultäten für die Tschechoslowakei verfasste Damián Němec. 13Mit dem Thema des Rituswechsels 14in der Tschechoslowakei beschäftigte sich aus der rechtsgeschichtlichen Sicht Miroslav Konštanc Adam. 15Weitere rechtliche Untersuchungen mit dem Schwerpunkt der unterdrückten katholischen Kirche in der Tschechoslowakei in den Jahren 1948-1989 wurden bis jetzt nicht unternommen.
Das Ziel meiner Forschung war der Vergleich aller „Typen“ der geheimen Weihen, sowohl der (nach 1989) anerkannten als auch der angezweifelten Weihen, in allen Weihestufen, die in der Zeit des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei bzw. im Ausland den tschechischen und slowakischen Weihekandidaten erteilt wurden, und zwar vor allem aus der Sicht des kanonischen Rechts.
Das erste Kapitel führt ins Thema des Weiherechts ein. Noch im 20. Jh. wurde sowohl die Form als auch der Inhalt des Weihesakramentes wesentlich modifiziert (Unklarheiten im Bezug auf die Sakramentalität der einzelnen Weihestufen, Abschaffung der Tonsur, der niederen Weihen und des Subdiakonats bzw. ihre Abänderung in ministeria, neue Vorschriften bezüglich der Materie und der Form des Weihesakraments, neue Weihegebete usw.). Das heutige Kirchenrecht stellt relativ wenig Bedingungen an eine gültige Erteilung des Weihesakraments: Weihespender – ein gültig geweihter Bischof, Weiheempfänger – ein gültig getaufter Mann, Materie: Handauflegung (kirchenrechtliche Frage, ob eine physische Berührung notwendig ist oder auch nur eine moralische Berührung reicht), Form: Weihegebet (konkreter Teil des Gebetes), die richtige Intention der beiden. Die niedrigen Bedingungen für einen gültigen Empfang der Weihe werden durch die weitreichenden Folgen einer Weihenichtigkeitserklärung (Ungültigkeit aller erteilten Sakramente bis auf die Taufen) begründet. Auch deswegen sind die ad liceitatem gestellten Bedingungen an einen Weihekandidaten relativ streng.
Das zweite Kapitel beschreibt die Ereignisse nach der Übernahme der Macht in der Tschechoslowakei durch die kommunistische Partei: Schauprozesse, Auflösung der Klöster, Auflösung der griechisch-katholischen Kirche, Auflösung der theologischen Seminare und Fakultäten, Schicksal der Bischöfe, Prager Frühling von 1968, Ostpolitik und Infiltration des Geheimdienstes in die Kirche. Weiter wird die erste Generation der Geheimbischöfe angeführt, deren Bischofsweihe nach der vorherigen Ernennung seitens des Apost. Stuhls stattfand. Da die meisten dieser Bischöfe sehr bald verraten wurden, werden in diesem Kapitel auch die Regeln der konspirativen Arbeit erwähnt.
Das dritte Kapitel beginnt mit einer Einführung in das Dispens- bzw. Fakultätenrecht. Weiter wird den sog. mexikanischen Fakultäten, ihrem Ursprung und ihrer Verbreitung Aufmerksamkeit geschenkt. Der Schwerpunkt liegt selbstverständlich auf der Vorstellung der einzelnen Fakultäten wie auch der Gebiete, die aus der Dispensmöglichkeit ausgenommen bleiben. Erwähnt werden Beispiele der konkreten Anwendung der Fakultäten. Der lateinische Text der Fakultäten befindet sich im Anhang dieser Studie.
Im weiteren Kapitel werden die Bischofsweihen behandelt, die ohne päpstliches Mandat bzw. später aufgrund der speziellen Fakultäten für die slowakischen Jesuiten und der sog. Fakultäten von Papst Paul VI. für die Gemeinschaft Koinótés gespendet wurden. Am Rande werden auch weitere Fakultäten erwähnt, die anderen Gruppen, Gemeinschaften oder Personen in der Tschechoslowakei erteilt wurden.
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