Matthias Sellmann/Caroline Wolanski (Hrsg.)
Milieusensible Pastoral
Praxiserfahrungen aus kirchlichen Organisationen
Matthias Sellmann / Caroline Wolanski (Hrsg.)
Praxiserfahrungen
aus kirchlichen Organisationen
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© 2013 Echter Verlag GmbH, Würzburg
www.echter-verlag.deUmschlag: Peter Hellmund (Foto: gettyone) Satz: Hain-Team, Bad Zwischenahn ( www.hain-team.de) Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck ISBN 978-3-429-03518-1
Matthias Sellmann / Caroline Wolanski
Vorwort
I) Grundsatzüberlegungen
Heinzpeter Hempelmann, Stuttgart
Das Kriterium der Milieusensibilität in Prozessen postmoderner Glaubenskommunikation.
Religionsphilosophische, ekklesiologische und institutionelle Gesichtspunkte
II) Praxisfelder
Praxisfeld Militärseelsorge
Lothar Bendel/Frank-Peter Bitter/Marc Calmbach, Berlin
Die Studie „Milieudifferenzierte Pastoral- und Bildungsangebote in der Militärseelsorge“ unter den Zeit- und Berufssoldaten der Bundeswehr(2011/2012).
Zentrale Ergebnisse und erste Konsequenzen
Praxisfeld Jugendverbände
Christian Gentges, Düsseldorf
„Lass mich dich lernen, …“
Zur Bedeutung von Milieuforschung für die kirchliche Jugend(verbands)arbeit
Praxisfeld Pastoralplanung
Winfried Quint/Christian Stieber, Essen
Das Geografische Informationssystem: Planungshilfe im Bistum Essen
Praxisfeld Kirchenmarketing
Udo Schnieders, Freiburg
Wie Fundraising als kirchliche Kommunikation von Milieukenntnissen profitieren kann
Praxisfeld Fort- und Weiterbildung
Marius Stelzer, Wesel
Schüler Gottes (Joh 6,45).
Die Weiterbildungspraxis kirchlicher Hauptamtlicher im Spiegelempirischer Milieuforschung
Praxisfeld Hochschulseelsorge
Bernd Hillebrand, Tübingen
„… passt zu mir oder passt nicht zu mir!“
Milieusensibel Gott verehren
Praxisfeld Citypastoral
Michael Alexander Mann, St. Gallen
„safranblau“.
Praxisbericht und theoretischer Rahmen des Projekts
Praxisfeld Kirchenentwicklung
Roland Beat Diethelm, Zürich
Strategien der Deutlichkeit – Vorüberlegungenzur Regionalisierung und Entwicklung von Profilgemeinden in urbanem Umfeldin der Stadt Zürich
III) Bibliografie
Caroline Wolanski, Bochum
Bibliografie zum Diskursfeld „Milieusensible Pastoral“
Die Autorinnen und Autoren
Sechs Jahre ist es nun her, dass die deutsche katholische Kirche von einem für die meisten Akteure sehr neuen Denken überrascht wurde: dem Denken in sozialen Milieus. Man erfuhr, dass es bestimmte Muster der Bewertung, der Verarbeitung und der Inszenierung kultureller Impulse gibt; dass ‚soziale Gravitationen‘ grundieren, wie man die ‚Welt‘ sieht; dass alltagsästhetische Spuren darauf hinweisen, mit wem man sich vergesellschaften möchte und mit wem nicht. Man lernte als Kirche, dass man mit den anderen Kulturanbietern längst im Wettkampf um Aufmerksamkeit steht – und dass es nur wenige soziale Milieus gibt, die der Kirche und ihren Präsenzformen dabei ein mehr als durchschnittliches Vorschussvertrauen geben. Ja man musste über die Heuristik verschiedener Kulturmuster erkennen, dass auch Kirche mit einem bestimmten Stil und einer bestimmten Alltagsästhetik wahrgenommen wird – und dass diese Wahrnehmung bei vielen Deutschen eher wenig Resonanz erzeugt. Umgekehrt wurde klar, dass es Stilwelten gibt, von denen man als normaler Kirchlicher wenig weiß und in denen eine organisierte kirchliche Präsenz ganz unselbstverständlich ist.
Für viele war die Begegnung mit solchen Erkenntnissen in hohem Maße überfordernd. Ein gewisser Aktivismus war oft die erste Folge und er ließ sich von der Frage stressen: „Wie können wir denn alle erreichen?“ Manche Kreise diskutieren aus, welche Rolle soziale Empirie überhaupt für pastoralplanerische Prozesse spielen kann. Wieder andere verweigerten generell, dass die Sinus-Studie, wie sie genannt wurde, korrekt erforscht sei bzw. ihre Ergebnisse irgendeine Relevanz haben könnten. Man habe nur 170 Leute befragt, und die Soziologen hinter der Studie seien ja bloß Marktforscher. Richtige Sozialforschung sei quantitativ, alles andere reine Interpretation. Die theologisch-substantielle Arbeit, die über bloße Rezeption hinausgeht, formiert sich erst in diesen Monaten. Und aus manchen kirchlichen Kreisen ist schon zu hören, dass milieusensible Pastoral schon deswegen zum Scheitern verurteilt sei, weil es gar kein Personal gäbe, das hierfür motiviert und ausgebildet sei.
Natürlich gab und gibt es auch die Nicht-Überforderten. Diese sahen in dem hier gebotenen Absatz endlich eine Chance, aus der intuitiv bereits vorher stark gespürten Ahnung einer kulturellen Verengung herauszukommen. Es war besonders die Gemeindetheologie, die in den Fokus der Bemühungen um milieusensible Pastoral stand. Diese Priorität hatte durchaus die Logik der meisten diözesanen Strukturreformen hinter sich, die ja ebenfalls vor allem um das gedeihliche Leben der Gemeinden vor Ort im nun großen pastoralen Raum bemüht sind. Mehr und mehr konnten die einschlägigen Milieustudien (auch sie wurden mehr und mehr) davon überzeugen, dass man das lokale Kirchesein nicht an den Menschen vor Ort vorbeientwickeln sollte. Und mindestens als Seh-Hilfe sind die ‚Sozialen Milieus‘ heute so eingeführt und bekannt, dass man sich fragt, wie man überhaupt ohne solche Instrumente professionell sozialräumliche Pastoral verantworten soll. Wie viele Aus- und Fortbildungen in den deutschen Diözesen zu diesem Anliegen in den letzten Jahren durchgeführt wurden, weiß niemand. Aber man kann sicher sagen, dass die schiere Anzahl an Veranstaltungen von keinem einzigen Fortbildungsinhalt der letzten Jahrzehnte erreicht worden ist. Kaum ein Instrument hat eine derartige Felddurchdringung erreicht wie dieses. Und es hat der gemeindetheologischen und- praktischen Wirklichkeit gutgetan.
Allerdings: Die Bekanntheit des Ansatzes ist heute so groß, dass viele nach neuen Inhalten Ausschau halten. Immer häufiger ist zu hören: „Nicht schon wieder Milieus! Die haben wir doch jetzt wirklich genug durchgekaut.“ Hinter solchen Aussagen steckt eine Mehrzahl an Motiven: z. B. die Müdigkeit, sich immer wieder dieselben unbequemen (und unbeantwortbaren?) Fragen zu stellen; die Lust auf Neuigkeiten; die Ratlosigkeit, wie man aus der Rezeption in die Umsetzung kommt, usw. Vor allem von der gemeindlichen Ebene wird Überforderung gemeldet, wenn es konkret werden soll: Man könne jetzt erheblich besser beschreiben, was zu ändern wäre und woran es liegt; man habe auch eine gemeinsame Sprache gelernt und könne sich in der Analyse gut bewegen. Was aber jetzt wie und von wem zu tun sei, das sei unklar und lähme den ‚Betrieb‘.
Ein Letztes: Außerdem tauchen mit neuen Stichworten neue interessante Themen auf, die man jetzt erst einmal eingehender studieren müsse: fresh expressions of church , Lokale Kirchenentwicklung, Organisationsentwicklung, die Erfahrungen von Poitiers, Gemeinsames Priestertum und manches mehr.
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