c) Exkurs: Postmoderne Aversion gegen universale, exklusive und absolute Geltungsansprüche
Im postmodernen Kontext vollzieht sich demgemäß Religionskritik nahezu nicht mehr als Sachkritik an bestimmten inhaltlichen Positionen. Auch Jungfrauengeburt und leibliche Auferstehung sind keine Probleme mehr. Es darf ja jeder für wahr halten und glauben, was er will. Streng genommen fehlt ja auch der Horizont der einen Wahrheit und der einen Vernunft, der eine Kriteriologie erlauben würde, auf Grund derer kritische Urteile möglich wären. Postmoderne Kritik an Religion geriert sich deshalb nicht sachkritisch, sondern dezidiert religionskritisch. Sie ist sensibilisiert für die Frage, ob Religion (oder Weltanschauung) sich unter dem Deckmäntelchen von (eigentlich überholten) Wahrheitsansprüchen Vorteile zu verschaffen und sich auf dem religiösen Markt durchzusetzen sucht. In diesem Sinne warnen Denker von so unterschiedlicher Provenienz wie Martin Walser, Odo Marquard, Ulrich Beck und Jan Assman vor der Form von Religion, die sie als Inbegriff solcher religiöser Wahrheitsansprüche sehen: dem Monotheismus. Monotheistische Religion, gleich welcher Provenienz, zeichnet sich ja aus durch Geltungsansprüche, die
– universal sind: also für alle, nicht nur für einige die Wahrheit sein sollen,
– exklusiv sind: also alleine gelten und neben sich keinen (logischen und anderen) Raum lassen,
– absolut sind: sich göttlich, durch Rekurs auf eine letzte Autorität begründen, denen gegenüber es also kein Ausweichen, keine Relativierung, keine Einschränkung gibt.
Postmoderne Religionskritik warnt demgemäß
– vor der Monomythie des Monotheismus, der den Menschen mit Haut und Haaren besitzen will (Marquard) 5,
– vor der Intoleranz von Monotheismus und dem Konfliktpotential, das aus der monotheistischen Unterscheidung von wahrer und falscher Religion resultiert (Assmann) 6,
– vor der Eifersucht des biblisch bezeugten einen Gottes, die sich als Verdrängungsmechanismus: als „Missionarismus“ auch in säkularen Ideologen erhalten hat (Walser) 7,
– vor der Gefahr von universalen, absoluten und exklusiven religiösen Geltungsansprüchen, zu denen sich nicht mehr zu bremsende Gläubige zusammenrotten und denen gegenüber nur noch die Individualisierung des Glaubens an einen „eigenen Gott“ hilft (Beck) 8.
Bemerkenswert ist, dass alle im Gegenüber zu „Monotheismus als der vielleicht größten Gefahr der Menschheit“ 9– wie schon Nietzsche wusste – Polytheismus und also eine Pluralisierung von Religion als Gegenmittel empfehlen. Kommunikation des Glaubens als der rettenden und helfenden Möglichkeit in einem durch Dominanzerfahrungen christlicher Institutionen hoch sensibilisierten und durch Aversion und Abwehr gepolten Kontext? 10
d) Verzicht auf die Kommunikation des Glaubens in postmodernen Zusammenhängen?
Es ließe sich freilich eine noch radikalere Lösung unserer Aufgabe eines missionarischen Pastorals denken: der einfache Verzicht auf die Kommunikation des Evangeliums in postmodern, sprich wahrheitspluralistisch verfassten Kontexten. Die Position wäre dann: Man sieht doch: Weitergabe des Glaubens in solchen Lebenswelten geht nicht. Der Grund ist einsehbar. Wir stehen hier vor Entwicklungen und Prägungen, die die christlich-abendländische Tradition verlassen haben und die deshalb für uns nicht mehr erreichbar sind, weil wir keine gemeinsamen Voraussetzungen mehr haben. Vulgo: die anderen, gemeint sind die postmodern eingestellten Menschen, „wollen ja nicht“.
Es gibt sehr viele, auch einflussreiche Christen, die eine solche Position oder Haltung einnehmen. Der Vorteil ist: Man hat sich die Herausforderung postmoderner Glaubenskommunikation mit einem Schlag vom Hals geschafft. Der Nachteile sind freilich ebenfalls viele, und sie wiegen schwer:
– Wir haben unseren missionarischen Anspruch – auch und gerade als Volkskirchen – gegenüber diesem Teil unserer Bevölkerung aufgegeben. Theologisch und geistlich ist dies nicht verantwortbar.
– Da der prämoderne Anteil unserer Gesellschaft, übrigens auch unserer Kirchen nach dem Microm Regio Trend ständig im Schwinden begriffen ist und umgekehrt die postmodernen Anteile stetig wachsen, läuft die o. g. „Strategie“ oder besser Verzichtserklärung auf ein Ja zum Ende des volkskirchlichen Anspruches hinaus.
– Missionstheologisch stehen wir hier vor einer Bankrotterklärung: Entgegen aller Erfahrung der Kirchen – als Missionsgeschichte – würden wir hier die Position vertreten, dass wir das Evangelium eigentlich nur in Kulturen vertreten und kommunizieren können, die schon christianisiert sind, also über die entscheidenden Voraussetzungen verfügen. Was ist dann aber Mission? Was bedeutet dann das sich selbst imponierende, beglaubigende, Wirklichkeit setzende Zeugnis des Heiligen Geistes? Käme es nicht im Gegenteil positiv darauf an, auch im postmodernen kulturellen und mentalen Zusammenhang auf die Aufgabe der Kontextualisierung des Evangeliums zuzugehen? Ist Postmoderne un -christlich oder nicht einfach nur a- christlich? Scharf gefragt: Ist es nicht bloß die Unfähigkeit eines über Jahrhunderte in einer traditionellen Kultur alteingesessenen, saturierten Christentums, sich aufzuraffen und sich neuen missionarischen Herausforderungen zu stellen, die Kirche und Christen weithin unfähig, weil unwillig macht, sich Prozessen postmoderner Glaubenskommunikation zu stellen? Müssten wir hier nicht fair sein? Die prämoderne, traditionsorientierte Mentalität und selbst die moderne Mentalität haben einen über Jahrhunderte andauernden Prozess der Amalgamierung mit Inhalten christlichen Glaubens hinter sich. Es kann angesichts der langen Geschichte der Christianisierung heidnischer Metaphysik nicht verwundern, dass diese heute im katholischen Raum vielen als die christliche Alternative zum postmodernen Relativismus erscheint. Es kann angesichts der mehr als zwei Jahrhunderte dauernden Abarbeitung am Erbe des deutschen Idealismus nicht verwundern, dass vor allem die Ethik und die Erkenntnistheorie und damit im Ergebnis auch die Religionsphilosophie Immanuel Kants als normativer Rahmen (neu-)protestantischer Theologie und speziell Ethik erscheint. 11Aber war das immer so? Hat es hier nicht unendliche Abarbeitungsprozesse und Integrationsbemühungen gegeben, die bis heute nicht abgeschlossen sind? Haben wir demgegenüber Postmoderne als Kultur und Mentalität, als Herausforderung überhaupt schon nennenswert wahrgenommen?
– Kann soteriologisch wirklich vertreten werden, dass Menschen, um zu Christus zu kommen, quasi eine doppelte Bekehrung brauchen: eine in eine (prä)moderne Kultur und dann – von da aus – eine zu Christus? Gehört es nicht gerade zur Kernsemantik des Evangeliums, dass es un-bedingt zukommt und gilt?
– Vielleicht noch spannender sind die philosophischen Fragen, vor denen wir stehen. Natürlich hält die Debatte um die Substantialität postmoderner Ansätze noch an. Aber man wird doch mit einigem Recht fragen dürfen, ob nicht postmodernes Philosophieren einen fundamentalen Einschnitt in der abendländischen Philosophiegeschichte bedeutet. Wenn der von Nietzsche prognostizierte Tod des „moralischen“ Gottes 12metaphysisch zu verstehen ist, wenn also das von Nietzsche angesagte und von vielen Denkern des 20. Jahrhunderts wahrgenommene größte Ereignis der Denkgeschichte 13ebendarin besteht, dass sich uns philosophisch die Begriffe „der“ Vernunft, „der“ Wahrheit, „des“ Schönen, Guten, Gerechten zersetzt haben und nicht mehr repristiniert werden können, dann ist christliche Theologie schlicht und einfach gefragt, ob sie philosophisch einen Anachronismus darstellt, m. a. W., ob sie nicht auf Voraussetzungen aufbaut, deren Selbstverständlichkeit nicht mehr einfach unterstellt werden kann.
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