Mentalität |
Prämoderne |
Moderne |
Postmoderne |
Wahrheitsbegriff |
• Es gibt nur eine Wahrheit. • Wahrheit ist offenbar. • Man kann sagen, was die Wahrheit ist. • Insofern ist ein Ringen um die Wahrheit nicht nötig. |
• Es gibt nur eine Wahrheit. • Aber es gibt verschiedene Wahrheitsansprüche, die sich widersprechen. • Die Wahrheit ist nicht offenbar. • Wir müssen um die Wahrheit ringen. |
• Es gibt Wahrheit. • Es gibt nicht nur eine Wahrheit, sondern viele. • Jedes Individuum hat das Recht auf seine Wahrheit; jedes Subjekt ist sich seine Wahrheit. • Insofern ist ein Ringen um die Wahrheit unnötig und sinnlos. |
Zentraler Wert |
Traditions-orientierung |
Kritische Rationalität |
Pluralität, Multioptionalität |
Orientierung |
Das Ursprüngliche ist das Wahre.Die Orientierung am Herkömmlichen garantiert den Wahrheits-transfer. |
Immer neue Versuche und Widerlegungen ermöglichen Fortschritt und Verbesserung, schließlich Annäherung an die Wahrheit. |
Die Vielfalt ist die Wahrheit.Gefährlich ist jede Einengung und Beschränkung der Pluralität. |
Diskriminierung als … |
Fundamentalismus |
Kritizismus, Skeptizismus |
Relativismus |
Alle drei Basismentalitäten generieren und bedeuten Lebenswelten, die sich je nach materiellen und Bildungsverhältnissen noch einmal ausdifferenzieren können. Jede Basismentalität folgt einer eigenen Logik, die auch zu Abgrenzungen gegenüber den jeweils anderen führt, die man nicht versteht, die einem fremd bleiben, die man nichtsdestotrotz – gemessen an dem eigenen Wahrheitsdenken und den sich aus ihm ergebenden Kriterien – für falsch hält und die man dementsprechend nur ablehnen kann. Das Ergebnis sind sehr weit- und tiefreichende Barrieren. Michael Ebertz nimmt einen Begriff aus der Ethnologie auf und spricht im Hinblick auf die Distinktionsgrenzen zwischen den Milieus von „Ekelschranken“ 4.
Wie „postmodern“ gebraucht wird, ist natürlich allein eine Definitionsfrage, näherhin eine Frage der Zweckmäßigkeit:
– Postmodern im Sinne der Titelformulierung wäre gerade das Gesamt des Mit- und Widereinander von moderner, prämoderner und postmoderner Mentalität und den zu ihnen gehörenden Milieus. Eine postmoderne Gesellschaft wäre eine, die sich durch die spezifische Unübersichtlichkeit auszeichnet.
– Postmodern im oben definierten Sinne wäre dagegen nicht die gesamte Gesellschaft, sondern nur ein Teilmoment der Gesellschaft mit den entsprechenden Milieus.
Um nicht Irritationen schon auf der terminologischen Ebene zu erzeugen, schlage ich vor, den Begriff „postmodern“ auf die durch einen Wahrheitspluralismus gekennzeichnete Basismentalität zu beschränken und das Gesamt unserer Gesellschaft mit ihrer irreduziblen Vielfalt von Wahrheitskonzeptionen als „nachmodern“ und postchristlich zu bezeichnen und insofern den Begriff „postmodern“ enger zu fassen.
2 Glaubenskommunikation im nachmodernen,
postchristlichen Horizont – Herausforderungen
Wenn die hier nur skizzierten Rahmenbedingungen zutreffen, ergeben sich nahezu zwangsläufig die Herausforderungen, vor die sich eine – katholisch gesprochen – „missionarische Pastoral“ heute gestellt sieht:
a) Wo alle Gewinner sind, verlieren Medaillen ihren Sinn
Um ein aktuelles Bild aus der Welt des Sports zu gebrauchen: wo – aus Gründen der Gerechtigkeit etwa im Behindertensport, z.B. bei den Paralympics – sehr viele Klassen angeboten werden und dementsprechend viele Medaillen gewonnen werden können, da gibt es zwar immer mehr „Gerechtigkeit“, mit der man den individuellen Gegebenheiten der Startenden entspricht; da verlieren aber eben auch die Medaillen immer mehr an Wert. „Wo alle Gewinner sind, da verlieren Medaillen ihren Sinn.“ Erkenntnistheoretisch formuliert: Wo alle recht haben, da hat es keine Bedeutung mehr, recht zu haben. Wo jedes Individuum absolute Bedeutung hat und schon aus dem Grund das, was es denkt, sagt, vertritt, die Wahrheit, oder präziser: eine Wahrheit ist, das Prädikat „Wahrheit“ verdient, wo es demzufolge viele Wahrheiten gibt, da verliert die Wahrheit ihre Bedeutung. Das gilt im doppelten Sinne des Wortes: Da meint Wahrheit nicht mehr den einen , allen vorgegebenen Horizont, der den individuellen Wahrheitsansprüchen vorausliegt; da ist die eine Wahrheit pluralisiert zur Fülle individueller Wahrheiten. Diese meine individuelle Wahrheit bedeutet dann aber auch nichts mehr, außer für mich. Aus traditioneller Perspektive muss man dann freilich fragen: Was hat eine Wahrheit für eine Bedeutung, die bloß Wahrheit für mich ist?
Hier stehen wir vor einer ersten Herausforderung, die sich ergibt, wenn wir uns als Christen und Kirchen in einem postmodernen, durch einen programmatischen Wahrheitspluralismus bestimmten Kontext bewegen. Wahrheit kann in einem solchen Zusammenhang nur als etwas gedacht werden, das plural ist. Traditionelle Wahrheitsansprüche versanden hier aber einfach. Sie bedeuten nichts mehr. Natürlich dürfen auch Christen und Kirchen ihre Wahrheit haben; sie müssen gar nicht modern und bescheiden von Wahrheits ansprüchen reden, die sie im kritischen Diskurs der Vernünftigen zur Geltung bringen möchten. Sie haben ja das Recht auf ihre Wahrheit. Aber es ist eben – leider? – nur ihre Wahrheit. Kommunikation des Evangeliums? Der einen guten Botschaft?
b) Behauptung der einen Wahrheit als christlicher Wille zur Macht und als Versuch, sich religiös durchzusetzen
Es gibt natürlich noch eine Alternative. Wir verweigern uns einfach dem Wahrheitspluralismus. Das sieht dann so aus: Wir proklamieren in einem postmodernen Zusammenhang die Wahrheit des christlichen Glaubens, und zunächst hat niemand damit Probleme. Auch Christen, selbst Kirchen dürfen ja ihre Wahrheit haben. Warum denn nicht? So viel Toleranz muss sein. Wichtig ist nur, dass niemand dem anderen seine Wahrheit aufdrängt. Wir bleiben aber bei der uns zugestandenen, „individuellen“ Wahrheit nicht stehen, sondern setzen nach, indem wir insistieren: „Die Wahrheit des christlichen Glaubens ist nicht nur unsere Wahrheit, sie ist die Wahrheit für alle.“ Dieser überindividuelle, allgemeine Geltungsanspruch kann in einem postmodernen Kontext freilich nicht mehr verstanden, er kann nur noch missverstanden werden als Versuch der Selbstbehauptung und der Dominanz einer Position über andere. Selbstverständliche mentale Voraussetzung ist ja: Es gibt nicht nur eine Wahrheit, es gibt viele. In diesem erkenntnistheoretischen Rahmen wird individuelle Wahrheit selbstverständlich zugestanden. Ebenso selbstverständlich gilt aber auch: Wenn es nur individuelle Wahrheiten gibt und dann einer seine – individuelle – Wahrheit als die Wahrheit für alle behauptet, ist das nichts anderes als der Versuch der Selbstbehauptung, der Selbstdurchsetzung einer religiösen Position gegenüber anderen. Behauptung der einen Wahrheit degeneriert in einem postmodernen Kontext zur Selbstbehauptung über eine Wahrheit, die doch bloß eine von vielen ist.
Hier reagieren Zeitgenossen freilich besonders sensibel, weil sie diesen Willen zur Dominanz kennen und sehr viele Menschen sehr darunter gelitten haben, dass christliche Institutionen ihnen das richtige Leben und Denken – lange Zeit im Verein mit staatlicher Macht – vorgeschrieben haben. Kommunikation des Evangeliums als der besten Botschaft, die dem Menschen widerfahren kann?
Um nicht missverstanden zu werden: Die Missverständnisse, denen ein religiöser Wahrheitsanspruch notwendig begegnet, sind kein Grund, auf solche Geltungsansprüche von vornherein zu verzichten. Sie sind aber sehr wohl ein Grund zu fragen, wie sie so artikuliert und „zur Geltung“ gebracht werden können, dass sie nicht von vornherein als Dominanzversuche eingeordnet werden.
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