1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Daran zeigt sich ebenfalls, dass Demut für Charles de Foucauld nicht einfachhin Demut ist: Demut muss eine liebende sein, ansonsten bleibt sie statisch und für sich. Der Beweggrund Jesu, den letzten Platz einzunehmen, war seine Liebe zur Welt und zu den Menschen. Auf diese Liebe aber will geantwortet werden: Was in der Anbetung für Foucauld geschieht, ist nicht bloß ein einfaches Sein vor Gott, sondern ein Ereignis zwischen Gott und dem Anbetenden. Es ist eine Bewegung der Liebe, ein stetes Empfangen und Schenken. Jene Gegenseitigkeit wiederum versetzt Charles de Foucauld selbst in die Lage, sich die Haltung der Demut anzueignen, basierend auf einem in der Anbetung erfahrenen unendlichen Vertrauen in Gott. Denn wen die Konsequenz der Liebe so sehr an den letzten Platz gestellt hat, der muss wahrhaftig sein 78. Diesen letzten Platz hat Jesus nicht nur während seines Lebens unter den Menschen eingenommen: In der heiligen Eucharistie bleibt er für immer gegenwärtig als der Erniedrigte, der Kleine, Unscheinbare und Verborgene. Diese Verborgenheit, die den „letzten Platz“ des inkarnierten Gottessohnes kennzeichnet, ist dennoch alles andere als die Verhüllung des Verhältnisses des innertrinitarischen Sohnes zum Vater, sondern gerade dessen Offenbarung. In der Verborgenheit von Nazareth offenbart sich die ganze Fülle Gottes.
Das Dasein vor dem Tabernakel bringt Charles de Foucauld so sehr in die Gegenwart Jesu, in die ihn erfüllende Nähe Gottes, dass er nichts anderes mehr braucht, dass all sein Verlangen – bis auf jenes nach Jesus – gestillt ist. Dieses Verlangen befähigt ihn, sich selbst – angesichts der ungeheuren Nähe Jesu Christi – leer und demütig zu machen, keiner Dinge mehr zu bedürfen 79. Die Nähe Christi im Tabernakel kann ihm genügen. Alle menschlichen Bedürfnisse – ja sogar die grundlegendsten – verlieren an Bedeutung. Obwohl Gott in der Eucharistie in der Verborgenheit des Brotes gegenwärtig ist 80, nimmt er dennoch einen derart großen Raum ein, dass Foucauld ganz befreit wird von dem Bestreben, sich selbst einen Sinn geben zu müssen. Schon in der frühen Zeit seines Ordenslebens macht Foucauld diese tiefgreifende Erfahrung. Er schreibt in Briefen an seine Cousine Marie von einem tiefen Frieden, der ihm seit einiger Zeit zuteil wird und der ihn einen unerwarteten Trost erfahren lässt: „Mir hat er, meiner großen Schwäche wegen, nur Frieden geschenkt…einen ganz unerwarteten Frieden“ 81. In seiner Demut angesichts der Größe Gottes kann sich Foucauld nur klein und unscheinbar machen, gleichzeitig aber weiß er sich unendlich beschenkt und geliebt. Hier erfährt er sich so als immer schon wert- und sinnvoll, ohne sich als dies beweisen zu müssen. Demütig kann letztlich nur jemand sein, der schon von etwas anderem außerhalb seiner selbst erfüllt ist, sich also nicht selbst füllen muss, sich nicht selbst den Sinn des eigenen Daseins geben muss.
1.2.1.2 Gehorsam: Christusförmige Leibwerdung
In den Jahren seiner Zugehörigkeit zum Orden der Trappisten lässt sich der Aspekt des Gehorsams besonders gut veranschaulichen. Als Bruder Marie-Albéric steht Charles de Foucauld in einer Verbindlichkeit, wie sie der eigentlich so freiheitsliebende und selbstbestimmte Franzose bisher kaum erlebt hat. Selbst das Militär vermochte ihm nicht eine dauernde Fügsamkeit abzuverlangen, nun aber hat er sich freiwillig an eine Gemeinschaft gebunden, für die der Gehorsam eine tragende Rolle im ständigen Miteinander hat. Und mehr als nur einmal gesteht Foucauld, wie schwer es ihm oftmals fällt zu gehorchen. Exemplarisch zeigt sich dies vor allem an seinem Widerstreben, dem Wunsch seines Ordensoberen, er möge doch Theologie studieren und Priester werden, nachzukommen. Es widerstrebt ihm deshalb, weil er darin ein Leben in der Erfüllung des „Nazaret-Ideals“ gefährdet sieht, kommen doch dem Priester Gnadengaben zu, die ihn eben nicht in die Verborgenheit von Nazareth stellen, sondern in die Öffentlichkeit des geistlichen und weltlichen Lebens 82. Dennoch weiß er um seine Gehorsamspflicht, welche noch dazu von seinem beständigen Seelenführer Huvelin bekräftigt wird, denn dieser rät ihm dazu, dem Wunsch seines Ordensoberen Folge zu leisten.
Daneben beginnt in Syrien Foucaulds Vorstellung von der Gründung eines eigenen Ordens, in welchem das verborgene Leben Jesu in Nazareth wahrhaftig gelebt werden kann bzw. immer konkreter werden kann. Immer stärker wird für ihn das Gefühl, seinen Platz – den letzten Platz – bei den Trappisten nicht finden zu können. Auch hier lautet Huvelins Rat, keine voreiligen Entschlüsse zu fassen und Geduld zu haben, bevor er seinem Schützling nach langer Zeit schließlich doch die Erlaubnis erteilt, den Orden der Trappisten im Einverständnis mit den Ordensoberen zu verlassen 83. Auch wird von seiner Priesterweihe vorerst abgesehen. Zunächst wird Foucauld für zwei Jahre nach Rom zum Theologiestudium geschickt und damit sein Gehorsam auf eine lange Probe gestellt. Und als eine solche deutet er ihn auch: Im Gehorsam entscheidet sich die Liebe für Gott. Letztendlich ist Gehorsam nichts anderes als eine notwendige Konsequenz der vollkommenen Hingabe. Aufgrund der Liebe zu dem, der sich ganz hingegeben hat, schafft es Foucauld, sich selbst völlig zurückzunehmen, vorbehaltlos zu gehorchen. Der Gehorsam hat sich allein nach der je größeren Liebe zu richten; und in dem Wissen um das eigene Geliebtsein und um das Wohlwollen Gottes ist es nur selbstverständlich, sich seinem Willen, der sich besonders im Rat der Seelenführer kundtut, zu fügen: „Wer jederzeit vollkommenen Gehorsam leistet, hat auch jederzeit die vollkommene Liebe. Wer jeden Augenblick vollkommen gehorcht, tut jeden Augenblick das Vollkommenste, denn das Vollkommenste ist das, was aus der vollkommenen Liebe stammt“ 84. Schlussendlich ist der Gehorsam eine Antwort auf das Geschenk der allgegenwärtigen Nähe des menschgewordenen Jesus im eucharistischen Brot und wird dadurch zur äußeren, sichtbaren Form der inneren Haltung der Demut. In der Anbetung, dem in die Gegenwart Gottes gerufen Sein , erfährt sich Foucauld als unbedingt geliebt; geliebt werden heißt aber auch, dass es jemanden gibt, der es gut mit einem meint und so ist es für Charles de Foucauld nur natürlich, diesem Jemand zu gehorchen. Gehorsam kann demnach nur in der Symbiose mit der Demut funktionieren und gründet in ein und derselben Erfahrung innerhalb der eucharistischen Anbetung. Der inkarnatorisch in die Hostie hinabsteigende Sohn des trinitarischen Gottes erfüllt in vollkommenem Gehorsam den Willen des Vaters. Wie also die eucharistische Gestalt des Erlösers den Gehorsam des Sohnes gegenüber dem Vater ausdrückt, so ist für Foucauld der Gehorsam die christusförmige Leib werdung des Glaubens. Im Gehorsam gibt sich Foucauld dem hin, von dem er alles empfängt; ganz so wie der empfangende Sohn sich dem Vater schenkt. Foucauld kann in seiner nicht nur spirituellen, sondern zugleich leibhaften Hingabe an den Willen Gottes am Geheimnis der Inkarnation partizipieren. Letztendlich ist der Gehorsam ein weiterer Schritt Foucaulds hin zur Verähnlichung mit dem eucharistischen Christus.
1.2.2 Hausknecht bei den Klarissen in Nazareth (1897-1900)
Nachdem Charles de Foucauld am 25. Januar 1897 von Dom Wyart die Erlaubnis erteilt bekommt, die Trappisten verlassen zu dürfen, fällt seine Wahl auf das schon lange ersehnte verborgene Leben von Nazareth. Nazareth, das bedeutet das unscheinbare, einfache und arme Leben eines Zimmermanns. Unerkannt und geprägt von schlichter Handarbeit, fern von jeder Selbstdarstellung und den Würden eines geachteten Standes. Ein solches niedriges Dasein wird von nun an von Foucauld mit aller Kraft verfolgt. Und er verfolgt es nicht nur für sich selbst, sondern für eine Gemeinschaft von Brüdern, für deren Zusammenleben er konkrete Vorstellungen entwickelt, die er in selbstverfassten Regeln festhält. Er orientiert sich dabei zwar an der Regel des heiligen Benedikt, doch will er bewusst auf jedweden intellektuellen Anspruch verzichten und gestaltet daher das Leben der Brüder äußerst einfach, damit es sich in seinen geistlichen Formen als einladend für jedermann darstellt. Die „Einsiedler vom Heiligsten Herzen“ sollen in kleinen Gruppen das Los der Armen teilen, in ihrer Lebensgestalt wirklich arm, brüderlich und unterschiedslos offen für alle sein 85.
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