Innerkirchliche Frauenverachtung hat System
Diese Beseitigung von Diskriminierung sowie die volle Chancengleichheit und Geschlechtergerechtigkeit in der römisch-katholischen Kirche halte ich für eine – wenn nicht sogar für die zentrale – Bedingung der Möglichkeit, auf Augenhöhe zu kommunizieren und in die Gesellschaften aller Kulturen hinein ein Vorbild für eine neue Geschwisterlichkeit und globale Solidarität abzugeben, wie sie Papst Franziskus in seiner Sozialenzyklika „Fratelli tutti“ fordert. 37Die Frauenfrage ist ein Thema, das die Hälfte der Menschheit als Individuen betrifft und in allen Kulturen, Gesellschafts- und Staatsformen eine Rolle spielt. Als weltumspannende Institution könnte die katholische Kirche hier eine Vorreiterfunktion übernehmen, um der Ungleichbehandlung, Ausbeutung, Diskriminierung von Frauen auf dem Boden der froh machenden Botschaft Jesu Christi, seines wertschätzenden Umgangs mit Frauen, seiner Erwählung von Frauen zu Erstzeuginnen der Auferstehung und seines Rufs in die Nachfolge unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Status entgegenzuwirken. Von dieser Voraussetzung sind wir allerdings innerkirchlich weit entfernt. Stattdessen wird ein Klassensystem aufrechterhalten, das schon rein sprachlich das Volk Gottes aufteilt in Geweihte und Nicht-Geweihte, Haupt- und Ehrenamtliche, Mann und Frau. 38
Als (Ordens-)Frau bin ich besonders sensibilisiert für Erfahrungen, die mit Abwertung, Verachtung und Ausgrenzung von Frauen in der von Männern dominierten Kirche zu tun haben. Chauvinismus, Sexismus und Misogynie sind ähnlich wie Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie oder andere Formen der Stigmatisierung Andersdenkender, -glaubender oder -liebender für mich als gläubige Christin unerträglich, weil sie nicht nur Lehre und Leben Jesu Christi konterkarieren, sondern gegen alles verstoßen, wofür Kirche zu stehen hat. Sie sind aber an der Tagesordnung – nicht nur, weil wir alle Sünder*innen und fehlbar sind – sondern weil die Strukturen selbst Schieflagen und Asymmetrien hervorbringen.
Ich möchte dies an einem konkreten Beispiel illustrieren: Am Nachmittag des 9. Mai 2019 sprach der Vorsitzende der Religiosenkongregation im Vatikan, Kardinal Braz de Aviz, zu den in Rom versammelten 850 Generaloberinnen. Zunächst dankte er den Ordensfrauen für ihren Dienst und teilte einige Neuigkeiten aus seiner Behörde mit. Der jovial wirkende Kardinal gilt als umgänglich und offen für die Anliegen der Ordensgemeinschaften. Nach einer kurzen Ansprache stellte er sich unseren Fragen. Es ging um Finanzen, Ordensnachwuchs und andere Themen. Jedes Mal antwortete der Brasilianer ausführlich und zeigte Sinn für Unterhaltung und Humor. Grundlegend ermutigte de Aviz die aus der ganzen Welt angereisten Schwestern, nicht zu ängstlich zu sein oder auf das Kirchenrecht zu schielen, sondern die eigenen Ermessensspielräume kreativ auszuloten und pragmatisch zu nutzen. Als ich an die Reihe kam, stellte ich dem Kardinal die Frage, was denn die Kommission herausgefunden habe, die sich seit 2016 mit dem Frauendiakonat beschäftigt hatte. Auf einmal verfinsterte sich die Miene des vorher so unterhaltungsfrohen und zum Plaudern aufgelegten de Aviz: „Dazu kann ich nichts sagen. Ich habe mit der Kommission nichts zu tun.“ Punkt. Kein vermittelndes Wort, keine freundliche Erklärung. Ich konnte gar nicht anders, als mich schlichtweg abgewürgt zu fühlen. Dann folgte ein Nachsatz im chauvinistisch-paternalistischen Ton: „Wenn ich in Ihre Runde schaue, sehe ich, wie viel sich im Ordensleben verändert hat. So viele bunte Gewänder. So viele schön gestaltete Frisuren.“ Innerlich kochte ich vor Wut. Am Ende der Sitzung schlug ich mich ans Podium durch und wartete geduldig, bis der Kardinal die zahlreichen Wünsche erfüllt hatte, sich mit ihm ablichten zu lassen.
„Herr Kardinal, würden Sie den Satz, den Sie vorhin über unsere bunten Ordenskleider und hübschen Frisuren gesagt haben, auch so sagen, wenn Sie zur Mitgliederversammlung der Vereinigung der Ordensoberen (USG) eingeladen wären? Würden Sie vor 850 Äbten, Generaloberen und Provinzialen wiederholen, man könne den Fortschritt, den das Ordensleben in den letzten Jahrzehnten gemacht habe, daran erkennen, dass sie so bunt vor Ihnen sitzen und so hübsche Frisuren hätten? Ich sehne mich nach einer Kirche, in der Frauen endlich ernst genommen werden und man mit uns auf Augenhöhe über Inhalte spricht statt über Äußerlichkeiten.“ Sichtlich überrascht über meine Aufregung versuchte der Kardinal zu beschwichtigen: „Ich komme aus einer kinderreichen Familie mit vielen Brüdern und Schwestern. Wir haben immer viel gestritten, das ist ganz normal. Da gab es keine Unterschiede …“ Bald dämmerte mir, dass es an dieser Stelle keinen Sinn haben würde, weiter zu diskutieren; die Schlange der Schwestern, die den Kardinal persönlich sprechen wollten, war noch lang. Also verabschiedete ich mich mit den Worten: „Machen wir weiter im Einsatz für das Reich Gottes!“ 39
Symbolische Gesten reichen nicht
Diese Begegnung vom Vortag ging mir noch durch den Kopf, als die Kameraleute von Vatikan News Bilder auf die Leinwände produzierten, die uns signalisierten: Es geht los, der Papst kommt. Nach der Eröffnung der Fotodokumentation über Talitha Kum zog er Seite an Seite mit Sr. Carmen Sammut in die Audienzhalle ein und schritt die Stufen herab. Spontan erinnerte mich die Feierlichkeit des Anblicks an eine Hochzeit – allerdings in vertauschten Kleidern und Rollen: Der Papst im langen weißen Gewand und an seiner Seite die Präsidentin der UISG im dunklen Kostüm. Dahinter die Security-Leute, Staatssekretäre und engsten Mitarbeiter des Papstes. Unter dem Applaus der aus der ganzen Welt versammelten Schwestern näherte sich die Prozession einem Podium, das – anders als drei Jahre zuvor – nicht oben auf der Tribüne aufgebaut, sondern unterhalb auf der Ebene des Auditoriums stand. Hatte der Papst 2016 auf einem großen weißen Sessel Platz genommen, flankiert von seinen Staatssekretären, war diesmal ein Tisch bereitgestellt mit zwei unterschiedlich großen Stühlen. Kurzerhand ließ Franziskus den für ihn gerichteten Sessel wegtragen und durch einen kleineren Stuhl ersetzen. Dann bat er Sr. Carmen Sammut, sich direkt neben ihn zu setzen. Wohl um ihre Verlegenheit zu überspielen, kommentierte diese schlagfertig die ihr zuteilwerdende Ehre mit den Worten: „Oh, ich sitze zur Rechten des Vaters.“
Es wird viel darüber spekuliert, inwiefern diese Gesten, für die Papst Franziskus bekannt ist, eine nachhaltige Wirkung haben oder ob sie nicht lediglich darüber hinwegtäuschen, dass er letztlich kaum einschneidende Veränderungen vornimmt, sondern lehramtlich und kirchenrechtlich vieles beim Alten belässt. Auch ich bin hin- und hergerissen, wie die Zeichen und Symbolpolitik einzuordnen sind. In Gedanken gehe ich zurück zu Berninis Cathedra Petri, die nur wenige hundert Meter von der Audienzhalle in Bronze gegossen die Überhöhung des Papstamtes wirkmächtig vor Augen führt. Wenn ich dann sehe, dass 400 Jahre später der ranghöchste Repräsentant dieser Kirche an der Seite einer Frau am Tisch sitzt, ahne ich, welche gewaltige Entwicklung zwischen dem Selbstverständnis Urban VIII. in der frühen Neuzeit und Franziskus I. in der Spätmoderne liegt.
Gemessen an dem Verhalten Jesu, der sich mit Zöllnern und Dirnen zu Tisch legte und grundsätzlich keine Berührungsängste mit Frauen und Fremden, Ausgestoßenen und Sündern hegte, scheint mir allerdings auch diese Inszenierung geradezu grotesk. Und ich frage mich: Was muss geschehen, damit wir angstfrei auf Augenhöhe miteinander kommunizieren? Wie könnten Hierarchien durchbrochen, eine entklerikalisierte Kirche realisiert werden, in der das jesuanische Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe tatsächlich Maßstab allen Redens, Entscheidens und Handelns wäre?
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