128Frick verweist in diesem Zusammenhang (vgl. z. B. Frick 2014a, S. 288) immer wieder auf die Unterscheidung von erfüllbarem Bedürfnis ( besoin) und unstillbarem Begehren ( désir) bei Emmanuel Lévinas (vgl. Lévinas 1998, S. 209–235, v. a. 225). Könnte evtl. „Sehnsucht“ eine geeignetere Übersetzung sein für Lévinas‘ désir? Spiritualität zielt auf etwas, das nicht einfach zu haben oder zu machen ist. Dies könnte eine Ähnlichkeit aufweisen mit Thomas von Aquins Aussage zum Glaubensakt, dass dieser auf die gemeinte „Sache“ ziele, welche freilich – zumal, wenn es um Gott geht – nicht zu „haben“ ist: „Actus autem credentis non terminatur ad enuntiabile, sed ad rem, non enim formamus enuntiabilia nisi ut per ea de rebus cognitionem habeamus, sicut in scientia, ita et in fide.“ (S.th. II-II, 1,2, ad 2)
129Dazu auch die Beobachtung von Rüdiger Safranski, dass das „religiöse Bedürfnis“ entgegen Sigmund Freuds Erwartung nicht verschwunden sei: „Das religiöse Bedürfnis ist eine Sehnsucht nach Religion, das Verlangen also, in einen religiösen Lebens- und Erfahrungshorizont hineinzukommen. Und was ist ein religiöser Lebens- und Erfahrungshorizont? Vielleicht läßt er sich definieren als die durch Rituale, Institutionen, Symbole stabilisierte Zugehörigkeit zu einem übergreifenden und tragenden Sinnzusammenhang. Man will in einem seelisch-geistigen Sinne zu Hause sein. Dieses Verlangen nach umfassender Sinnerfüllung ist wahrscheinlich grundlegend. Es kann unterschiedlich befriedigt werden. Und – was das wichtigste dabei ist – dieses Verlangen nach Sinn und Zugehörigkeit kann auch auf perverse Weise befriedigt werden. Religionen können pervertieren – man spricht dann von ‚Ersatzreligionen‘ oder Ideologien.“ (Safranski 2002, S. 17)
130Das ist ökumenischer theologischer Konsens: Michael Klessmann hält eine funktionale Sicht auf Religion, Weltanschauung und Glaube für ein plausibles Vorgehen in den Gesundheitswissenschaften, das Forschungsperspektiven ermögliche; problematisch sei es aber, „wie nun auch Gott im Sinn unserer westlichen Gesundheitsideologie funktionalisiert wird“ und Gott „der Gesundheit dienstbar gemacht“ werde (vgl. Klessmann 1999, S. 404 f.). Neil Francis Pembroke ist gegen eine völlige utilitaristische Aneignung von Religiosität bzw. Spiritualität, die diese nur zu einer weiteren therapeutischen „Waffe“ mache, plädiert aber für eine Wahrnehmung des Patienten als ganzen Menschen (vgl. Pembroke 2008, S. 553 f.). Klaus Baumann hält eine funktionale Perspektive im Gesundheitswesen für legitim und notwendig, Religion wie auch die persönliche Religiosität/Spiritualität dürften aber nicht darauf reduziert werden (vgl. Baumann 2012, S. 114).
131Eine empirische Untersuchung von William J.F. Keenan und Tatjana Schnell (2011) an einem deutschsprachigen Sample könnte in diesem Zusammenhang interessant sein: 102 via Internet rekrutierte Personen, die sich als Atheisten bezeichneten, beantworteten den „Fragebogen zu Lebensbedeutungen und Lebenssinn“ (LeBe; Schnell 2004; Schnell & Becker 2007). Allerdings ist das Sample ziemlich speziell (online, sehr jung, sehr hoher Bildungsgrad) und damit nicht leicht generalisierbar.
132Richard Sloan vermutet, dass in den USA religiös-sein als sozial erwünscht empfunden werde (vgl. Sloan 2006, S. 147) f.).
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