Müßiggang, dem Sprichwort nach „aller Laster Anfang“, wird gemeinhin wohl kaum mit dem Begriff „Schule“ in Verbindung gebracht. Und doch gehen die sprachlichen Wurzeln des Wortes „Schule“, griechisch scholé, auf diesen Ursprung zurück: Gemeint war damit zwar nicht eine Zeit des Nichtstuns , wohl aber eine nicht vordefinierte Zeit zweckfreien Tuns. Schule, so verstanden, als Einrichtung des zweckfreien Sich-Zeit-Nehmens für diverse Studien, insbesondere der Philosophie, Mathematik und Theologie, hat mithin eine lange Geschichte mit Wurzeln im antiken Griechenland; die Grundschule hingegen, wie man sie heute in Deutschland vorfindet, weist – was überraschen mag – eine vergleichsweise sehr junge Geschichte auf.
Doch obwohl dem so ist: Eine wissenschaftliche Untersuchung ihrer Wurzeln, die schul- bzw. ideengeschichtlich für sich genommen nun auch wiederum tief greifen und erst manches von dem verständlich machen, worum heute in der schulischen Landschaft gerungen wird, stellt ein Desiderat dar. 35Ihm stellt sich unter der hermeneutischen Voreinstellung, dass „Erziehung und Bildung ohne die geschichtliche Dimension nicht verstanden werden können“ 36, dieser erste Teil der vorliegenden Studie.
In Eingrenzung des Themas geht es dabei vorzüglich allerdings nur um die auf Konfessionalität ausgerichteten historischen Wurzeln einer Grundschule sowie die mit ihnen verbundenen pädagogischen Absichten und deren Bedingungsgefüge. Denn es ist das Anliegen dieser Studie, herauszuarbeiten, ob und inwiefern ein auf ein Bekenntnis ausgerichtetes, ideengeschichtliches Erbe einer Katholischen Grundschule substanziell ausgemacht werden kann, um im Anschluss daran prüfen zu können, ob und inwiefern dies heutigen grundschulischen Einrichtungen eine Orientierung in der Ausprägung ihres spezifischen Profils geben kann.
Mit Karl-Heinz Nave wird eine historische Eingrenzung vorgenommen, die aus der Definition des Begriffs „Grundschule“ ableitbar ist: Die Institution Grundschule ist eine „organisatorisch nicht in wesensverschiedene Institutionen gegliederte (undifferenzierte) Elementarschuleinrichtung eines Staates“ 37. Von einer Grundschule im Sinne einer für alle Kinder 38verbindlichen, gemeinsamen und verpflichtenden Einrichtung (als Teil der Volksschule) kann somit erst im Kontext der Weimarer Reichsverfassung von 1919 gesprochen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt besuchten – wenn überhaupt – die Kinder der ärmeren sozialen Schichten die Volksschule , die unter der Aufsicht der Kirche stand. Kinder aus den wohlhabenderen Familien hingegen besuchten diese Schulen in der Regel nicht, sie durchliefen beispielsweise sogenannte Vorschulen, die das Ziel der Vorbereitung auf das Gymnasium verfolgten. Auch Privatunterricht war für Kinder privilegierter Kreise des Adels und des reichen Bürgertums nicht selten.
Die Grundschule von Weima r als Bekenntnisschule wurde trotz des 1933 zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan geschlossenen Reichskonkordats, das den Erhalt und die Neuerrichtung von Konfessionsschulen rechtlich absicherte, in dieser Form aufgelöst und schließlich 1941 in eine achtjährige Volksschule überführt. 39Insofern lässt die Zeit des Nationalsozialismus keine deutliche Fokussierung auf den Aspekt einer „Grundschule als Bekenntnisschule“ zu und wird daher schulgeschichtlich in dieser Untersuchung unberücksichtigt bleiben.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und dessen Zusammenbruch stellte sich die Frage einer „Bekenntnishaftigkeit und Bekenntnisgebundenheit“ der Grundschule erneut. Die Besatzungsmächte, denen nach dem Krieg an der zügigen Wiedererrichtung der Schulen gelegen war, suchten in dieser Frage nach Lösungen, die man letztendlich in der „Zeit von Weimar“ fand.
1968 schließlich provozierten die Auflösung der Volksschule und die damit verbundene Gründung einer Grundschule innerhalb der Primarstufe und einer Hauptschule innerhalb der Sekundarstufe I des Bildungswesens – als jeweils eigenständige Schulformen – erneut die Frage nach der Bekenntnishaftigkeit einer staatlichen Regelschule.
So ergeben sich nun vier historische Abschnitte, in denen es die Grundschule als Bekenntnisschule zu untersuchen gilt:
•die Grundschule der Weimarer Republik (2.1 und 2.2),
•die Grundschule nach dem 2. Weltkrieg (2.3),
•die Grundschule in NRW von 1968 (2.4) sowie
•die Grundschule in NRW in den Folgejahren bis heute (2.4).
2.1Die Grundschule der Weimarer Verfassung
Der Blick und das Hauptaugenmerk gelten zunächst der „Gründungsphase“ der Grundschule innerhalb der Weimarer Republik und den damit einhergehenden Auseinandersetzungen um ihre Bestimmung und Ausrichtung, dem Für und Wider einer auf ein Bekenntnis ausgerichteten „grundschulischen“ Bildung und Erziehung.
Bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches 1918 waren die Schulen hinsichtlich ihrer Organisationsstruktur und ihrer inhaltlichen Programmatik an eine durch Klassen und Stände bestimmte Sozialordnung gebunden. Die meisten Kinder besuchten die einklassige Volksschule. Daneben gab es private oder öffentliche, häufig in eine weiterführende Schule integrierte Vorschulen oder auch Privatunterricht. 40
Auf die Entwicklung dieser Volksschule wirkten sich nach den Erfahrungen der Revolution von 1848 vornehmlich die stark regulativen Maßnahmen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV, 41prägend aus. Dabei kam namentlich der religiösen Erziehung eine besondere Bedeutung zu. Einen eindrucksstarken Einblick gewährt diesbezüglich Friedrich Paulsen in seiner „Kritik an einer Landschule um 1850“: „Hatte sich einer in ein, zwei Jahren, es konnten auch drei oder vier und mehr werden, durch die Tabellen [42]durchgearbeitet, dann kam er in den Katechismus, zuerst den kleinen, hierauf den großen, um endlich die Frucht der Lesekunst zu genießen, das Auswendiglernen.“ 43Und 1908 schreibt er: „Wie sie war? Sie war in ihrem Ursprung Bekenntnisschule. […] Was sie ist? Ein Mittelding zwischen der alten Bekenntnisschule und der neuen Volkserziehungsanstalt. […] Immerhin so, dass das kirchliche Bekenntnis noch als der anerkannte Maßstab aller Wahrheit gilt, dass das alte Ziel: bekenntnisfeste Glieder der Kirche zu erziehen, an keinem Punkt aufgegeben ist.“ 44
Dieses Zitat verdeutlicht exemplarisch, dass die am Bekenntnis ausgerichtete „Volksschule“ längst schon vor „Weimar“ infrage gestellt wurde. Die Problematik einer an einem Bekenntnis orientierten Grundschule kann also durchaus als „ pränatales“ Erbe betrachtet und interpretiert werden, als eine Art „Mitgift“, die sie in ihre eigentliche Gründungsphase bereits mit einbrachte.
Nach der Novemberrevolution von 1918 trat am 06.02.1919 in Weimar die im Januar 1919 gewählte Weimarer Nationalversammlung (kurz: W.N.) zusammen. Sie war in erster Linie mit der Aufgabe betraut, eine Reichsverfassung zu kreieren und zu erlassen sowie den von den Siegermächten vorgelegten Versailler Vertrag zu verhandeln. Parteipolitisch bildeten in der W.N. die SPD, das Zentrum und die linksliberale DVP die Mehrheitskoalition, Parteien also, die schulpolitisch und religiös unterschiedlich verortet und motiviert waren. Die Weimarer Verfassung wurde schließlich am 31.07.1919 verabschiedet. Am 21.05.1920 löste sich die W.N. auf und wurde nach den Reichstagswahlen im Juni 1920 vom Reichstag abgelöst. Die „Weimarer Koalition“ verlor bei diesen Wahlen bereits die Mehrheit, konnte sich in Preußen allerdings bis 1932 halten. 45In dieser kurzen Zeitspanne zwischen der W.N. und den Reichstagswahlen zum deutschen Reichstag liegt die Gründungsphase der Grundschule als Bekenntnisschule, denn in eben jener Periode ihrer Geschichte wurden die einschneidenden Entscheidungen für ihre weitere Entwicklung getroffen. Dabei traten unterschiedliche Vorstellungen und Vorschläge zur Ausgestaltung der Schullandschaft zutage. In den Ländern und im Reich überschlugen und entluden sich teils heftige und kontrovers geführte Diskussionen. So heißt es in einem programmatischen Aufruf der preußischen Regierung vom 13.11.1918: „Ausbau aller Bildungsinstitute, insbesondere der Volksschule, Schaffung der Einheitsschule, Befreiung der Schule von jeglicher Bevormundung, Trennung von Staat und Kirche.“ 46Im Gefolge dieser Programmatik sind dann die Verfügungen der preußischen Minister Haenisch und Hoffmann zu lesen, wonach:
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