Gelsdorf bot den Sané-Brüdern die Unterbringung bei einer Gastfamilie an, Mutter Regina eine Stelle als Trainerin und Vater Souleyman eine Position als Scout – alles vergebens. In Gelsdorfs Büro hängt dem Vernehmen nach noch heute ein Foto des jungen Leroy Sané jubelnd im Bayer-Dress. Immerhin profitierte Leverkusen fünf Jahre später vom Transfer zu Manchester City. Die Ausbildungsentschädigung im Regelwerk der FIFA sieht vor, dass sämtliche Vereine, für die ein Spieler zwischen seinem zwölften und 23. Lebensjahr spielte, prozentual an der Ablösesumme beteiligt werden. Bei Leroy Sané waren dies für Bayer immerhin knapp 375.000 Euro.
Schlüsselspieler waren andere
Die Rückkehr in die Knappenschmiede gestaltete sich für Leroy Sané schwieriger als erwartet. In seiner ersten Saison 2011/12 fand er sich in der Rolle des Ersatzspielers wieder. Die Protagonisten im Team des ehemaligen polnischen Nationalspielers Tomasz Waldoch (von 1999 bis 2006 selbst auf Schalke aktiv) waren die U17-Nationalspieler Max Meyer, Maximilian Dittgen, Donis Avdijaj und Tim Bodenröder. Meyer und Dittgen zogen im Mittelfeld die Fäden, die Angreifer Avdijaj (15 Saisontreffer) und Bodenröder (14) sorgten für Tore. Die Abwehr hielten im Zentrum Marvin Friedrich und auf der rechten Seite Leroy Sanés älterer Bruder Kim zusammen.
Der Durchbruch zum Bundesliga-Spieler auf Schalke blieb später mit Ausnahme von Max Meyer – der gebürtige Oberhausener war als 13-Jähriger in die Knappenschmiede gekommen und galt als deren Vorzeigetalent – allen versagt. Friedrich und Avdijaj waren dicht dran. Der aus Kassel stammende Friedrich absolvierte bis 2016 immerhin neun Pflichtspiele in Bundesliga, Champions League und Europa League, die meiste Zeit wurde er jedoch in der Regionalliga-Mannschaft eingesetzt. Nach der unglücklich verlaufenen Zwischenstation FC Augsburg wurde der Innenverteidiger im Sommer 2019 bei Aufsteiger Union Berlin doch noch zur Bundesliga-Stammkraft.
Der gebürtige Kosovare Avdijaj stand bei 19 Spielen im Schalker Kader, neunmal wurde er eingewechselt, dreimal durfte er von Beginn an ran. Im Winter 2017/18 wurde er an Roda JC Kerkrade ausgeliehen, danach spielte er bei Willem II Tilburg (beide Niederlande), Trabzonspor (Türkei) und Heart of Midlothian (Schottland). Kim Sané wurde während seiner Schalker Zeit immer wieder durch Verletzungen zurückgeworfen. Als 20-Jähriger wollte er 2015 in der Zweiten Mannschaft des 1. FC Nürnberg einen Neuanfang starten. Nach 17 Einsätzen in der Regionalliga Bayern verzichteten die Franken auf eine Vertragsverlängerung. Fünf Spiele absolvierte er danach noch für die SG Wattenscheid 09, ehe er im Frühjahr 2017 seine Laufbahn beendete. Maximilian Dittgen und Tim Bodenröder kehrten Schalke schon früher den Rücken: Dittgen wechselte als 17-Jähriger ebenfalls nach Nürnberg. Beim Club und danach beim 1. FC Kaiserslautern und dem SV Wehen Wiesbaden etablierte er sich in der Zweiten Bundesliga. Bodenröder zog es als 19-Jährigen zur SpVgg Greuther Fürth. Dort blieb er ohne Zweitliga-Einsatz, seit 2017 spielte er unterklassig in seiner Heimatstadt Hagen.
Leroy Sané stand in seiner ersten U17-Saison noch klar im Schatten dieser Spieler. In 15 Partien wurde er eingewechselt, erst beim 3:0-Sieg am 26. und letzten Spieltag bei Arminia Bielefeld wurde er für die Startelf nominiert. Lediglich ein Saisontreffer stand für ihn zu Buche: Ende Oktober 2011 bei der 2:5-Niederlage bei Borussia Dortmund kam er in der 54. Minute für Max Meyer, eine Viertelstunde später verkürzte er auf 2:4. Schalke schloss die Saison mit 18 Siegen, drei Unentschieden und fünf Niederlagen hinter dem 1. FC Köln als Zweiter ab. Ein weiterer Treffer gelang Leroy Sané im Finale um den Westfalenpokals gegen den Erzrivalen aus Dortmund. Nach seiner Einwechslung in der 57. Minute für seinen Bruder Kim setzte er in der 80. Minute den Schlusspunkt zum 3:0. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung mutmaßte in ihrem Spielbericht über die siegreichen Schalker: »Bei richtiger Hege und Pflege wird man von dem einen oder anderen auch in einigen Jahren noch etwas hören, und zwar nicht nur zwischen Scholven und Ückendorf, sondern überregional.« Mit der Schulmannschaft der Gesamtschule Berger Feld holte Leroy Sané bei »Jugend trainiert für Olympia« die NRW-Landesmeisterschaft in der Wettkampfklasse II (Jahrgänge 1996 bis 1998). Zum 6:1-Finalsieg gegen das mit mehreren seiner ehemaligen Teamkameraden von Bayer 04 angetretene Landrat-Lucas-Gymnasium Leverkusen steuerte er mit einem spektakulären Distanzschuss aus 25 Metern das schönste Tor des Tages bei.
Zur Saison 2012/13 wurde Trainer Tomasz Waldoch zur U14 delegiert, seine Nachfolge bei der U17 übernahm mit Jens Keller ein anderer langjähriger Bundesliga-Profi (141 Einsätze für den VfB Stuttgart, 1860 München, VfL Wolfsburg, 1. FC Köln und Eintracht Frankfurt). Vor seinem Wechsel zu Schalke arbeitete der gebürtige Stuttgarter beim VfB als Trainer der A-Jugend und zwei Monate auch als Interimscoach des Bundesliga-Teams, danach war er für die Schwaben als Scout tätig. »Am liebsten würde ich jedes Spiel gewinnen«, sagte Keller bei seinem Dienstantritt. »Aber das ist wohl nicht möglich. In erster Linie geht es im Nachwuchsbereich sowieso darum, die jungen Spieler zu fördern und sie weiterzuentwickeln.«
Aus der erfolgreichen Mannschaft der Vorsaison rückten unter anderem Max Meyer, Marvin Friedrich, Maximilian Dittgen und Leroy Sanés Bruder Kim in die U19 auf. Elf Spieler blieben übrig, zwölf neue stießen hinzu, einer von ihnen war Verteidiger Thilo Kehrer aus der U17 des VfB Stuttgart. Die ersten elf Saisonspiele in der U17-Bundesliga West sowie das Finale von »Jugend trainiert für Olympia« in Berlin verpasste Leroy Sané verletzungsbedingt. Ende November, beim 4:1-Heimsieg gegen Bayer 04 Leverkusen, wurde er in der 72. Minute eingewechselt, ebenso eine Woche später beim 2:1-Erfolg beim VfL Bochum, dem letzten Spiel von Trainer Jens Keller an der Seitenlinie. Der 42-Jährige wurde als Nachfolger des beurlaubten Huub Stevens überraschend zum Trainer der Bundesliga-Mannschaft befördert. Nach der Winterpause übernahm Frank Fahrenhorst die U17. Unter dem ehemaligen Bundesliga-Profi, bis dahin als Assistenztrainer der Zweiten Mannschaft tätig, erlebte Leroy Sané einen großen Leistungssprung. Schon beim internationalen Hallenturnier im Januar 2013 in Montabaur glänzte er mit sieben Treffern als Torschützenkönig. Im Finale zogen die Schalker gegen den Karlsruher SC mit 6:7 nach Neunmeterschießen den Kürzeren. Auf dem großen Feld gelang ihm Anfang März beim 5:0-Sieg bei Preußen Münster 20 Minuten nach seiner Einwechslung sein erster Saisontreffer. Von da an hatte Leroy Sané bis zum Saisonende seinen Platz in der Startelf sicher.
Bereits am drittletzten Spieltag machten die Knappen mit einem 4:2 über Alemannia Aachen den Titel in der U17-Bundesliga West perfekt. In der Abschlusstabelle standen 23 Siege, ein Unentschieden und zwei Niederlagen zu Buche, Donis Avdijaj holte sich mit 44 Saisontreffern die Torjägerkanone, für Leroy Sané blieb es bei einem. »Man wusste natürlich, dass er Talent hat, aber ich würde nicht sagen, dass er der Beste war«, fasste Mitspieler Maurice Neubauer den damaligen Status quo von Leroy Sané viele Jahre später treffend zusammen. Sein Talent aufblitzen ließ der Linksfuß im Halbfinale um den Westfalenpokal gegen den VfL Bochum. Er zeigte eine Trotzreaktion, nachdem ihn Trainer Frank Fahrenhorst vier Tage zuvor beim Bundesliga-Spiel in Aachen nach einer schwachen Leistung bereits nach 40 Minuten vom Feld genommen und gegen Bochum zunächst auf die Bank verbannt hatte. Nach der frühen Verletzung von Oguzhan Aydogan kam Leroy Sané bereits nach zehn Minuten in die Partie und gab gleich einen ersten gefährlichen Warnschuss ab. In der 70. Minute krönte er seine beste Saisonleistung mit einem Traumtor zum 3:1-Endstand. Aus 26 Metern versenkte er den Ball im VfL-Gehäuse. »Er hatte die Faust in der Tasche und hat genau die richtige Antwort gegeben«, sagte Fahrenhorst nach dem Spiel und verwies auf seine gelungene Erziehungsmaßnahme: »Die Jungs müssen merken, dass sie auch jetzt schon sehr viel investieren müssen.« Von derartigen Erziehungsmaßnahmen und Trotzreaktionen wird im weiteren Verlauf dieses Buches noch des Öfteren die Rede sein.
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