»Die Älteren erkennen mich noch auf der Straße und schwärmen von den alten Zeiten.«
Souleyman Sané über seine Heimat Wattenscheid
Eineinhalb Jahre spielte er in Tirol. Während der Winterpause 1995/96 peilte er eine Rückkehr zur SG Wattenscheid an – sein zweiter Sohn Leroy hatte inzwischen in Essen das Licht der Welt erblickt. Der Transfer scheiterte jedoch an der Ablöseforderung von 150.000 D-Mark. Stattdessen unterschrieb Sané beim FC Lausanne-Sport der Schweiz. 44 Spiele absolvierte er für den Erstligisten aus der Romandie, in denen ihm 18 Tore gelangen. Erst im Oktober 1997 klappte es mit der Heimkehr nach Wattenscheid. Beim seinem Comeback, einem 4:2 gegen Fortuna Köln, erzielte der inzwischen 36-Jährige einen Treffer selbst und holte den Freistoß heraus, der zum 1:0 führte. Den Sieg widmete er hinterher seinen Söhnen Kim und Leroy. In 45 Zweitliga-Spielen trug er bis zum Abstieg 1999 noch das schwarz-weiße Trikot (neun Tore). Danach ließ er seine Profikarriere jeweils eine halbe Saison beim Linzer ASK in Österreich und beim FC Schaffhausen in der Schweiz ausklingen. Im Anschluss trat er noch als Freizeitfußballer für mehrere unterklassige Vereine gegen den Ball und versuchte sich im Trainerbereich, unter anderem betreute er die Nationalmannschaft Sansibars.
2011 stieg Souleyman Sané als Scout in die Sportmanagementagentur T21+ der ehemaligen Bundesliga-Profis Jürgen Milewski und Jens Jeremies ein, die lange Zeit auch die Interessen seines Sohnes Leroy vertrat. Noch heute steht er diesem als wichtiger Karriere-Ratgeber zur Seite. Überliefert sind unter anderem diese klugen Sätze: »Nur weil er Fußballprofi ist, braucht er nicht zu denken, er sei intelligenter als ein Koch oder Straßenfeger. Das ist ein Beruf – mehr nicht.« Leroy Sané beschrieb das Vater-Sohn-Verhältnis im Ratgeber Dein Weg zum Fußballprofi wie folgt: »Mein Vater Souleyman macht mir, obwohl er selbst Profifußballer war, überhaupt keinen Druck, dass ich etwas Bestimmtes schaffen muss. Im Gegenteil, er hilft mir, wenn ich Fragen habe. Manchmal kritisiert er mich, was auch gut ist. Wir haben einen sehr guten Draht zueinander.« So weit zur sportlichen Vita von Souleyman Sané.
Neben dem Fußballer gab es auch den jungen Menschen, der sich zurechtfinden musste im rauen Deutschland der 1980er Jahre. »Es gab seinerzeit sehr wenige Schwarze in Deutschland. In manchen Dörfern kannten die Bewohner dunkelhäutige Menschen nur aus dem Fernsehen – sie hatten Afrikaner noch nie zuvor in Natura gesehen«, erzählte Souleyman Sané viele Jahre später im Magazin 11 Freunde . Manch einer hätte sich bei seinem Anblick sogar regelrecht gefürchtet. »Für diese Leute war das ein richtiger Schock, als sie das erste Mal einen Afrikaner an der Ampel sahen.«
Daheim in Frankreich war dies anders, in der einstigen Kolonialmacht gehören Migranten aus Nord-, West- und Zentralafrika seit jeher zum Alltag – und zum Fußball. »Da war es vollkommen normal, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe und Kultur zusammenspielen«, berichtete Sané. In Deutschland war er hingegen einer der ersten dunkelhäutigen Spieler überhaupt. Rassismus schlug ihm im Alltag, von den Zuschauerrängen und von den Gegenspielern entgegen. Negative Erfahrungen machte Sané bereits auf den schwäbischen Dorfplätzen, über die er mit dem FV Donaueschingen tingelte. »Ich sprach zu der Zeit ja überhaupt kein Deutsch, konnte mich also nicht gegen die rassistischen Beleidigungen der Zuschauer wehren. Meine Mannschaftskollegen sagten stets: Hör nicht auf diese Leute! Die wissen, dass du gut bist und wollen dich deshalb verunsichern. Mach dein Spiel, und wenn wir gewinnen, dann hast du gewonnen!«, erinnerte er sich zurück. Im Kicker berichtete er auch über alltägliche Episoden: Wenn er mit seinem BMW Cabrio an einer Ampel stehe, dann »glotzen mich die anderen Autofahrer schon mal ganz verstört an. Die fragen sich wohl, wie ein Asylant zu so einem Auto kommt.« Eine andere Geschichte erlebte er mit der Tochter eines Mannschaftskameraden. »Sie wollte mir auf keinen Fall die Hand geben, sie hatte Angst, dass ich abfärbe.«
Nicht besser wurde es später auf der großen Bühne Bundesliga. Schon der Empfang in Nürnberg verlief im Sommer 1988 alles andere als wohlwollend. Noch bevor er sein erstes Spiel im Trikot des Clubs absolviert hatte, startete die Abendzeitung eine Kampagne gegen den Stürmer. Als »delikate Angelegenheit« bezeichnete das Boulevardblatt die Verpflichtung des ersten dunkelhäutigen Spielers der Vereinsgeschichte und berichtete von Fans, die in Briefen und per Telefon angedroht hätten, ihre Dauerkarten zurückzugeben, »wenn ein Neger« im ruhmreichen Dress des 1. FC Nürnberg spiele. Club-Präsident Gerd Schmelzer war bemüht, den Bericht zu dementieren. Die Abendzeitung jedoch ließ nicht locker und stichelte weiter, bis Sané im Dezember 1989 die Sicherungen durchbrannten. Vor der wöchentlichen Pressekonferenz streckte er den Reporter (»Er hat Lügen über mich geschrieben«) mit einem Faustschlag nieder, der 1. FCN mahnte ihn daraufhin arbeitsrechtlich ab.
»Für diese Leute war das ein richtiger Schock, als sie das erste Mal einen Afrikaner an der Ampel sahen.«
Souleyman Sané über das Deutschland der 1980er Jahre
Auch mit Paul Steiner, dem Libero des 1. FC Köln, geriet Sané während seines Nürnberger Engagements aneinander. Nach dem Heimspiel gegen die Rheinländer im März 1990 (1:1) klagte er den späteren Weltmeister via Kicker an: »Nachdem ich eingewechselt wurde, hat er gleich wieder angefangen. Als ich an ihm vorbeilief, rief er: Du Scheiß-Neger! Verschwinde hier! Das war übrigens nicht das erste Mal. Schon in Köln hat er mich angemacht.« Steiner stellte die Geschehnisse aus seiner Sicht wie folgt dar: »Nach einem Foul hat mich Sané als Nazi beschimpft – und aus dem Wortgefecht heraus habe ich wohl Schwarze Sau zu ihm gesagt. Er spuckte mir ins Gesicht – und da habe ich mich wieder gehen lassen. In der Bundesliga gehört Provozieren dazu, das darf man nicht so eng sehen. Aber ein Rassist bin ich trotzdem nicht! Ich habe viele dunkelhäutige Bekannte. Auch mit Anthony Baffoe verstand ich mich gut, als er noch beim 1. FC Köln war. Trotzdem finde ich, Sané soll nicht immer so tun, als sei er der arme Schwarze, der für nichts was kann.«
Auch gegen die Beschimpfungen von den Rängen wusste sich Souleyman Sané zu wehren: »Ich konnte nur über Tore und gute Spiele die Rassisten mundtot machen«, sagte er. »Immer, wenn diese Affenrufe losgingen, dachte ich: Gleich schieße ich ein Tor – und dann seid ihr stumm!« Im DFB-Pokalspiel im Dezember 1990 beim Hamburger SV – Sané wurde wieder einmal mit »Neger-raus«-Rufen beschimpft – traf er drei Minuten vor Spielende zum Wattenscheider 2:1-Sieg. Hinterher sagte er in die TV-Kameras: »Nix Neger raus, der HSV ist raus!« Die Geschehnisse in Hamburg und der Mord am angolanischen Gastarbeiter Amadeu Antonio Kiowa durch rechtsextreme Jugendliche in Eberswalde/Brandenburg veranlassten ihn, gemeinsam mit den ghanaischen Profis Anthony Baffoe von Fortuna Düsseldorf und Anthony Yeboah von Eintracht Frankfurt in der Bild -Zeitung einen »offenen Brief an alle Fans« zu veröffentlichen, in dem es hieß: »Ich dachte immer, dass man in Deutschland ausländerfreundlich ist. Aber da habe ich mich wohl getäuscht. Was wir in Stadien an Beleidigungen zu hören bekommen, ja erdulden müssen, trifft ins Herz. Es hat uns wehgetan, wie die Schwarzen in den neuen Bundesländern behandelt werden. Wir wollen kein Freiwild sein!« Danach, so Sané, sei die Situation erträglicher geworden. Die Vereine begannen, sich mit der Thematik zu beschäftigen, der DFB startete die Kampagne »Mein Freund ist Ausländer.«
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