Birgit war schon einen Schritt weiter und nahm ein Handy aus ihrer Schreibtischschublade. »Bevor ich ab morgen ins seriöse Fach wechsle, will ich dir noch kurz meine sonstigen Rechercheergebnisse vorspielen.« Birgit grinste ihre Freundin an, Katharina konnte Birgits Freude nicht völlig unbeschwert erwidern.
»Was hast du gemacht?«
»Ich habe mich in Roberts Handy umgeschaut.« Katharinas entsetzten Blick konterte sie souverän: »Robert hat bei der Beerdigung sein Handy im Auto liegenlassen, ohne Sperre drin, und das Auto war offen. Ich habe ihm schnell eine Mail mit einem Link geschickt, bin hin, habe die Mail geöffnet und zack, kann die liebe Birgit dem süßen Robert ein bisschen über die Schulter schauen. Selbst schuld, wenn er so schlecht auf seinen Kram aufpasst.«
»Ich möchte dich nie zur Feindin haben, Birgit.« Mehr fiel Katharina nicht ein. Robert Adelhofer war im Fadenkreuz von Birgit Wachtelmaiers digitaler Welt aufgetaucht und daraus würde sie ihn nicht entlassen, bevor sie auch sein letztes Geheimnis entdeckt hatte.
Wie zum Beweis verkündete ihre Freundin:
»Drei gewählte Nummern, ein angenommener Anruf.« Ein paar Tasten später: »Angerufen hat ihn der Wedel und er selbst hat telefoniert mit seinen Eltern, und schau dir das an.« Birgit winkte Katharina zu sich: »Kennst du die Nummer?« Es war Katharinas Handynummer.
»Mich hat er angerufen? Habe ich noch gar nicht gecheckt«, sagte Katharina überrascht.
»Kannst du auch nicht, beautiful Robert lässt seine Rufnummer unterdrücken. Machen viele Prominente, das allein ist noch nichts Besonderes. Spannender wäre natürlich zu wissen, was er von dir wollte. Und er hat den Birnhuber Alfred angerufen. Mit dem hat er gesprochen.«
»Woher weißt du, dass diese Handynummer von Birnhuber ist?«
»Ich habe natürlich die Nummern aus dem gesamten Umfeld Adelhofers recherchiert und in mein Wundermaschinchen eingegeben, damit wir schneller vorankommen.«
Schon ertönte Adelhofers Stimme: »Servus Alfred, ich bin’s, der Robert. Wie geht’s?«
»Robert, dass du dich noch anrufen traust!«, empörte sich eine tiefe, rauchige Stimme. Im Hintergrund hörte man Gesprächsfetzen, untermalt von Gläsergeklirr. Kneipenatmosphäre.
»Wie meinst des, Alfred?«
»Robert, des weißt du genau, du Mörder. Ruf mich nie mehr an, des sag ich dir. Nie mehr, verstehst, wir sind fertig mitanand.«
42 Sekunden Gesprächsdauer zeigte das Display an.
»Birgit, als seriöse Journalistin muss ich dich für deine gesetzlosen Recherchemethoden tadeln. Ansonsten: danke. Da weiß ich deutlich mehr, bevor ich den Birnhuber übermorgen treffe.«
Birgit blickte kurz von ihrem Schreibtisch auf, zwinkerte und sagte: »Gut, Frau Langenfels, ich suche Ihnen bis heute Abend alle Artikel aus der Chiemseezeitung raus für den Besuch bei Birnhuber übermorgen. Gehen in Kopie an Riesche-Geppenhorst, Arbeitsnachweis, Sie verstehen.«
Katharina warf ihrer Freundin eine Kusshand zu und ging.
In der Zeit, bis sie Svenja abholte, entstand der zweite Artikel der Adelhofer-Reihe. Sie blieb bei den Fakten, ließ aber für die Freunde des Klatschs ihren engen Kontakt zu Adelhofer durchblicken.
Mittwochnachmittag,
München Bogenhausen
Mit einem leisen Summen öffnete sich die Tür ihrer Wohnung – wobei – Penthouse traf es besser. Sie warf den elektronischen Türöffner auf die Kommode am Eingang und trat ans Fenster – ihr Ritual beim Nachhausekommen –, als müsste sie sich bestätigen, dass sie tatsächlich hier wohnte, mitten in Bogenhausen, über den Dächern von München. Sie seufzte zufrieden, bis ihr der notdürftige Zustand ihrer Haare einfiel. Schnell ging sie ins Bad und begann das übliche Prozedere. Nach einer Dreiviertelstunde trat sie vor den Spiegel und war zufrieden. Sie fühlte sich wieder wie ein Mensch und konnte beginnen, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Kurze WhatsApp: »Hallo, Thomas. Kann dir dein neues Handy gern erklären. Gruß, Jana.«
Nur nicht zu freundlich klingen, kein »liebe Grüße«, kein Date vorschlagen. Nur die nette Jana spielen, die dem Kumpel Thomas mit seinem neuen Smartphone hilft …
Stolz griff sie zum Schokoriegel.
WhatsApp-Alarm: »Gerne, komme morgen 19 Uhr zu dir. Adresse? LG Thomas«.
Grinsend schickte sie ihm ihre Anschrift. Morgen würde sie ihr Haar besonders gründlich stylen, reichlich Parfum auftragen, den neuen Stringtanga anziehen und dann würde es laufen wie immer …
Freitagmorgen, München Haidhausen
Punkt 10 Uhr klingelte Katharina bei ihrer Mutter. Neben ihr stand Svenja, ihren Elyas-M’Barek-Rucksack auf dem Rücken, die Elyas-M’Barek-Kappe auf dem Kopf und ein strahlendes Lächeln im Gesicht.
Die Tür ging auf und sofort sprang Svenja ihrer Oma an den Hals.
»Svenjalein, wie schön, dass du da bist. Und was für eine tolle Kappe du aufhast. Mensch, die hätte ich auch gern.«
Über Svenjas Kopf hinweg grinste Susanne Hartschmidt ihre Tochter an. »Katharinchen, magst du noch auf einen Kaffee reinkommen?« Mit Svenja auf dem Arm kam ihre Mutter auf Katharina zu und drückte ihr liebevoll einen Kuss auf die Wange.
»Nein, Mama, das ist lieb, aber ich muss los. Um 17 Uhr bin ich zurück.« Svenja zappelte auf Omis Arm, Susanne Hartschmidt konnte nur noch über die Schulter rufen: »18 Uhr kommt meine Qi-Gong-Gruppe, bis dahin habe ich alle Zeit der Welt für meine Enkeltochter. Du musst jetzt selbst stehen, Svenjalein, so leicht bist du nicht mehr.« Nach einem schmatzenden Kuss auf die Wange stellte sie Svenja auf den Boden. Katharina drückte ihre Tochter zum Abschied und fuhr los. Breitbrunn am Chiemsee, 124 Kilometer laut Navi.
Gedanklich war Katharina noch bei ihrer Mutter. Was für ein Glück sie mit ihr hatte. Sie führte ein erfülltes, für Katharinas Geschmack etwas zu esoterisches Leben und war vollkommen mit sich zufrieden. Kamen Katharina oder ihre Enkelin, war sie zu hundert Prozent Mama oder Oma. Fantastisch! Und keine Selbstverständlichkeit, wie Katharina von diversen Freundinnen mit mehr als schwierigen Mutter-Tochter-Beziehungen wusste.
Habe ich ihr das eigentlich jemals gesagt, fragte sie sich schuldbewusst – wahrscheinlich hat sie es bei einer ihrer Liebesmeditationen gespürt, beruhigte sie sich gleich selbst.
Eineinhalb Stunden später stand Katharina in Breitbrunn vor einer großen alten Kastanie – diesen kurzen Abstecher musste sie sich heute gönnen. Die Kastanie war »ihr« Baum, auf den sie sich früher oft zurückgezogen hatte, wenn Familie Langenfels sich ein Wochenende auf dem Stangerlhof gönnte.
Es gibt ihn noch, dachte sie und sah, wie leicht der Baum für sie als Erwachsene zu erklettern war. Die drei großen Stämme boten jeweils in der richtigen Höhe Einbuchtungen, die man als Stufen benutzen konnte.
30 Sekunden später war sie oben. Als Kind war die Besteigung ein kleines Abenteuer gewesen.
Von oben sah sie den vertrauten Ausblick auf den Chiemsee auf der linken Seite und die Straße Richtung Gstadt auf der rechten. Kam damals ein Auto vorbei, hatte Katharina Kennzeichen, Wagentyp und Auffälligkeiten der Insassen in ein imaginäres Walkie-Talkie geflüstert – dass sie später nicht Polizistin werden würde, hätte sie damals nie geglaubt.
Unzählige Seiten Tagebücher hatte sie hier oben vollgeschrieben – mit Liebeskummer, Ärger über Lehrer, Ungerechtigkeiten der Eltern. Einen ganzen Karfreitagnachmittag hatte sie beleidigt hier verbracht – und sich gefreut, als ihre Eltern unten nach ihr suchten und nicht auf die Idee kamen, nach oben zu schauen.
Den Grund wusste sie nicht mehr, nur wie ihre Mutter liebevoll die Arme ausgebreitet hatte, als sie wiederaufgetaucht war.
Während sie vom Baum stieg, überlegte Katharina, dass es vielleicht kein Zufall war, dass sie 20 Jahre später hierherkam, um zu recherchieren, wenn auch nicht als Polizistin. Immerhin war ein Toter im Spiel.
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