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Mit Wholesale-CBDC, bei dem digitales Zentralbankgeld nur einer begrenzten Nutzergruppe zur Verfügung gestellt wird, könnte die heutige Verwendung des Zentralbankgeldes weitgehend beibehalten werden. Daher gelten die volkswirtschaftlichen Implikationen als beherrschbar und überschaubar. Im gegenwärtigen Geldsystem gibt es leicht vereinfacht dargestellt drei Akteure: Zentralbank, Geschäftsbank, Nicht-Bank. Die Zentralbank emittiert Zentralbankengeld in barer und unbarer Form an die Geschäftsbanken. Die Geschäftsbanken nutzen Zentralbankgeld für die Transaktionen großer Beträge untereinander, zum Beispiel in der Abwicklung von Finanzmarkttransaktionen. Sie schöpfen Geschäftsbankengeld und bieten das Depositengeschäft für Nicht-Banken an. Nicht-Banken erhalten Kredite von Geschäftsbanken und können ihre Depositen in bar abheben. Bargeld ist die einzige Form des Zentralbankgeldes, das Nicht-Banken zur Verfügung steht. Den Geschäftsbanken sind die meisten Finanzgeschäfte vorbehalten, da sie einer entsprechenden Regulierung und Überwachung unterliegen.
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Die Emission von Wholesale-CBDC, das nur an Geschäftsbanken ausgegeben würde, ließe das Finanzsystem in seiner Grundkonstruktion unverändert. Aus geldpolitischer und finanzstabilitätspolitischer Sicht sollten ceteris paribus keine signifikanten Risiken durch eine neue Geldform resultieren.
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Der Begriff des Wholesale-Geschäftes wird jedoch in Geschäftsbankenkreisen anders verstanden als in der Zentralbank. In Geschäftsbanken ist der Wholesale-Begriff über das Geschäftsvolumen und die Art der Geschäfte eines Geschäftspartners definiert. Kunden, die größere Transaktionen abwickeln und Geschäfte tätigen, die ein stärker ausgebautes professionelles Finanzmanagement erfordern, werden als Wholesale-Kunden bezeichnet und anders behandelt. Privatleute und kleinere Unternehmen zählen dagegen zum Retail-Geschäft.
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In der Tat gibt es zahlreiche Unternehmen, die formal Nicht-Banken sind, deren Finanztransaktionen aber hinsichtlich Volumen und Diversität die Aktivitäten einiger Banken deutlich übersteigen. Diese Unternehmen könnten im besonderen Maße von den Möglichkeiten der neuen Technologien profitieren, wären aber bei der Wholesale-Variante des digitalen Zentralbankgeldes ausgeschlossen. Sie könnten sich nur in Zusammenarbeit mit einer Bank an entsprechenden Abwicklungssystemen beteiligen. Daher ist zu überlegen, ob die Weitergabe von digitalem Zentralbankgeld durch Banken an Unternehmen in engen Grenzen erwogen werden könnte. Ob dies als eine neue technische Form von Geschäftsbankengeld geschehen würde, das nur teilweise von Zentralbankgeld gedeckt ist, oder vollgedeckt nur an bestimmte Nutzer weitergegeben würde, wären zwei zu prüfende Optionen. In jedem Fall müsste sichergestellt werden, dass dies keine negativen Auswirkungen auf die Geldpolitik hätte. Dabei könnte man sich an den Erfahrungen einiger Zentralbanken (auch der Bundesbank) orientieren, die auch in jüngerer Zeit Konten für bestimmte Wirtschaftsunternehmen, die nicht Banken waren, geführt haben.
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Aus Zentralbanksicht hätte digitales Zentralbankgeld in der Wholesale-Variante den Vorteil, dass die Struktur des zweistufigen Bankensystems nicht grundsätzlich in Frage gestellt würde. Zu klären bliebe, in welcher Form die Banken Digitales Zentralbankgeld an welche Kunden weitergeben würden. Möglicherweise könnte die Weitergabe zunächst auf solche Unternehmen begrenzt werden, die es benötigen, um damit DLT-basierte Anwendungen friktionslos betreiben zu können.
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Unter Retail-CBDC wird digitales Zentralbankgeld verstanden, das für alle Wirtschaftssubjekte zur Verfügung steht. Bislang können die meisten Wirtschaftssubjekte Zentralbankgeld nur in Form des Bargeldes nutzen. Es mag sein, dass daher auch das Bestreben kommt, CBDC mit bargeldähnlichen Funktionalitäten auszustatten. Die Verwendung von Bargeld als Zahlungsmittel geht in den großen Volkswirtschaften tendenziell seit einigen Jahrzehnten zurück. Selbst in den Ländern, die als intensivere Bargeldnutzer gelten, wie Deutschland oder Österreich, spielt Bargeld nur noch eine untergeordnete Rolle. Allein am Point of Sale, also an den Kassen des Handels, werden stückmäßig noch die meisten Transaktionen in bar abgewickelt. Wertmäßig ist das auch dort nicht mehr der Fall. Berücksichtigt man, dass die am Point of Sale abgewickelten Transaktionen gemessen an allen Transaktionen einer Volkswirtschaft eher weniger bedeutend sind, wird klar, dass die Bedeutung des Bargeldes eher gering ist. Gleichwohl kommt Bargeld eine hohe emotionale Bedeutung zu. Diese dürfte sich weniger aus der Eigenschaft des Zentralbankgeldes speisen, sondern mehr noch aus der Fähigkeit, mit Bargeld einfach, bequem und anonym bezahlen zu können. Die Unterscheidung zwischen Zentralbankgeld und Geschäftsbankengeld ist nur von handlungsleitender Bedeutung im Falle einer krisenhaften Zuspitzung im Finanzsektor, die zur Flucht in das Bargeld führen kann zulasten von Bankeinlagen. In manchen Ländern ist Bargeld von elektronischen Zahlungsmitteln soweit verdrängt worden, dass es regional nur erschwert noch zu beziehen ist bzw. nur unter Bedingungen angenommen wird. Daher wird als Motiv für CBDC oft genannt, den Bürgern auch bei abnehmender Bedeutung des Bargeldes eine Form von Zentralbankgeld anzubieten.
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Auch die Diskussion im Euroraum konzentriert sich inzwischen wie in den meisten der bedeutenderen Währungsräume auf digitales Zentralbankgeld in der sog. Retail-Variante. Im Bericht der High Level Task Force des Eurosystems zum Digitalen Euro vom 2.10.2020 wurden die Fragen aufgeworfen, unter welchen Umständen und in welchen denkbaren Ausprägungen der Allgemeinheit digitales Zentralbankgeld angeboten werden könnte.28 Dabei werden als mögliche Motivation auch solche Szenarien ins Feld geführt, die unter anderem das Ziel haben, für Bürgerinnen und Bürger den Zugang zu ausfallsicherem Zentralbankgeld sicherzustellen, sollte Bargeld kaum noch genutzt werden. Allerdings bekennt sich das Eurosystem weiterhin zur Ausgabe von Bargeld, solange eine Nachfrage danach existiert. Ein anderes Szenario begründet die Notwendigkeit einer europäischen Alternative zu privatwirtschaftlich angebotenen Stablecoins oder dem digitalen Zentralbankgeld anderer Zentralbanken. Angesichts dieser Szenarien ist es wichtig, dass das Eurosystem sich analytisch, technisch und organisatorisch mit der möglichen Emission digitalen Zentralbankgeldes befasst, um gegebenenfalls vorbereitet zu sein.
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Die Sicherstellung des Zugangs zu Zentralbankgeld in Zeiten abnehmender Bargeldnutzung ist jedoch ein Ziel, das wenig zu tun hat mit den Möglichkeiten der neuen Technologien oder den Chancen programmierbarer Zahlungen an sich. Genau genommen ist es eher eine neue Variante der Debatte um Vollgeld, die seit den 1930er Jahren geführt wird.29 Einen einfachen Zugang zu digitalem Zentralbankgeld hätte man durch Kontoführung bei der Zentralbank auch vor DLT gewähren können. Bislang hat man sich grundsätzlich für das zweistufige Bankensystem mit einem beschränkten Zugang zu Zentralbankgeld in unbarer Form entschieden.
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Digitales Zentralbankgeld als Retail-CBDC wäre unter allen Formen digitalen Geldes die weitestgehende Variante mit den mutmaßlich gravierendsten Implikationen.30 Die Implikationen sind zu erwarten, wenn Retail-CBDC eine breite Verwendung im Zahlungsverkehr und möglicherweise auch in der Wertaufbewahrung erlangt und damit die heute dominierenden Einlagen bei Geschäftsbanken verdrängt. Eine hohe Akzeptanz ist naturgemäß das Ziel bei der Einführung einer neuen Geldform. Wenn sie der Bevölkerung auf breiter Basis Zugang zu Zentralbankgeld, gleichsam als Substitut für Bargeld, gewähren soll, muss sie auf breite Akzeptanz ausgelegt sein, also einfach und kommod in der Nutzung, technisch sicher und in den Kosten günstig, wenn nicht gar kostenlos für den gängigen funktionalen Bedarf der Privathaushalte. Einfach gesprochen: Retail-CBDC müsste so einfach und günstig wie Bargeld werden. Wenn das gelänge und gleichzeitig die technische Übertragung in einem von den Zentralbanken betriebenen oder beaufsichtigten Netzwerk mindestens so sicher erfolgte wie im heutigen Giro-System, dürfte sich Retail-CBDC als die überlegene Geldform am Markt durchsetzen. Die höhere Ausfallsicherheit als Geschäftsbankengeld weist es ohnehin auf. Der Schritt von der Nutzung des Retail-CBDC für Transaktionszwecke zur Nutzung als Wertaufbewahrungsmittel ist dann nicht weit. Daher kann in diesem Fall ceteris paribus mit einer weitreichenden Substitution heutiger Sicht- und Spareinlagen bei Geschäftsbanken durch Retail-CBDC gerechnet werden. Selbst die Bargeldhortung, die dem Diebstahl- und Verlustrisiko unterliegt, könnte teilweise zugunsten von Retail-CBDC aufgelöst werden.
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