1 ...7 8 9 11 12 13 ...52 68
Aktuell gibt es 5725 ICO-Projekte mit einem erzielten Gesamtfinanzierungsvolumen von 27 Mrd. US-$.112 Von den angekündigten ICOs waren letztlich lediglich 32,6 % erfolgreich. Die restlichen Projekte, die durch die ICOs finanziert wurden, existieren nicht mehr. Die mittlere (mediane) Kapitalbeschaffung zwischen 2015 und 2018 liegt bei 15,1 (5,8) Mio. US-Dollar, wobei knapp 40 % des Gesamtfinanzierungsvolumens von lediglich 20 ICOs eingenommen wurden. Wurden im November 2018 insgesamt durch ICOs noch rund 400 Mio. US-Dollar an Risikokapital eingesammelt, waren es ein Jahr später lediglich 50 Mio. US-Dollar. Die durchschnittliche (mediane) Zeit vom Projektstart bis zum ICO lag bei 598 (312) Tagen und weiteren 93 (42) Tagen bis zur Notierung auf einer Kryptowährungsbörse.113 Die Anzahl der ICO-Projekte ist im Zeitablauf gefallen und beläuft sich aktuell monatlich im einstelligen Bereich. Zum Jahresende 2019 gab es insgesamt 5711 angekündigte oder durchgeführte Projekte. Bis zum Juni 2020 kamen lediglich 14 Projekte hinzu. Der überwiegende Anteil der ICOs (87 %) wurde über die Ethereum-Plattform (ERC-20) aufgesetzt.114 Nach den aktuellen Zahlen spielt die Kapitalbeschaffung mittels ICOs keine bedeutende Rolle mehr.
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Eine Alternative zu den ICOs stellen sog. Initial Exchange Offerings (IEOs) dar. Hierbei werden ebenfalls meist Utility Token115 aufgesetzt. Im Prozess von IEOs werden Projekte von einer Handelsplattform begleitet und betreut. Durch die Begleitung erhofft sich die Branche einen Qualitätszuwachs und Rückgewinnung von Vertrauen, das, wie im Abschnitt II (Rn. 16ff.) erläutert, impliziter Bestandteil von Finanzkontrakten ist. Die Quantität der IEOs ist durch das Verfahren bedingt begrenzt. Aktuell sind rund 300 Projekte angekündigt.116 Ein grundlegendes Problem ist auch hier die rechtliche Unsicherheit, die auch im Abschnitt IV (Rn. 45ff.) thematisiert wird. Die amerikanische Finanzaufsichtsbehörde (SEC) veröffentlichte im Januar 2020 ein Schreiben, das vor Investitionen in IEOs warnt. Speziell geht es um die Frage, ob IEOs unter die Regularien der Finanzaufsichtsbehörde fallen. Sollten IEOs, vereinzelt oder als Ganzes, als Wertpapiere (Security) eingestuft werden, so hätte der IEO von einer registrierten Börse (Security Exchange) stattfinden müssen. Die geforderten regulatorischen Anforderungen erfüllen die Handelsplattformen für Kryptowährungen aktuell nicht.117 Für den Kryptowährungsmarkt wird es wichtig sein, einen Weg aus der rechtlichen Unsicherheit ohne die Aufgabe eigener Prinzipien der Dezentralität zu finden. Auch kann hier insbesondere auf die in Abschnitt II (Rn. 4ff.) angesprochenen theoretischen Prinzipien der Finanzierungstheorie verwiesen werden. Eine Qualitätssicherung könnte mit IEOs Einzug erhalten, wenn die beteiligten Institutionen Signalling von Qualität gewähren können. Damit wäre jedoch eine Annäherung an die traditionelle Maklerfunktion von Finanzinstituten mit der Gefahr einer Zentralisierung verbunden.
2. Rentabilität von Investitionen in den Kryptomarkt
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Im Jahr 2013 begannen die ersten Anbieter von Datenbanken systematisch Marktdaten von Kryptowährungen zu erfassen. Hierzu zählen vor allem der Preis, das Handelsvolumen sowie die Marktkapitalisierung. Viele Datenbankanbieter, ähnlich dem Hedgefonds-Phänomen Mitte der 1990er Jahre, haben die aus dem Markt ausscheidenden Token und Kryptowährungen bei der Berechnung historischer Renditen nicht berücksichtigt.118 Gerade diese historische Performance wird häufig von Anlegern als Entscheidungsgrundlage für eine Investition zugrunde gelegt, auch wenn sie keine Prognose zukünftiger Entwicklungen erlaubt. Bekannt ist dieses Phänomen als Survivorship Bias, das zu einer optimistischen Einschätzung der Rentabilität führt. Denn bei der Berechnung der historischen Renditen werden nach der Datenbankbereinigung die gescheiterten Projekte nicht mehr berücksichtigt. Die Quantifizierung der Verzerrung ist schwierig, weil Datenbankanbieter unterschiedliche Kriterien für fehlgeschlagene Projekte anwenden. Eine Untersuchung von ICOs aus den Jahren 2015–2018 ergibt, dass 21 % aller Projekte von wenigstens einer der größten 26 Handelsplattformen gestrichen wurden, knapp 13 % sogar von allen.119
Tab. 1:Panel (a): Kennzahlen für monatliche Renditen für den Zeitraum 1.1.2014 bis 15.6.2020. Ethereum startet am 8.8.2015. Mean (%) bezeichnet die mittlere, Median (%) die mediane monatliche Rendite. Std (%) ist die Standardabweichung der Renditen, Total (%) die akkumulierte Rendite. EW bezeichnet Gleichgewichtet, VW eine Wertgewichtung nach Marktkapitalisierung. YTD steht für Year-to-Date. Panel (b): Renditen im Jahresverlauf der ausgewählten Kryptowährungen und Indizes (Daten: www.coingecko.com).
(a) |
Asset |
Mean (%) |
Median (%) |
Std (%) |
Min |
Max |
Total (%) |
BTC |
5,99 |
2,69 |
24,02 |
–35,60 |
72,54 |
1287,20 |
ETH |
14,46 |
0,00 |
49,41 |
–54,52 |
218,19 |
16592,75 |
LTC |
6,42 |
–2,34 |
39,54 |
–45,17 |
162,46 |
96,58 |
XRP |
19,84 |
–6,48 |
110,85 |
–50,11 |
810,39 |
639,60 |
IndexEW |
7,08 |
–0,31 |
38,25 |
–52,39 |
207,30 |
303,26 |
IndexVW |
8,12 |
2,80 |
30,88 |
–43,44 |
141,10 |
3007,14 |
(b) |
Jahr |
BTC |
ETH |
LTC |
XRP |
IndexEW |
IndexVW |
2014 |
–57,97 |
0,00 |
–88,82 |
–11,30 |
–83,99 |
–54,65 |
2015 |
51,44 |
–35,99 |
31,09 |
–75,17 |
75,05 |
32,70 |
2016 |
124,19 |
755,37 |
25,50 |
7,35 |
131,86 |
150,03 |
2017 |
1381,35 |
9570,58 |
5348,01 |
35047,83 |
6134,10 |
4001,50 |
2018 |
–74,33 |
–82,23 |
–86,82 |
–84,03 |
–93,13 |
–78,32 |
2019 |
90,05 |
–4,48 |
35,26 |
–46,97 |
–14,75 |
56,94 |
2020 (YTD) |
34,50 |
85,78 |
9,95 |
5,06 |
70,10 |
48,00 |
71
Tabelle 1 fasst die wichtigsten Renditekennzahlen für den Kryptowährungsmarkt zusammen. Es werden die größten Kryptowährungen sowie zwei unterschiedlich gewichtete Indizes als Gesamtmarktrepräsentanten gegenübergestellt. Die Renditen der Indizes sind der einfache Mittelwert (EW: equally-weighted) sowie der nach anteiliger Marktkapitalisierung gewichtete Mittelwert (VW: value-weighted). Während der wertgewichtete Index stark von einzelnen sehr großen Kryptowährungen dominiert ist, sind bei dem gleichgewichteten Pendant kleine und häufig illiquide Kryptowährungen überrepräsentiert. Zur Abschätzung der Rentabilität werden in der Tabelle die gängigen deskriptiven Statistiken ausgegeben. Neben dem Mittelwert der Monatsrenditen wird auch der Median ausgewiesen, der robust gegen Ausreißer ist und eine unverzerrte Perspektive bietet. Die Standardabweichung (Volatilität) ist ein gängiges Risikomaß und gibt die durchschnittliche Abweichung vom Mittelwert an. Zur besseren Interpretation werden die Werte mit dem Aktienmarkt verglichen, der als risikoreich eingestuft werden kann.
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An den Ergebnissen sind vor allem die negativen medianen Monatsrenditen in Panel (a) interessant. Lediglich Bitcoin sowie der wertgewichtete Marktindex weisen auch hier positive Werte auf. Daraus lässt sich schließen, dass vor allem Bitcoin der Treiber hinter dem wertgewichteten Marktindex ist, wohingegen Kryptowährungen mit geringer Marktkapitalisierung, wie aus dem gleichgewichteten Index sichtbar ist, sich schlechter entwickeln. Das liegt an der Wertgewichtung der Renditen, da der Marktanteil von Bitcoin ca. 65 % beträgt. Die hohe kumulierte Rendite (Spalte Total (%)) von Ethereum erklärt sich mit dem späten Start des Projektes (Juli 2015), womit die gesamte Kurshistorie in der aktuellen Analyse enthalten ist. Die insgesamt hohen monatlichen mittleren Renditen gehen einher mit einer hohen Standardabweichung (Volatilität). Ein Vergleich mit dem Aktienmarkt120 verdeutlicht die Unterschiede. Im selbigen Zeitraum erwirtschaftete eine Anlage in einen weltweit gestreuten und börslich gehandelten Aktien-Indexfond (ETF)121 eine mittlere (mediane) monatliche Rendite von 0,59 % (1,15 %) mit einer Standardabweichung von 2,35 %. Somit erscheinen die Aktienmärkte im Vergleich deutlich weniger riskant. Panel (b) der Tabelle zeichnet den Zeitverlauf der Renditen für ebenjene Kryptowährungen sowie beide Indizes. Im Krisenjahr 2018 verloren die Kryptowährungen und die Indizes einen Großteil ihres Marktwertes. Auch diese Verluste sind um ein Vielfaches höher als historische Verlustrenditen am Aktienmarkt. Hervorzuheben sind die Verzerrungen der Mittelwerte aus Panel (a) durch die extremen Renditen von 2017. Wie im Abschnitt II (Rn. 9) ausgeführt, beinhalten Kryptowährungen ein hohes Ausfall- und Qualitätsrisiko, das durch Informationsasymmetrien und Moral Hazard getrieben wird. Außerdem befinden sich Kryptowährungen auf einem rechtlich sehr unsicheren Terrain. Für die Übernahme dieses Risikos werden Investoren ebenfalls Prämien erwarten, die in Form von Preisnachlässen beim Verkauf von Token realisiert werden.
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