Für Camila und Olivia
– die besten
Geschichtenerzählerinnen,
die ich kenne
Jörg Ehrnsberger ist Lehrer und Storytellingtrainer. Er lebt und arbeitet in Hamburg. Seit über zwanzig Jahren bietet er Workshops zum Erzählen an.
Jörg Ehrnsberger
Erzählen
Phänomene
ISBN Print: 978-3-0355-1685-2
ISBN E-Book: 978-3-0355-1686-9
Gestaltungskonzept und Illustrationen: Salzmann Gertsch, Bern
1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
© 2020 hep Verlag AG, Bern
hep-verlag.com
VORWORT
Was macht eine Erzählung eigentlich zu einer Erzählung? Was ist das Geheimnis einer guten Geschichte? Was für eine Rolle spielen Plot, Erzählinstanz oder Erzählstruktur? Und erzählen wir heute immer noch dieselben Geschichten wie vor 2000 Jahren?
Unser Alltag wird oft von Phänomenen bestimmt, deren wissenschaftliche Hintergründe wir uns nicht erklären können. Sie bleiben uns auch dann noch ein Rätsel, wenn wir uns in der Schulzeit oder der Ausbildung theoretisch intensiv mit den Grundlagen auseinandergesetzt haben.
Mit unserer Reihe «Phänomene» gehen wir erstaunlichen und dennoch gängigen Alltagserscheinungen mit einfachen Erklärungen auf den Grund. Wir beleuchten Phänomene aus unterschiedlichen Perspektiven – und vor allem knapp, verständlich und gut lesbar.
Die Theorie ist auf ein Mindestmaß begrenzt und bildet den ersten Teil jedes Bandes. Im zweiten Teil sind praktische, einfache Aktivitäten beschrieben, für die Schule, Kita oder die (Kinder-)Geburtstagsfeier. Dieser Zugang hilft uns, die Phänomene zu begreifen.
Danach sind Phänomene des Alltags Erscheinungen, die uns die Gelegenheit bieten, Zusammenhänge zu verstehen, genauer zu beobachten und neue Erfahrungen auf andere Phänomene zu übertragen.
Viel Freude beim Entdecken und Begreifen.
Beate Blaseio, Gisela Lück
INHALTSVERZEICHNIS
Phänomenal! Wissenswertes übers Erzählen PHÄNOMENAL! WISSENSWERTES ÜBERS ERZÄHLEN Früher wurde das Wissen zum Erzählen mündlich weitergegeben, heute lässt es sich weltweit an Universitäten studieren. In Leipzig kann man sogar einen Master in literarischem Schreiben erwerben. Schon in der Steinzeit vor bis zu 35 000 Jahren hinterließen unsere Vorfahren Geschichten in Form von Höhlenmalereien, die man noch heute besichtigen kann. Ende des 18. Jahrhunderts dachte man, dass nur «Genies» gute Geschichten schreiben könnten und keiner sonst es lernen könne. Seit 1997 gibt es den GIPS, den German International Poetry Slam, bei dem sich Slam-Poetinnen und -Poeten aus den deutschsprachigen Ländern einen Wettstreit in einer besonderen Form des Erzählens liefern. Das Thema «Erzählen» dringt immer weiter in den Bereich der Neurowissenschaften vor, wo der Zusammenhang zwischen Gehirn und Erzählen erforscht wird. «Storytelling», eine moderne Form des Erzählens, gewinnt auch in Unternehmen immer mehr an Bedeutung, zum Beispiel bei der Mitarbeiterführung. Alle Geschichten lassen sich auf die immer gleichen Grundmuster zurückführen. Schon vor 2000 Jahren hat Aristoteles im antiken Griechenland die Prinzipien für gelungenes Erzählen in seinem Werk «Poetik» beschrieben. Als eine der ältesten überlieferten, schriftlich fixierten Dichtungen gilt das Gilgamesch-Epos, das vor ungefähr 4000 Jahren in der Gegend von Babylon in Tontafeln geritzt wurde und von den Abenteuern des Königs Gilgamesch berichtet. Unser Gehirn kann sich Informationen, die in einer Geschichte verpackt sind, viel besser merken als nackte Fakten, da eine Geschichte viel mehr Areale in unserem Hirn anspricht.
DAS PHÄNOMEN VERSTEHEN
1 Was ist Erzählen?
2 Was ist gutes Erzählen?
3 Aristoteles, Freytag, Vogler
DAS PHÄNOMEN ERLEBEN
Didaktische Gedanken
Übung 1 Geschichte geht rum
Übung 2 Pixar’s Rule #4
Übung 3 Mein Lieblingsfeind
Übung 4 Frage stellen und nicht beantworten
Übung 5 Mit Storycubes Geschichten erzählen
Übung 6 Der Welt zuhören
Übung 7 Weitererzählen – Das Ende ändern
Übung 8 Schreiben vor Ort
Übung 9 Dem Leben auf der Spur (Bonusübung für Erwachsene)
Übung 10 Heldenreise (Bonusübung für Erwachsene)
Literatur
Zum Weiterlesen
Bildnachweis
PHÄNOMENAL! WISSENSWERTES ÜBERS ERZÄHLEN
Früher wurde das Wissen zum Erzählen mündlich weitergegeben, heute lässt es sich weltweit an Universitäten studieren. In Leipzig kann man sogar einen Master in literarischem Schreiben erwerben.
Schon in der Steinzeit vor bis zu 35 000 Jahren hinterließen unsere Vorfahren Geschichten in Form von Höhlenmalereien, die man noch heute besichtigen kann.
Ende des 18. Jahrhunderts dachte man, dass nur «Genies» gute Geschichten schreiben könnten und keiner sonst es lernen könne.
Seit 1997 gibt es den GIPS, den German International Poetry Slam, bei dem sich Slam-Poetinnen und -Poeten aus den deutschsprachigen Ländern einen Wettstreit in einer besonderen Form des Erzählens liefern.
Das Thema «Erzählen» dringt immer weiter in den Bereich der Neurowissenschaften vor, wo der Zusammenhang zwischen Gehirn und Erzählen erforscht wird.
«Storytelling», eine moderne Form des Erzählens, gewinnt auch in Unternehmen immer mehr an Bedeutung, zum Beispiel bei der Mitarbeiterführung.
Alle Geschichten lassen sich auf die immer gleichen Grundmuster zurückführen.
Schon vor 2000 Jahren hat Aristoteles im antiken Griechenland die Prinzipien für gelungenes Erzählen in seinem Werk «Poetik» beschrieben.
Als eine der ältesten überlieferten, schriftlich fixierten Dichtungen gilt das Gilgamesch-Epos, das vor ungefähr 4000 Jahren in der Gegend von Babylon in Tontafeln geritzt wurde und von den Abenteuern des Königs Gilgamesch berichtet.
Unser Gehirn kann sich Informationen, die in einer Geschichte verpackt sind, viel besser merken als nackte Fakten, da eine Geschichte viel mehr Areale in unserem Hirn anspricht.
DAS PHÄNOMEN VERSTEHEN
1 Was ist Erzählen?
«Erzähl doch mal …» – Wer hat diesen Satz nicht auch schon mal gehört? Manchmal haben wir Lust, dieser Aufforderung Folge zu leisten, manchmal nicht. Manchmal sprudeln wir sofort los, manchmal wissen wir nicht recht, wo wir beginnen sollen. Mal finden wir kein Ende, und mal haben wir vielleicht auch das Gefühl, dass das, was wir gerade erzählen, irgendwie nicht richtig ankommt. Oft aber haben wir schon jemandem gelauscht, der gut erzählen kann und uns mitnimmt in eine andere Welt, die uns völlig das Jetzt vergessen lässt. Aber bestimmt gab es auch schon Momente, in denen jemand etwas erzählte und wir nur mit großer Mühe den Blick zur Uhr vermeiden konnten.
Allein diese Gedanken zeigen, wie viel Erfahrung wir schon jetzt mit dem Erzählen und Zuhören von Erzähltem haben, auch wenn uns das gar nicht so bewusst ist. Erzählen ist nicht nur etwas, was andere tun, wir sind täglich mittendrin.
Im Alltagsgebrauch verstehen wir unter Erzählen, dass uns jemand etwas mitteilt, etwas berichtet, etwas Geschehenes wiedergibt. Das Wort «erzählen» geht zurück auf das mittelhochdeutsche erzeln und auf das althochdeutsche irzellen. In beiden Wörtern steckt noch die Bedeutung «zählen» im Sinne von aufzählen, was uns schon verrät, dass es beim Erzählen auch darum geht, etwas in einer bestimmten Reihenfolge aufzuzählen. In «Erzählen» schwingt aber heute im Gegensatz zu «berichten» oder «mitteilen» mit, dass das, was uns gesagt wird, etwas angereichert ist, dass es sich nicht bloß um nackte Fakten – wie in einem Bericht – handelt. Es ist etwas Schöneres, etwas, bei dem sich jemand Mühe gibt, mich zu unterhalten. Etwas, das nicht nur meinen Kopf anspricht, sondern vielleicht auch mein Herz.
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